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Ausgabe:

1903 Nr. 17

Spalte:

473-474

Autor/Hrsg.:

Funk, Salomon

Titel/Untertitel:

Die Juden in Babylonien 200 - 500. I. Teil 1903

Rezensent:

Bacher, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 17.

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aber wohl die Hauptfchuld die Befchränkung des Raumes:
während Budde für die Auslegung 336 Seiten zur Verfügung
ftanden, mufste fich Nowack für Auslegung
und Ueberfetzung zufammen mit 262 Seiten begnügen.
Für die Bedürfnifse des Durchfchnittstheologen dürfte
Nowack's Auslegung jedoch kaum etwas Wefentliches
vermiffen laffen.

Halle a. S. C. Steuernagel.

Funk, Dr. S., Die Juden in Babylonien 200—500. Berlin
1902, M. Poppelauer. (VIII, 148 u. XXII S. gr. 8.)

M. 4.—

.Das vorliegende Buch erzählt die Gefchichte des
jüdifchen Volkes in Babylonien vom Anfange des dritten
bis zum Ende des fünften Jahrhunderts'. Mit diefen, die
Angabe des Titelblattes wiederholenden Worten beginnt
das kurze Vorwort. In Wirklichkeit aber reicht die dargebotene
Gefchichte der Juden in Babylonien nur bis an
den Anfang des vierten Jahrhunderts. Offenbar
erhalten wir hier nur den erften Theil des Werkes; aber
diefer Umfland findet fich weder auf dem Titelblatt, noch
in dem Vorworte angedeutet. Aber auch die weiteren
Sätze des Vorworts verfprechen mehr, als das Buch in
Wirklichkeit enthält. ,Der Verfaffer hat den Verfuch
gewacrt, . . . das Volk in feiner Gefammtheit vorzuführen,
in feinen Hütten und Wohnungen, in feinen Schul- und
Gotteshäufern, wie es arbeitet und ruht, erwirbt und ge-
niefst, jauchzt und trauert, in der Lehre forfcht und betet.
Er hat lieber von der chronologifchen Darftellung des
Lebensganges hervorragender Männer abgefehen, um für
das Erwerbs- und Familienleben der grofsen Menge Raum
zu gewinnen'. Das ift ein fehr fchönes, vielverheifsendes
Programm und weckt die Erwartung einer Culturge-
fchichte des babylonifchen Judenthums zur Zeit
der Amoräer. Den Stoff zu einer folchen bietet der
babylonifche Talmud in fehr reicher Fülle, und die Aufgabe
, diefen Stoff zum Gegenffande einer umfaffenden
culturgefchichtlichen Darftellung zu machen, ift bisher
noch gar nicht angebahnt worden. Aber das vorliegende
Buch kann nicht beanfpruchen, als Löfung diefer Aufgabe
zu gelten. Höchftens das erffe Capitel (S. 11—31),
überfchrieben ,Culturverhältnifse', wird dem, was im Vorworte
verheifsen ift, einigermafsen gerecht. Schon das
zweite Capitel (S. 31—41: .Verfaflung') verläfst das Gebiet
des eigentlichen Volkslebens und handelt vom Exilar-
chat und anderen Inftitutionen. Das nächfte Capitel
(S. 41_65) mit der Ueberfchrift: ,Die Lehre und ihre

Träger' bringt uns in das altgewohnte Fahrwaffer der I cenfurirten Talmudausgabe QiJJ>i3 ftatt S'nDS) bed. eine

Verfaffer mit grofsem Eifer undrühmenswerthem Fleifse die
in der obigen Inhaltsangabe erwähnten Gegenftände behandelt
hat und dafs feine Darfteilung in manchem Punkte
die vorhandenen Bearbeitungen des in Frage flehenden
Zeitalters ergänzt. Er weifs mit Lebendigkeit zu erzählen
und die mannigfaltigen Einzelheiten gefchickt zu grup-
piren. Leider wird feine Sprache oft unangenehm rhe-
torifch und lündigt nicht feiten auch gegen die Correct-
heit des Ausdruckes. In feinem Enthufiasmus leidet fich
F. folgende Aeufserung über die das babylonifche Judenthum
einigende Thätigkeit Rab's: .Mehr als Eifenbahnen
und Dampffchiffe vermochte diefer einzelne Mann den
Abfland zwifchen den einzelnen Beftandtheilen zu verringern
' (S. 54). Den modernen Sprachgebrauch, der die
jüdifchen Gotteshäufer als .Tempel' bezeichnet, wendet
F. auch für das Alterthum an und fpricht, anftatt von
Synagogen, von den Tempeln Babyloniens (S. 31, 39
und fonft). Auch die Transfcription der hebräifchen
Wörter ift nicht immer richtig. Statt ,C/tabar' (S. 37
und 83) mufs es heifsen: Cliaber. Der Tractat Chullin
ift confequent ,Cholin' gefchrieben. Statt ,Bar Kapra'
(S. 43) 1. Bar Kappara; ftatt ,Achi' (S. 8) L Achai; ftatt
,Osckijal (S. 89) 1. Oschaja. Verhängnifsvoller als diefe
kleinen Verftöfse ift manche Flüchtigkeit in der Benützung
der Quellen, die in diefer, offenbar auf gründlichem Studium
der letzteren beruhenden Arbeit doppelt auffällig
find. Auf S. 55 lefen wir folgenden Satz: .Während er
— Rab — hunderte von Schülern fpeifte, erzog er feine
Kinder zur Demuth und Sparfamkeit, fo dafs er von
feinem Sohne Chanina fagen konnte: Chanina begnüge
fich mit einem Mafs Johannisbrod'. Als Quelle ifl Bera-
choth 17 b citirt. Dort aber (und an den Parallelftellen)
tradirt Jehuda im Namen Rab's folgenden Ausspruch:
,An jedem Tage ergeht eine Himmelsftimme vom Berge
Horeb und fagt: Die ganze Welt wird um meines Sohnes
Chanina willen ernährt, meinem Sohne Chanina aber genügt
ein Mäfslein Johannisbrot von einem Freitag bis
zum andern'. Es ift der fromme Asket Chanina b. Dofa,
der in diefem Ausfpruche gerühmt und von Gott liebevoll
als Sohn bezeichnet wird. Daraus macht Funk
einen Sohn Rab's. — S. 39, Anm. 1 Ende macht F. aus
einem, vom Todtenklagendichter Bar Abin auf den Wunfeh
Raba's gefprochenen poetifchen Gebete ein Gebet Rab's
(viell. Druckfehler für Raba's) und bringt es zu Wege,
in der Erwähnung des Waffers — wie der Zufammen-
hang lehrt ift das des Tigris gemeint — eine Anfpielung
auf die ,Taufe' zu finden. — S. 29 f. fpricht F. auf Grund
von Baba mezia 24 a von einem .Gotteshaufe der Heiden'
Aber Qi-ßJ btJ nODDH »13 (F. lieft auf Grund einer rufftfeh

das talmudifche Zeitalter betreffenden Gefchichtsdar- i Verfammlungsftätte von Nichtjuden und nicht eine Syna

goge (vgl. M. Aboth. III, 10). — Samuel b. Nachmani wird
S. 106 als Rab S. b. N. bezeichnet und zum babylonifchen
Amora gemacht. In Wirklichkeit war er einer der her-

ftellungen, das wir dann auch bis zum Ende des Buches
nicht mehr verlaffen. Denn das genannte Capitel hat
das Wirken der beiden erften grofsen Amoräer Baby

loniens, Rab und Samuel, zum Gegenftände; im 4. Capitel vorragendften Gelehrten Paläftinas, und das Taanith 8b (fo
(S. 66—78: Politifche Verhältnifse) wird die Zeit Rab's j ift in Anm. 3 ftatt 18 b zu lefen) von ihm Erzählte mne
undSamuel's nach ihrenäufserengefchichtlichenMomenten j in Paläftina, nicht in Babylonien vor (f. Ag d 'pal
gefchildert. Das 5. Capitel (S. 79—102: Schule und Amoräer L 479). — S. 37, Anm. 2 heifst es: Der Bann
Gotteshaus) befchreibt die Wirkfamkeit der Lehrhäufer 1 nahm in Babylonien mildere Formen an'. S 30 lefen
und widmet dem in der Ueberfchrift genannten Gottes- j wir das gerade Gegentheil hievon: ,Der Bann der in
häufe nur ein paar wenigfagende Seiten. Das 6. Capitel [ Babylonien eine ftrengere Form hatte'. Die S 67 Anm
(S. 102—148) zeigt fchon in der Ueberfchrift (,Vom Tode I 6 befprochene Talmudftelle Jebamotli 63 b wird S 69
Sabur's I. bis zur (Geburt Sabur's II. 272—309'), dals eine in ganz anderem Sinne überfetzt. — Doch crenug der
beftimmte Epoche der Gefchichte des babylonifchen Einzelbemerkungen. In der Fortfetzung feiner Arbeit
Judenthums in ihm vorgeführt wird, wie es denn auch möge der Verfaffer mit gröfserer Genauigkeit in der Be-
nur das Wirken der bedeutendften Gefetzeslehrer und arbeitung des Materiales vorgehen befonders aber feinen
Schulhäupter diefer Epoche zum Inhalte hat. Auch die urfprünglichen Plan nicht aus dem Auge verlieren und
dem Schluffe des Buches angehängten 7 Noten (S. I—XVI) anftatt einer Gefchichte der babylonifchen Schulen die
erörtern keine Fragen der Cultur- und Sittengefchichte. ; zumeift doch nur in den Spuren der Vorgänger wandelt
Jedoch foll die Enttäufchung, welche Funk's Arbeit dem | Beiträge zu einer Cultur- und Sittengefchtc des jüdifchen
dieAusführungdesinderVorrcdeverheifsenenProgrammes : Volkes in Babylonien bieten.

Erwartenden bereitet, nicht der Anerkennung ihrer Vor- Kndanpft „,.„ , „ ,

züge hinderlich fein. Es ift nicht zu leugnen, dafs der l 1 eit' _. Wilhelm Bacher.