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Ausgabe:

1903 Nr. 17

Spalte:

480-482

Autor/Hrsg.:

Sänger, Ernst

Titel/Untertitel:

Kants Lehre vom Glauben 1903

Rezensent:

Ritschl, Otto

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479

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 17.

480

Ein anderes Merkmal ift das Zurücktreten der menfch-
lichen Geftalt; nur das Fajum macht ausgiebig von ihr
Gebrauch, indem es den Verftorbenen mit Vorliebe als
Oranten darftellt. Endlich macht fich als fpecififch
aegyptifch geltend die Anwendung des uralten Onch-
Symbols, des Nilfchlüffels. Alle diefe Züge bezeugen
einen Geift, der weitab von dem liegt, was wir als ,rö-
mifcir geprägt haben, obwohl es zweifellos helleniftifch
ift. Dem gegenüber vertreten die koptifchen Grabftelen j
die eigentlich volksthümliche, orientalifche Strömung,
die fpäter durch eine jüngere orientalifche von Kon-
ftantin in Jerufalem eingeleitete Entwickung, die byzan-
tinifche, verdrängt wird.

Crum ift vielleicht zu gewiffenhaft in feinen Arbeiten.
Er hat, weil ihm das Gebiet der Kunftform bisher
wiffenfchaftlich fernlag, bisher kein Wort darüber verloren
, obwohl der Hauptertrag feiner grofsen Arbeit j
zweifellos auf diefem Gebiete gelegen hätte. Das ift fehr
zu bedauern. Denn wir brauchen die Mitarbeit der
Philologen und Theologen, um aus den von Gayet und
Ebers aufgetifchten Märchen über die koptifche Kunft
herauszukommen auf realen Boden. Wir brauchen !
Forfcher, die, den Spuren der aegyptifchen Tradition
nachgehend, die genaue Kenntnifs der helleniftifchen
Ideenwelt befitzen und doch auch klar auszufcheiden ver- j
mögen, was vom vorderafiatifchen Orient an den Nil
vorgedrungen ift.

Graz. Jofef Strzygowski.

Huppert, DD. Philipp, Der deutsche Protestantismus zu
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nach proteftan-
tifchen Zeugnifsen dargeftellt. 4. und 5. Taufend.
Köln 1902, J. P. Bachem. (159 S. gr. 8.) M. 2.—

In der neueren, katholifch-polemifchen Litteratur
nimmt vorliegende Schrift infofern eine bedeutfame
Stellung ein, als ihr Verfaffer darin einen fehr günftigen
Angriffspunkt gegen den Proteftantismus gewählt und
denfelben mit viel Gefchick ausgenützt hat. In der
richtigen Einficht, dafs Nichts den Gegner fo zu discre-
ditiren vermag, als eine glückliche Zufammenftellung von
fchwerwiegenden gegenfeitigen Vorwürfen und Anklagen
aus feinem eigenen Lager, hat Huppert in einer Reihe
von namhaften evangelifchen Kirchenzeitungen, be-
fonders der allgemeinen evangelifchen und der deutfchen
evangelifchen Kirchenzeitung und dem Berliner evan-
gelifch-kirchlichen Anzeiger mit grofsem Fleifs nach
folchen Ausfprüchen gefahndet und er durfte mit feiner
Ausbeute aufserordentlich zufrieden fein. Es bedurfte
nur noch einer fachgemäfsen Anordnung und einiger
kurzer orientirenden Erläuterungen und Schlufsfolge-
rungen, und die eindrucksvolle Streitfchrift war fertig.
Freilich ift das Bild, das Huppert auf diefem Wege gewinnt,
ein durchaus einfeitiges und ungerechtes, und beruht vor
Allem die Behauptung, die ,Los von Rom-Bewegung'
fei die ultima ratio des in fich felbft zerfallenen Proteftantismus
, nur in der überreizten Phantafie des Ver-
faffers und einiger feiner Gefinnungsgenoffen; aber das
Buch macht trotzdem Eindruck, wie fein rafcher Abfatz
beweift, und es dürfte fchwer fallen, diefen Eindruck bald
ganz zu verwifchen. Um fo mehr fleht zu hoffen, dafs
diefe ,Sammlung' bei den genannten Blättern und anderwärts
dahin wirken möge, die inner-proteftantifche
Polemik künftig mit etwas mehr Ruhe, Verföhnlichkeit
und Anerkennung für die gegnerifche Richtung zu führen,
damit ein folches Buch bald nicht mehr gefchrieben
werden kann.

Bafel. A. Bruckner.

Seeberg, Paft. em. Paul, Vorstudien zur Dogmatik. Leipzig
1902, R. Wöpke. (V, 60 S. gr. 8.) M. 1.20

Der Titel der vorliegenden Schrift deckt eigentlich
nur deren erften Abfchnitt ,Zur Erkenntnistheorie' mit
feinen beiden Capiteln über Endlichkeit und Unendlichkeit,
Zeit und Ewigkeit und aus dem zweiten Abfchnitt ,Zur
Theologie und Anthropologie' das erfte Capitel ,Vom
Grunde aller Dinge'. In den folgenden vier Capiteln
(Gott; Gottes Wille; Unfer Wille; der Zufammenftofs)
bewegt fich dagegen der Verf. durchaus in feiner fertigen
eignen Dogmatik felbft. Die in den drei erften Capiteln
vorliegenden philofophifchen Erörterungen zeugen von
guter philofophifcher Belefenheit, Scharffinn und Klarheit
im Denken, machen demgemäfs aber auch höhere An-
fprüche an die Denkfähigkeit der Lefer, als dafs die Hoffnung
des Verf.'s für begründet angefehen werden könnte,
er habe nicht nur der Dogmatik ,einen befcheidenen
Dienlt geleiftet', fondern fei ,auch dem Verlangen ernft-
gerichteter Gemüther, die fich über die Grundlagen unferer
religiöfen und fittlichen Weltanfchauung orientiren wollen,
entgegengekommen'. Die zunächft gegebenen allgemeinen
erkenntnifstheoretifchen Ausführungen find, namentlich
auch fofern fie Kant betreffen, m. E. einwandsfrei. Der
fich daran anfchliefsende Verfuch, nicht nur Realitäten
aufser und neben uns, fondern auch die Begrenztheit
unleres Raumes durch einen leeren Raum und unferer
Zeit durch die unmefsbare Ewigkeit zu behaupten, ift bei
dem metaphyfifchen Charakter diefer Annahmen immerhin
discutabel. Die gleichartige Behandlung der Caufa-
lität hätte jedoch eingehender und gründlicher fein müffen,
um wirklich fruchtbar auszufallen. Das Ergebnifs diefer
gefammten Unterfuchungen ift die Auffaffung Gottes als
abfoluter Caufalität auf Grund des von dem Verf. in
Schutz genommenen kosmologifchen Beweifes. In den
folgenden rein dogmatifchen Capiteln tritt der Verf. unter
häufiger Berufung auf Philippi, mehrfacher Polemik gegen
A. Ritfehl und, wie es fcheint, unter Annahme einer In-
fpiration der hl. Schrift für herkömmliche Anflehten der
orthodoxen Tradition ein. In der Ausführung über die
menfehliche Freiheit heifst es auf derfelben Seite 42 zu-
erft: Jede freie Entfchliefsung oder Handlung ift nämlich
ein abfolutes Anfangen'; wenige Zeilen darauf: ,Nur
darf diefe Freiheit „nicht im Sinne der Entbundenheit

von Urfächlichkeit".....gefafst werden. Eine folche

„transfcendentale Freiheit", ein Handeln ohne Motive
wäre überhaupt kein Handeln mehr, fondern rein „zufälliges
" Gefchehen, das nirgends zu finden, ja undenkbar
ift. Im Gegentheil liegt unferm Handeln immer eine Abhängigkeit
zu Grunde, wenn auch nur eine Abhängigkeit
von unferm „jeweiligen Zuftande'". Zwifchen beiden Behauptungen
kann ich nur einen Widerfpruch entdecken.

Bonn. O. Ritfchl.

Sänger, Dr. Ernft, Kants Lehre vom Glauben. Eine Preis-
fchrift der Krugftiftung der Univerfität Halle-Wittenberg
. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans
Vaihinger. Leipzig 1903, Dürr'fche Buchhandlung.
(XVIII, 170 S. gr. 8.) M. 3.—

Den Grundftock des vorliegenden Buches bildet eine
mit dem vollen Preife gekrönte Preisfchrift des Verf.'s
über ,den Glaubensbegriff bei Kant in feiner kritifchen
Periode'. Diefe Abhandlung hat der Verf. nachträglich
vervollftändigt, indem er auf Vaihingens Veranlaffung auch
die vorkritifchen Schriften und den Nachlafs Kant's auf
das hin, was fie für deffen Auffaffung von dem Glauben
ergeben, unterfucht hat. So ift die für Philofophen und
Theologen gleich werthvolle Monographie des Verf.'s ent-
ftanden. Ruhig und ficher, kundig und umfichtig befpricht
diefer in gründlicher und forgfältiger Erörterung die ein-
fchlägigen Aeufserungen Kant's über den Glauben und
verwandte Begriffe. Mit Recht fieht er es dabei ab auf