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Ausgabe:

1903

Spalte:

489-491

Autor/Hrsg.:

Procksch, Otto

Titel/Untertitel:

Geschichtsbetrachtung und geschichtliche Überlieferung bei den vorexilischen Propheten 1903

Rezensent:

Steuernagel, Carl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. in Berlin, und D. E. Schürer, Prof. in Göttingen.

Jährlich 26 Nrn. Verlag: J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung, Leipzig. Jährlich 18 Mark.

Nr. 18. 2 9- Auguft 1903. 28. Jahrgang.

Prock fch, Gefchichtsbetrachtung und gefchicht-
liche Ueberlieferung bei den vorexilifchen
Propheten (Steuernagel).

Gautier, Die Berufung der Propheten (Giefe-
brecht).

Lange, Das Evangelium nach Matthäus, 5. Aufl.
rev. vonZöckler [Bibelwerk, N.T., I.Teil]
(Hollmann).

Schrenck, Jefus und feine Predigt (Hollmann
).

Schulze, Die Urfprünglichkeit des Galater-

briefes (Hollmann).
Wordsworth, The Ministry of Grace (v. d.

Goltz).

Zöllig, Die Infpirationslehre des Origenes
(Koetfchau).

Glover, Life and letters in the fourth Century

(v. d. Goltz).
Kurth, Die Mofaiken der chriftlichen Aera,

I. Teil: Die Wandmofaiken von Ravenna

(H. Achelis).
Luther, Denn der Herr ift dein Trotz, Auszüge

aus feinen Werken von Bredow (Koehler).
Riehl, Zur Einführung in die Philofophe der

Gegenwart (Goedeckemeyer).
Külpe, Die Philofophie der Gegenwart in

Deutfchland (Derf.).
Holder, Das kirchliche Vermögensrecht des

Kantons Freiburg (Frantz).

Procksch, Priv.-Doc. Lic. Dr. O., Geschichtsbetrachtung und
geschichtliche Überlieferung bei den vorexilischen Propheten.

Leipzig 1902, J. C Hinrichs'fche Buchh. (VIII, 176 S.

gr. 8.) M. 5-50

Es find zwei nur lofe mit einander zufammenhängende
Fragen, die in diefem Buche behandelt werden: 1) wie
geftaltet fich die Gefchichtsbetrachtung der Propheten im
Ganzen? und 2) welche Stoffe aus der gefchichtlichen
Ueberlieferung find ihnen bekannt? Im erften Theile
behandelt der Verf. nach einer Einleitung, in der er den
Unterfchied der prophetifchen von der vorprophetifchen
Gefchichtsauffaffung kurz fkizzirt, die einzelnen Propheten
(jedoch feltfamerweife mit Uebergehung von Mich. 1—5*)
der Reihe nach, einen jeden im allgemeinen richtig
charakterifirend. Doch wird hier im Einzelnen manche
Correctur anzubringen fein. Hervorgehoben fei Folgendes.
Dafs Arnos eine, mit feiner fonftigen Anfchauung allerdings
nicht vermittelte, Heilserwartung ausgefprochen
habe, begründet Prockfch damit, dafs Jahwae doch
nicht über dem Nichts triumphiren könne; daher hält er
wenigftens 9, 8a. 10—12 für echt. Aber Arnos verkündet
nur dem Nordreich völlige Vernichtung; die Bezugnahmen
auf Juda find Interpolationen, was Prockfch m. E. mit
Unrecht beftreitet. — Unrichtig fcheint mir bei Hofea
behauptet zu fein, er verwerfe nicht das menfchliche
Königthum an fich, fondern nur das gottwidrige Königthum
, das durch den fich gegen den Propheten Samuel
auflehnenden Saul und die Könige des Nordreiches
repräfentirt fei. Bei den ,Tagen von Gibea' (10, ») denke
Hofea nicht an die Königswahl, fondern an die gefammte
Regierung Saul's, deffen Refidenz Gibea war. Wäre das
richtig, dann hätte Hofea doch wohl dem entarteten
Königthum das gottgemäfse gegenübergeftellt, nicht aber
die Befeitigung des Königthums überhaupt verkündigt. —
Für mifsglückt mufs ich die Deutung des Immanuel
(Jef. 7, u) auf Hiskia=Meffias halten, kann aber aus Raummangel
hier nicht näher darauf eingehen. — Einfeitig ift
es, wenn beim Deut, nur hervorgehoben wird, dafs hier
der Gedanke der Prädeftination in einer eigentümlichen
Art hervortrete, fofern die Verwerfung der Kananiter wohl
durch ihre Sünde gerechtfertigt, die Erwählung Israels
aber nicht durch deffen Gerechtigkeit, fondern lediglich
durch die freie Gnade Gottes begründet werde, dafs alfo
die Sünde Israels nur als der dunkle Hintergrund in Betracht
komme, von dem fich die Gnade nur um fo ftrah-
lender abhebt. Man denke nur an die gerade auf Israel
angewandte Vergeltungslehre, auf die Prockfch gar nicht
eingeht. Es wäre zu zeigen gewefen, wie die Vergeltungslehre
im Deut, in vorzüglicher Weife mit den von Prockfch
hervorgehobenen Gedanken in Einklang gefetzt ift; erft

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dann würde die Darfteilung dem wahren Charakter des
Deut, entfprechen. —BeiJeremia fcheint mir der nationale
Zug auf Koften der individualiftifchen Gedanken zu kurz
gekommen zu fein. Die Demüthigung unter Babel räth
Jeremia nicht an, weil ihm auch bei ihr die normale Religion
in individueller Form möglich erfcheint, fondern
weil diefe Demüthigung eineZeitlangfür die Erziehung
des Volkes durch Gott nothwendig ift. Das Gericht über
Babel und die Wiederherftellung der israelitifchen Nation,
wenn auch erft nach langer Zeit, ift auch für Jeremia eine
Nothwendigkeit. Seine individualiftifchen Erkenntnifse
haben nur die Bedeutung, dafs fie beginnen, den Begriff
der Nation zu modificiren, fofern die Nation der Heilszeit
als eine Gemeinde frommer Individuen gedacht wird.
Uebrigens hätte Prockfch doch auch auf den für Jeremia
fehr wichtigen Begriff der Bekehrung des Volkes eingehen
müffen.

Bisweilen vermiffe ich auch die rechte Einheitlichkeit
in den Einzelbildern. Es mag z. B. im Wefentlichen alles
richtig fein, was über die Gefchichtsauffaffung Jefaja's ausgeführt
wird; aber dafs diefe Auffaffung eine durchaus
gefchloffene ift, wird nicht recht erfichtlich. Ein einheitlicheres
Verftändnifs gewinnt man m. E., wenn man den
jefajanifchen Begriff der Heiligkeit Gottes klar legt und
dann zeigt, wie die ganze Gefchichte eine Auswirkung
derfelben ift und ihre Erweifung und Anerkennung zum
Zweck hat. Und was im Kleinen gilt, gilt auch im Grofsen.
ZwarhatProckfch die Einzelbilder zufammenzufchliefsen
verfucht, indem er ihr Verhältnifs zu einander klar zu
legen fich bemüht, oder indem er z. B. die Einwirkung des
Hofea auf das Deut, und Jeremia nachweift. Aber dadurch
bekommt man noch nicht den Eindruck, dafs die
prophetifche Gefchichtsauffaffung trotz der verfchiedenen
individuellen Ausprägung doch eine einheitliche Gröfse
ift. Die wenigen Andeutungen in der Einleitung reichen
dafür auch nicht aus. Die Einheit dürfte auch hier in
der prophetifchen Gottesvorftellung zu finden fein.

Obgleich mir fo Manches correctur- und ergänzungs-
bedürftig zu fein fcheint, wird man Prockfch doch Dank
wiffen, nicht nur dafür, dafs er auf eines der vielen bisher
yernachläffigten Capitel der prophetifchen Theologie nachdrücklich
hingewiefen hat, fondern auch für die auf gründlichen
und umfaffenden Einzelftudien (von denen befon-
ders die zahlreichen Anmerkungen ein beredtes Zeugnifs
ablegen) beruhenden Einzeldarlegungen, die für eine mehr
zufammenfaffende Studie werthvolles Material liefern.

Das Ergebnifs der fehr detaillirten Unterfuchungen
des 2. Haupttheils über die Herkunft der einzelnen Ueber-
heferungsftoffe führt zu dem Ergebnifs, dafs fich eine
Verwerthung des Jahwiften nicht nachweifen läfst. Im
Allgemeinen folgen die Propheten und die deuteronomifchen

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