Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1903 Nr. 20

Spalte:

541-545

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Otto

Titel/Untertitel:

Das Urchristentum, seine Schriften und Lehren, in geschichtlichem Zusammenhang beschrieben. 2., neu bearb. u. erw. Aufl. 2 Bde 1903

Rezensent:

Clemen, Carl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

54i

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 20.

542

hervor, und die Hoffnung fpitzt fich zu auf die Ueber- I verliebt; namentlich in der Darftellung des Paulinismus
Windung und Vernichtung des Reiches der Finfternifs. — J hat er, wie fchon früher mehrfach, vieles geändert —
Sehr zurückhaltend äufsert fich Baldenfperger über die | immer nur darauf bedacht, das Richtige zu finden und
Frage, inwieweit man die Ideen der Apokalyptik als j zugleich (auch das verdient angemerkt zu werden) klar
fremd'ländifchen Import zu betrachten habe. Bei aller Weit- [ und verftändlich herauszuheben.

herzigkeit gegenüber den neueren religionsvergleichenden Zwar die erften 29 Seiten find, geringe ftiliftifche

Theorien glaubt er doch daran erinnern zu müffen, dafs j Verbefferungen und hinzugefügte Citate abgerechnet, un-
eine ganze Menge diefer Ideen, zu denen in benachbarten j verändert aus der erften Auflage übernommen worden,
Religionen überrafchende Analogien zu finden find, aus I während dagegen der dann folgende Abfchnitt: griechifch-
dem dunkeln Untergrund jüdifcher Ueberlieferung wieder ! jüdifche Bildung, auch wenn er in feinem zweiten Theil
ans Tageslicht getreten fein können, vielleicht angeregt | fich mit den frühern Ausführungen über die Quellen der
durch Einflüffe von aufsen, aber doch fchliefslich durch j paulinifchen Theologie berührt, zunächft fchon durch
den inneren Entwicklungsgang des Judenthums hervor- j gewiffe Wiederholungen als Zuthat erwiefen wird. Pfl.
getrieben. Scheint doch überhaupt in der Apokalyptik j giebt hier eine Blüthenlefe aus Seneca's Schriften und
eine nur in gewiffen Kreifen herrfchende meffianifche ! eine vorläufige Darftellung des Mithracults, obwohl er
Unterftrömung zu Worte gekommen zu fein, die allerlei zum Schlufs doch nur von der problematifchen Möglichideen
aufgenommen hat, die im kanonifchen, officiellen j keit einer griechifchen Bildung des Paulus redet — ich
Judenthum nicht fo zur Geltung kommen konnten, wie in der , glaube in derThat, dafs er vor allem, wie es in der erften
unliterarifchen Volksüberlieferung. In diefer Anfchauung j Auflage hiefs, auf dem indirecten Wege der helleniftifch-
berührt fich Baldenfperger ftärker mit Gunkel's Theorie, 1 jüdifchen Literatur von der griechifchen Denkweife be-
als er felber zuzugeftehen fcheint. — Zum Schlufs wirft I einflufst wurde. Dagegen halte ich es für eine Ver-
der Verfaffer die Frage auf, inwiefern die Apokalyptik | befferung, wenn das Verhältnifs zu Gamaliel nicht mehr
als Vorbereiterin des Chriftenthums anzufehen fei. Nicht j bezweifelt und über ein Zufammentreffen mit Jefu be-
fowohl in dem gefteigerten Individualismus, auch nicht j merkt wird: ,ob Paulus in den Tagen, wo das Gefchick

in dem angebahnten Univerfalismus, fondern in dem Su
pranaturahsmus der Apokalyptik erkennt er den ent-
fcheidenden Factor der religiöfen Weiterentwickelung.
,Er ftellt die Mittelftufe zwifchen dem alten irdifchen
Meffianismus und der Religion der Innerlichkeit oder eine

Jefu in Jerufalem fich erfüllte, dort gewefen und Jefum
von Angefleht gefehen habe oder nicht, können wir
nicht wiffen'. Und ebenfo möchte ich noch ftärker,
als es auch Pfl. jetzt thut, die Einheit der religiöfen
Anfchauungen des Apoftels betonen; doch kann ich, um

Vorftufe der jüdifchen Reichgottespredigt Jefu dar. Die J nicht zu ausführlich zu werden, darauf trotz der Wichtig
Hoffnung auf eine überfinnliche Welt ift ein Zwifchen- keit der Sache hier nicht eingehen, fondern verfchiebe

ftadium, das die Gemüther auf die Welt fittlich religiöfer
Güter prädisponirt. Je mehr eine Sache überfinnlich gedacht
wird, defto mehr wird fie dem Bereiche des Sichtbaren
entnommen und nähert fich in demfelbcn Mafse der
geiftigen Welt, als auch diefer Unfichtbarkeit zukommt'.
Man erkennt, wie diefe Beurtheilung der Apokalyptik von

das auf eine demnächft erfcheinende gröfsere Arbeit.

Die Erörterung der einzelnen paulinifchen Briefe begann
in der erften Auflage mit dem an die Galater,
während er jetzt, z. Th. unter Berufung auf meine
Chronologie, zwifchen die an die Korinther und Römer
geftellt wird. Ich bin demgegenüber in der peinlichen

einer beffimmten Auffaffung des Chriftenthums aus ent- i Lage, von neuem erklären zu müffen, dafs ich jene Da

worfen ift. Mit Spannung erwarten wir den zweiten Theil
des Buches, in dem diefe Auffaffung zu begründen wäre.
Hoffentlich kommt dabei der einfache Gedanke nicht zu
kurz, dafs das Chriftenthum der Apokalyptik dadurch überleben
war, dafs es die Erfüllung des meffianifchen Gedankens
erlebt zu haben fich bewufst war.

Marburg. Johannes Weifs.

tirung nicht mehr für richtig halte, fondern den Galater-
brief jetzt zur Zeit des Aufenthalts des Paulus in Athen
gefchrieben denke. Allerdings wiffen wir in diefer Zeit
fonft nichts von Bemühungen des Apoftels um eine
Collecte; aber das kann gegen die in Rede flehende
Theorie nicht entfeheiden.

Beträchtlich erweitert ift die Erörterung über die
Theffalonicherbriefe, deren erften Pfl. jetzt für den älteften
uns erhaltenen Brief des Paulus überhaupt erklärt. Den
zweiten dagegen hält er nach wie vor für unecht, obwohl
ihm — ebenfo wie Wrede, TU XXIV, 2 — das
Wort vom Tempel offenbar Schwierigkeiten macht. Er
verfteht es von der chriftlichen Gemeinde, was doch
kaum angeht — gefchweige denn, dafs das Hemmende
einfach aus der Tradition übernommen fein könnte; denn
wie will man es dan^ erklären, wenn es zunächft heifst-
ov (ivrjuovswxh: Ott exi mv jtQoc vfiäq xavxa Usrov

Pf leiderer, Prof.D. Otto, Das Urchristentum, seine Schriften

und Lehren, in gefchichtlichem Zufammenhang be-

fchrieben. Zweite, neu bearbeitete und erweiterte

Auflage. 2 Bände. Berlin 1902, G. Reimer. (VIII,

696 u. V, 714 S. Lex. 8.) M. 24.—; geb. M. 28.—
Die vorliegende zweite Auflage von Pfleiderer's Ur-
chriftenthum ift gegen die erfte, die i. J. 1887 in einem
Bande erfchien, um ganze 519 Seiten gewachfen. Das
erklärt fich theils dadurch, dafs der Verf., nachdem er |
fchon früher auch die dem neuen Teftament gleichzeitige |

aufserkanonifche Literatur berückfichtigt hatte, jetzt fo- j ihm nie direct und pofitiv auf den erften Bezut
gar noch die Apologeten mitbehandelt, dafs er ferner ! nommen wird; follte er aber 2, 2 desavouirt werden
einen Abfchnitt über Hellenismus und Gnofticismus ein- (und die modificirende Erklärung von Wrede läfst fich
gefchaltet hat (der andern Inhalt hat, als der ähnlich ! in der That nicht halten), fo hätte fich der Verf. doch
überfchriebene der erften Auflage) und endlich im An- nicht fo vielfach an ihn angefchloffen!
fchlufs an die Synoptiker und die Apoftelgefchichte ; In den Korintherbriefen wird jetzt I 14 $*f. viel-
auch die Predigt Jefu und den Glauben der Urgemeinde i leicht auch 36 als fpäter bezeichnet worin ich jetzt
darfteilt. Aufserdem ift aber auch das Uebrige gröfsten- ; nicht mehr zuftimmen kann; cbenfowenig wie der Aus-
theils neubearbeitet und manchmal zwar verkürzt, zu- I fcheidung von Rom. 15, l9^u und den Schlufsworten
meift indefs erweitert worden — fei es nun auf Grund { von V. 28. Die Verfe 16, 17-20, die früher als offenbar
fremder Arbeiten oder eigener Studien. Welcher theo- 1 deuteropaulinifch bezeichnet wurden, follen fich jetzt
logifchen Schule feine Gewährsmänner angehören, ift Pfl. I vielleicht auch als Beftandtheil des' hier gefundenen
dabei ganz gleichgiltig; er nimmt das, was ihm wahr ; Epheferbriefs verliehen laffen; ich habe fchon neulich
erfcheint, wo er es findet. Und noch weniger ift er an diefer Stelle ausgefprochen, dafs mir jetzt anders als
in feine eigenen wiffenfehaftlichen Theorien irgendwie | früher diefes Capitel zum Römerbrief zu gehören fcheint