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Ausgabe:

1903 Nr. 15

Spalte:

433-436

Autor/Hrsg.:

Mach, Franz

Titel/Untertitel:

Das Religions- und Weltproblem 1903

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 15.

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er in unterer Abhandlung das Marburger Gefpräch mit
einigen wenigen Reihen abthut, und noch mehr, dafs er
feinen Ausführungen gegen Luther lediglich die Captivitas
Babylonica zu Grunde legt, ohne die inzwifchen, er-
fchienenen bedeutfamen Schriften in der Abendmahlsfrage
auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Gerne

und Forfchens, feines geiftigen Lebens, Strebens und
Ringens' bezeichnet, darf daher ein über feinen unmittelbaren
Inhalt hinausgehendes Intereffe für fich in An-
fpruch nehmen.

Die dem Ganzen vorausgefchickte Lebensfkizze des
Verf.'s zeigt die pfychologifche Notwendigkeit jenes

hätten wir zur Erklärung diefer Erfcheinung etwas ge- , Endergebnifses feiner inneren Entwicklung. Sie gewährt

1 insbefondere einen Einblick in die pfychifche (und phy-
fifche) Atmofphäre und in den wiffenfchaftlichen Be

hört, aber weder Paulus noch der Herr Herausgeber
gehen darauf ein. Kamen für Ufingen etwa nur lateinifch
gefchriebene Bücher in Betracht? — die Schrift De ab-
roganda Missa könnte ihm ja entgangen fein — oder
war Luther nach 1520 für ihn ein todterMann? Der merkwürdige
Schlufs der von ihm in der Einleitung gegebenen
Lebensfkizze Luther's: 77. Kai. Julii anni 1520 Leo papa
X eum anathematizavit; die vero 18. Febr. anni 154.6
subito (!) e vita migravit — könnte dafür fprechen.

Ufingen will Luther eines hiftorifchen Fehlers übertrieb
des katholifch-theologifchen Seminars in Prag
und desjenigen in Leitmeritz, der ihn zu der Schlufsbe-
merkung veranlafst: ,Unteren katholifchen theologifchen
Anftalten — die Facultäten nicht ausgenommen —
fehlt die höhere philofophifche Auffaffung, die wiffen-
fchaftliche Schärfe und Tiefe, der Geift ftrenger, auf die
Erkenntnifs der Wahrheit gerichteter Forfchung und un-
beftechlicher objectiver Kritik, wie ich mir folche von
führen. Gleich im Eingang der altera Captivitas bemerkt j dem Begriffe und Wefen einer echten „Hochfchule", einer

diefer, beim Studium der fcholaftifchen Theologie habe
er einft über die Bemerkung Peter d'Ailly's nachdenken
müffen, dafs es viel wahrfcheinlicher fei und weniger über-
flüffige Wunder erfordere, wenn man annehmen wollte,
dafs auf dem Altar wirkliches Brot und wirklicher Wein,
nicht aber nur ihre Accidentien wären, wenn nicht die
Kirche das Gegentheil befchloffen hätte — kühner fei
er dann geworden, als er erkannt habe, dafs es die
ecclesia Thomistica, hoc est Aristotelica, gewefen fei, die
diefen Befchlufs gefafst habe (Weim. Ausg. VI S. 508,7 ff.).
Darauf erwidert Ufingen: Quis Ate risum contincbit, cum
B. Thomas multo tempore . . vixit post concilium Lateranense
. . . ., als ob Luther mit feinen Worten Thomas

wirklichen ,,Fakultät" unzertrennlich denke; fie find —
allerdings mit Abficht und entfprechend dem Wunfche
und Willen der kirchlichen Hierarchen — blofse Bildungs-,
Abrichtungs-und Erziehungsanflalten für künftigeCapläne
und Pfarrer, haben alfo keinen gelehrten, fondern einen
ausfchliefslich praktifchen Zweck, ebenfo wie etwa die
Militär-, Lehrer-, Rabb iner-Bildungsanftalten und andere'.
(S. XXXIX). Diefes Urtheil wird uns vollends verlländlich
, wenn der Verf. berichtet, wie fein Lehrer der
Dogmatik die Thatfache, dafs das Waffer der Meere an
der Oberfläche der Erde haften bleibe ohne ,abzufliefsen',
als befondere Veranftaltung und Wirkfamkeit der göttlichen
Vorfehung durch folgende Frage und Antwort

zum Urheber der Transfubftantiationslehre hätte machen erklärte: ,Was gefchieht mit dem Waffer, das auf einen
wollen! Jene Charakterifirung der römifchen Kirche foll Tifch gegoffen wird?' ,Es fliefst herunter. Warum alfo
doch lediglich auf die Art ihrer Theologie gehen, wie der nicht auch das auf dem Erdballe befindliche Waffer?'
Zufatz: hoc est Aristotelica deutlich beweift. Noch deut- (S. 367). Mit dem eifrigen Studium der Theologie und
licher geht das aus Luther's fpäteren Ausführungen: z. B. ; Philofophic, zu welchem er durch den Uebertritt in eine
Weim. Ausg. VI S. 509, 27ff. hervor. Gymnafiallehrerffellung veranlafst war und das zu mehr-

Der Herr Herausgeber hätte Luther gegen jenen un- fachen Veröffentlichungen befonders auf dem Gebiete
gerechtfertigten Vorwurf in Schutz nehmen können; aber ! der Religionslehrbücherliteratur führte, wuchs des Verf.'s
ftatt deffen kann er fich mehrfach nicht verfagen, feiner- Abneigung gegen römifches Kirchenwefen und kirch-
feits Luther eins anzuhängen. So ift der Vorwurf der liehen Dogmenzwang bis zu dem Entfchlufs, auch die

äufsere Scheidung zu vollziehen.

Die erften Abfchnitte des reichhaltigen Werkes behandeln
den Begriff der Wahrheit, das Verhältnifs des
Glaubens zum Wiffen und die Wege, die Wahrheit zu

Inconfequenz (S. 77 Anm. 3) nichts als kleinliche Wortklauberei
: 1. hat Luther gar nicht in der Captivitas Babylonica
, fondern in einem Briefe an Spalatin ausgefprochen:
non arguo ab exemplo, sed a verbo Christi, und 2. will er,

wenn er an einer Stelle auf das Wort reflectirt, damit das finden. Der Wahrheitsbegriff des Verf.'s: ,Wahr ift, was
Beifpiel doch nicht ein für allemal ausfchliefsen, er fafst j an fich und in fich wirklich ift' (S. 2), wie auch feine ganze
vielmehr an der von Duijnftee incriminirten Stelle beides j Stellung zur Erkenntnifstheorie zeigen, dafs er, obwohl
in den Ausdrücken: txemplum et institutio zufammen. philofophifch fonft wohl orientirt, durch die unerläfsliche

Uebrigens enthalten die Anmerkungen manche werthvolle
Notizen, namentlich Verweifungen auf ältere und
neuere Kirchenlehrer. Ohne Bedeutung ift dagegen die
Einleitung, die fich auf allgemein Bekanntes befchränkt.

ErichsburgbeiMarkoldendorf(Hann.).FerdinandCohrs.

Mach, vorm. Ob.-Gymn.-Prof. Franz, Das Religions- und
Weltproblem. Dogmenkritifche und naturwiffenfehaft-
lich-philofophifche Unterfuchungen für die denkende
Menfchheit. Mit einer Selbftbiographie und dem

Bildnifse des Verfaffers. Dresden 19OI, E. Pierfon's I punkte des objectiv und allgemein Giltigen und" Gevviffen

Auseinanderfetzung mit Kant nicht hindurchgegangen ift.
Der Glaube wird dem Wiffen untergeordnet. Er ift ein
blofses Surrogat des Wiffens, ein Nothbehelf, deffen Berechtigung
in dem Augenblick erlifcht, wo es gelingt,
ihn durch das ,Wiffen' zu erfetzen. Die Gefetze des
Denkens, die Bedingungen und Kriterien |der Wahrheit
gelten ausnahmslos, unbekümmert um die Qualität
des Objectes der Prüfung und Forfchung. Es ift daher
eine abfurde, unmethodifche und höchft gefährliche
Forderung, das rein fubjectiv Gewiffe — denn das ift
doch der Glaube — zur Grundlage und zum Ausgangs-

Verlag. (16, 19, LXXI, 1364 u. 19 S. gr. 8.)

M. 20.— ; geb. M. 24.—
Der Verf. des vorliegenden Werkes gehört zu den-

— und das ift doch die wiffenfehaftliche F.inficht — zu
machen und feine Weltanfchauung danach zu modificiren,
fein Leben und Streben, fein Thun und Laffen danach
einzurichten. Als wahr vermögen wir vielmehr nur das an-

jenigen katholifchen Gelehrten, welche durch ihre wiffen- zuerkennen, ,zu dem wir mit Nothwendigkeit geführt werden
fchaftliche Vertiefung in die Gefchichte der Kirche und des oder was als Thatfache des inneren Bewufstfeins oder der
Dogma's und durch ihr Studium philofophifcher Syfteme (äufseren und gefchichtlichen) Erfahrung gegeben ift' (S.28).
zu einer Klärung und Wandlung geführt wurden und aus Mit Hilfe diefes Kriteriums der Wahrheit werden zunächft
diefer inneren Wandlung die praktifchen Confequenzen i die herkömmlichen Gottesbeweife, der ontologifche, kos-
des Uebertritts zu einer anderen Religionsgemeinfchaft — j mologifche, phyfiko-teleologifche, moralifche und ge-
bei dem Verf. war es der Altkatholicismus — zogen. Das j fchichtliche, geprüft mit dem negativen Ergebnifs der
Werk, das er felbft als die .Summe feines Denkens Unmöglichkeit eines ftreng wiffenfchaftlichen Beweifes für