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Ausgabe:

1903 Nr. 21

Spalte:

568-569

Autor/Hrsg.:

Ficker, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Petrusakten 1903

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 21.

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zu ihren Anfängen. Im erften Korintherbriefe findet er
mit Gräfe, deffen Exegefe er mit geringfügigen Modi-
ficationen acceptirt, bereits das Inftitut der geiftlichen
Ehe vorausgefetzt. Im zweiten Abfchnitt feiner Arbeit
wendet fich A. den nachcyprianifchen Quellen zu, die uns
über ein Syneisaktenthum aus den Kreifen der Kleriker
und Mönche berichten. In den letzten beiden Abfchnitten
verfucht dann A. eine Gefchichte des Syneisaktenthums
in der alten Kirche und eine Beurtheilung desfelben zu
geben. Die geiftliche Ehe, wie wir fie in der korinthi-
fchen Gemeinde zur Zeit des Paulus finden, ift nach A.
aus den Anfchauungen der chriftlichen Kirche über Ehe
und Jungfräulichkeit erwachfen. Die Jungfrauen unter-
ftellten fich einem geiftlichen Tutor, um männlichen
Schutz zu geniefsen und die männlichen Asketen wählten
das Zufammenleben mit virgines subintroductae, um fich
die Annehmlichkeiten der weiblichen Leitung ihres Haushaltes
zu fichern. Es ift alfo nicht der Heroismus der
Asketen, die durch Zufammenleben mit folchen anderen
Gefchlechts eine glänzende Probe ihrer Keufchheit abzulegen
beabfichtigten, der das Syneisaktenthum hervorgebracht
hat. Wir dürfen auch das merkwürdige Inltitut
nicht nach feinen Aeufserlichkeiten und etwaigen
fchlimmen Folgen beurtheilen, die übrigens nach A.
feiten mit Sicherheit nachweisbar find und fich erft im
Verlauf mit feiner Entartung einftellen. Auf die urfprüng-
lichen Motive gefehen werden wir in der geiftlichen Ehe
vielmehr ein Zeichen für die Idealität der Jugendzeit der
Kirche fehen, obwohl auch A. zugiebt, dafs diefe Form
des Zufammenlebens von Mann und Weib eine Perverfität
des natürlichen Verhältnifses darfteilt und von den deca-
denten fittlichen Anfchauungen der ausgehenden Antike
beeinflufst ift. — Die Arbeit von Achelis hat zunächft
das Verdienft, den Blick des Forfchers auf ein Stück
altchnftlichen Lebens gelenkt zu haben, das bisher mit
Unbehagen regiftirt, aber noch nie einer gründlichen Unter-
fuchung unterzogen wurde. A. hat fich aber damit nicht
begnügt, fondern das Syneisaktenthum in einen gröfseren
Zufammenhang geftellt und eine Erklärung feiner Motive
verfucht, die das Intereffe aller Mitforfcher auf dem Gebiete
der alten Kirchengefchichte erregen wird. Leider
ift die Anordnung des Stoffes m. E. keine ganz glückliche
. Da erlt die Quellen einer fehr ausführlichen kriti-
fchen Analyfe unterzogen werden und dann die Dar-
ftellung folgt, fo begegnen uns viele Wiederholungen.
Was die Heranziehung der Quellen betrifft, fo fcheint
mir A. hier eher zu viel als zu wenig gethan zu haben.
Die Nachricht z. B., dafs ürigenes während der Verfolgung
des Maximinus Thrax im Haufe einer Jungfrau
Juliana Unterfchlupf fand, hat, wie mir fcheint, mit der
geiftlichen Ehe nichts zu thun. Auch die Thatfache, dafs
zur Zeit des Chryfoftomus vornehme Damen in Kon-
ftantinopel Mönche zu Hausverwaltern machten, gehört
kaum hierher. Von wichtigeren Urkunden für das
Syneisaktenthum, die A. unbenutzt gelaffen hat, ift mir
nur die Ignorirung von cp. 117 des Hieronymus ad
matrem et filiam aufgefallen. Was nun die Hauptfache
betrifft, fo erfcheint mir die Auslegung von 1 Cor. 736fr.,
wie fie A. im Anfchlufs an Gräfe vertritt, nicht nur annehmbar
, fondern die einzig mögliche. Die Beziehung
der Stelle auf das Verhältnifs des Vaters zu feiner Tochter
ift geradezu unmöglich, obwohl alle alten Commentatoren,
foviel ich fehe (f. auch Commentar des Pelagius in ep. ad
Cor. Migne P. I. XXX, 770), fie haben. Dann aber
möchte ich einen Schritt weiter gehen als Achelis. In
der eben entftandenen korinthifchen Gemeinde kann fich
diefe Sitte unmöglich gebildet haben, fondern dasChriften-
thum fand fie bereits vor. Wir haben es alfo auch nicht
mit einem fpeeififeh chriftlichen Gebilde, wie A. will,
zu thun. A. hat, ohne es weiter zu verfolgen, auf die
Therapeuten Philo's hingewiefen, bei denen fich das
Syneisaktenthum findet. Diefe Therapeuten fcheinen
mir zum Ausgangspunkt der Erklärung für die Exi-

fitenz und die Motive der in der korinthifchen Gemeinde
fich findenden geiftlichen Ehe gemacht werden zu müffen.
Die geiftliche Ehe ift dann bereits im griechifchen Judenthum
unter dem Einflufs asketifcher Gedanken ent-
ftanden und hat fich auch nach Korinth verbreitet, wo
Paulus fie vorfand. In der günftigen Beurtheilung des
Inftituts fcheint mir aber A. im begreiflichen Gegenfatz
zu der alten Auffaffung zu weit zu gehen. Gewifs
konnte bei dem Idealismus der Jugendzeit der Kirche
diefe Form des Zufammenlebens rein bleiben, aber
fchon Paulus ift fich der Gefahren bewufst, die diefes
Inftitut mit fich bringt, und feine einmüthige Bekämpfung
durch die Kirche feit Cyprian beweift, dafs das Syneisaktenthum
leicht und fchnell entartet ift, wie dies auch
bei den perverfen fittlichen Anfchauungen, in denen es
wurzelt, verftändlich ift.

Heidelberg. Grützmacher.

Ficker, Gerhard, Die Petrusakten. Beiträge zu ihrem
Verftändnis. Leipzig 1903, J. A. Barth. (IV, 104 S.
gr. 8.) M. 3.-

C. Schmidt's, von dem Ref. in Nr. 12 d. Jahrg. be-
fprochene Publication hat G. Ficker veranlafst, allerlei
Beobachtungen, die er bei Vorbereitung einer gröfseren
Arbeit an den Petrusakten gemacht hat, als ,Beiträge zu
ihrem Verftändnis' zu veröffentlichen. Nach einer kurzen
Ueberficht über die literarifche Ueberlieferung (S. I—8),
Hellt der erfte Abfchnitt unter dem etwas zu engen
Titel ,Spuren von Piatonismus' (S. 9—29) die Acten in
das damalige Culturmilieu hinein: neben Gedanken und
Terminologie kommt hier auch die ganze fuperffitiöfe
Richtung zur Erörterung. Der zweite Abfchnitt (S. 30—46)
beffimmt als ,Ort der Abfaffung' Kleinaiien, fpeciell Bi-
thynien auf Grund der feinen Entdeckung, dafs für den
Petrusfchüler Marcellus ein Granius Marcellus, der 150. Chr.
Legat in Bithynien war, Modell geftanden zu haben fcheint.
Was Tacitus ann. I 74 von ihm erzählt, kehrt in legen-
darifcher Form und mit der Umbildung, dafs Marcellus
als Chrift erfcheint, in den Acten wieder. Die Ueberein-
ftimmung iff höchft merkwürdig, die Identität vermuth-
lieh richtig: aber die Schlufsfolgerung fcheint mir, obwohl
C. Schmidt in den Gött. gel. Anz. 1903 Nr. 5 fich ihr
gleich gefangen gegeben hat, nicht ftichhaltig. Die Auffaffung
des Marcellus der tiberianifchen Zeit als Chrift
erklärt fich offenbar (wie bei der Abgarlegende) aus dem
Chrififein eines Nachkommen. Das beweifl aber, dafs
hier römifche Familientradition, nicht bithynifche Local-
überlieferung vorliegt. Mit der Zurückweifung von Erbes'
allerdings falfcher Annahme einer römifch-papalen Tendenz
der Acten find noch nicht alle Gründe für römi-
fehen Urfprung widerlegt. Schmidt's .lebenswahres Bild
der römifchen Gemeinde' behält ihr Recht, um fo mehr,
wenn eine andere, freilich fehr zweifelhafte Vermuthung
Ficker's (S. 103) Richtigkeit haben follte, dafs hier unter
Simon's Maske der Monarchianer Theodot der Lederarbeiter
bekämpft fei. Ein dritter Abfchnitt (S. 47—91)
handelt von .Benutzung in der Litteratur': Ficker weift
nach, dafs die antimanichäifchen Acta Archelai vielfach
aus den Petrusacten als einer katholifchen Schrift entlehnt
haben, fodann dafs nach Zeugnifs einer hier zum
erften Mal publicirten Rede gegen verfchiedene enkrati-
tifche Häretiker fie bei den fog. Apotaktikern in befon-
derem Anfehen Händen. Hier weitet fich die Studie
nach einer fehr eingehenden Befchreibung des cod.Scorial.
T I 17 (13. Jahrh.) aus zu einer für die älteffe Gefchichte
des Mönchthums wichtigen Unterfuchung über
jene Apotaktiker, eine auf der Grenze vom Kirchlichen
zum Häretifchen fich haltende asketifche Bewegung, die
mit Gemellus, einem Schüler des Simon Magus in Verbindung
gebracht wird. Mit Worten Simon's befchäftigt
fich der vierte letzte Abfchnitt (S. 92—104). Ficker
glaubt echte Bildworte Simon's nachweifen zu können,