Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1903 Nr. 15

Spalte:

420-424

Autor/Hrsg.:

Blass, Friedrich

Titel/Untertitel:

Grammatik des Neutestamentlichen Griechisch. 2., verb. u. verm. Aufl 1903

Rezensent:

Thumb, Albert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

419

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 15.

420

Völkern und anderen Völkern überhaupt, bei denen die
Könige nach dem Attribut ihrer Macht und Gewalt, ihres
willkürlichen, felbftherrlichen, auf die eigenen Intereffen
bedachten Auftretens angefehen wurden, war der König
von Israel als ,unter Jahwe' ftets gleich Jahwe beftrebt,
nur Licht und Heil, Segen und Glück von feinem Thron
ausgehen zu laffen. Bei andern Völkern war das Volk,
der Staat um des Königs willen da, in Israel der König um
des Volkes, des Staates willen. Sobald es anders wurde,
erging das öffentliche Verdikt über den König' (S. 102).

Eine andere Bemerkung kann ich nicht unterlaffen.
Zwar hat Boehmer auf feinem Boden fleifsig gearbeitet;
das bezeugen auch die vielen Verweifungen auf Artikel
des Verfaffers, in denen Einzelnes feine genauere Ausführung
gefunden hat. Aber trotzdem hat er fich die
Arbeit zum Theil zu leicht gemacht: Er hat feinen
,Unterbau' auf zu wenig breiter Grundlage aufgeführt.
Denn damit, dafs man die Stellen, die jbtt oder ein vom
König ausgefagtes Verbum enthalten, zu Tode hetzt, ift
noch nicht Alles gethan. Die Aufgabe ift gröfser; und
an Material hätte es nicht gefehlt. Ich habe feiner Zeit
zu zeigen verfucht, wie feit der Einführung des Deutero-
nomiums der mafsgebende Gefichtspunkt für die Folgezeit
wurde, dafs die Religion fich in einer Verfaffung
darfteile. Wer z. B. einem folchen Gedanken aufmerkfam
nachzugehen verfuchen würde, der fände zu feinem
,altteftamentlichen Unterbau' der neuteftamentlichen ßa-
öiXsia doch wohl noch Baufteine am Wege, wo Boehmer
fie nicht gefucht hat. Oder follte diefe jüdifche Auffaffung
der Religion als theokratifcher Verfaffung auf den neuteftamentlichen
Reichs-Gottesgedanken wirklich ohne
Einwirkung geblieben fein? Ich bezweifle das (vgl. Stellung
der Israeliten und der Juden zu den Fremden S. 338, A. 3). —
Dagegen ift Boehmer natürlich kein Vorwurf daraus zu
machen, dafs er fich im vorliegenden Buche ausfchliefs-
lich an das Alte Teftament hält; denn im Vorwort ver-
heifst er uns eine mit der Zeit folgende ,Ergänzung durch
Erörterung der apokryphifch-pfeudepigraphifchen und tal-
mudifchen Gedankenwelt, foweit diefe vorchriftlich oder
den Anfängen des Chriftentums gleichzeitig ift'. Es wird
dann feine Aufgabe fein, aufzuzeigen, inwieweit der neu-
teftam entliche Reichs-Gottesgedanke durch die zeit-
genöffifche Literatur bedingt erfcheint, bezw. inwiefern
er über fie hinweg unmittelbar an das altteftamentliche
Schriftthum anknüpft. Seine fchon vorliegenden Aeufse-
rungen (S. 3 f.) genügen, um zu zeigen, dafs er diefen
letzten Zufammenhang im Gegenfatz zur heute herrfchen-
den Auffaffung in einer Weife zu betonen geneigt ift,
die ihm mancherlei Widerfpruch eintragen wird.

Boehmer's Darftellung ift für mein Gefühl von unerträglicher
Breite. Was er uns zu fagen hatte, wäre auf
ungleich kürzerem Raum zu fagen gewefen und hätte in
gedrängterer Form vielleicht den Vorzug gehabt, dem
Lefer den Eindruck der Langenweile des Buches zu
erfparen. Es lieft fleh in feiner Breitfpurigkeit, als hätte
man auf dem Boden der altteftamentlichen Wiffenfchaft
viel übrige Zeit zu verlieren.

Noch hätte ich gegen Einzelheiten mancherlei Widerfpruch
zu erheben. So ift z. B. auf S. 63 die Ueberfetzung
von Dtn 33,3: ,man erhob fich erft wieder, nachdem du
geredet' fchlimmer als der Verzicht auf eine Ueberfetzung
des verdorbenen Textes. Aber ich verfage mir, um
fernerer Einwendungen willen, die insKleine gehen würden,
felber weitläufiger zu werden. Von Druckfehlern notire
ich S. 72 Z. 7 von unten: rtJH ft. W1; S. 101 Z. 10 v. o:
gewindenen ft. gemiedenen; S. 173 unterfte Zeile bica ft-
ybä; S. 212 Z. 2 v. u. quietilifch ft. quietiftifch. Am ver-
ftümmelten Satz S. 117 Z. 14 v. o. müfste auch die Kunft
eines gewiegten Conjecturalkritikers wohl fcheitern.

Bafel. Alfred Bertholet.

Blass, Prof. DD. Friedrich, Grammatik des Neutestament-
lichen Griechisch. Zweite, verbefferte und vermehrte
Auflage. Göttingen 1902, Vandenhoeck & Ruprecht.
(XII, 348 S. gr. 8.) M. 6.— ; geb. M. 6.80

Dafs der Verf. des vorliegenden Buches in der theo-
logifchen und philologifchen Literatur eine empfindliche
Lücke in fachgemäfser Weife ausgefüllt hat, ergiebt fich
aus dem rafchen Abfatz des Werkes, das fchon nach
fechs Jahren eine neue Auflage nöthig machte. Die
Brauchbarkeit des Buches zu unterfuchen, ift daher über-
flüffig; aber es verlohnt fich, den Charakter desfelben
und fein Verhältnifs zur erften Auflage zu befprechen.
Die neue Auflage bedeutet im Allgemeinen gegenüber
dem erften Erfcheinen des Buches keine principielle
Aenderung oder Verfchiebung des Themas und feiner
Durchführung. Die Vermehrung des Umfanges (um
20 Seiten) ift durch einige neue Abfchnitte (S. 169 Nr. 5,
308 Nr. 7), meift aber durch kleinere Zufätze (Anführung
neuer Literatur, neuer Belege oder neuer Thatfachen) bedingt
. So find z. B. theologifche und philologifche Arbeiten
wie Deifsmann's Neue Bibelftudien, des Ref. Buch
über das helleniftifche Griechifch, W. Schulze's Graeca
Latina herangezogen; der Verf. zeigt aber auch Belefenheit
in entlegenen theologifchen Zeitfchriften, die dem Philologen
leicht entgehen.

Je mehr man die Sprache des N. T.'s im Zufammenhang
mit den fonftigen Denkmälern der Koivy ftudirt,
defto mehr zeigt fich, dafs bisher ifolirte Thatfachen
jener fich in die Entwicklung der helleniftifchen Sprache
einordnen. Die Thätigkeit der letzten Jahre hat manche
Belege dafür gebracht; neuteftamentliche Erfcheinungen
wie z. B. evcöxiov (S. 129), exl xb avxb 'zufammen'
(S. 137), avaxelXeiv 'aufgehen laffen' (S. 187), sxsl py,
Ott py (260) find nicht fo vereinzelt, als es fcheinen
möchte; der Verf. hat fie durch Parallelen aus der profanen
Graecität ihrer Sonderftellung beraubt. Er hätte
aber die Literatur der letzten Jahre noch ftärker ausnützen
können, als es gefchehen ift. Man vermifst zu-
nächft Jannaris' Historical Greek Grammar, worauf öfter
mit Nutzen verwiefen werden konnte, z. B. (S. 99) bei
Ig, dxö ftatt partitivem Genetiv (Jannaris § 1311t.), (S. 176)
bei öoxiq = bq [ib. § 1435), (S. 221) bei säv ftatt av [ib.
§ 1774). Ferner habe ich mir notirt: zu xaxyymq (S. 30)
Radermacher Rhein. Muf. LVII 148., zu xgcoyco 'effen'
(S. 56) Haufsleiter Arch. f. lat. Lexikogr. IX 300 ff., zu den
Verbalfubftantiven auf -poq und -pa (S.65) Stratton, History
of Greek Noun Formation (vgl. Indog. Forfch. Anz. Xll
65 f.), zu xcdxixog (S. 68) Naber Mnemosyne XXX 1 ff. und
Neftle Ztfchr. f. neuteft. Wiff. III 169 ff, zu evayysXi&o&ai
(S. 72) A. Dieterich ib. I 336 ff., zum Gebrauch des Accu-
fativ (S. 90 ff.) Völker Papyr. graec. syntaxis speeimen
(Bonn 1900), zu [xo)xq'lxov 'zum dritten Male' (S. 146)
Radermacher Philologus LX 492 f.

Kleinere ftoffliehe Zufätze, wie der Hinweis auf
bötxyöq (S. 22), auf das Adv. xapv (S. 61), auf xgoy-
yttöd-ai 'vorziehen' (S. 91), auf die diftributive Verwendung
von slq (S. 126), auf xo ava öyvagiov Mt. 2010
(S. 16b) u. dgl. m. ziehen fich durch das ganze Buch hin.
Aber man vermifst auch Einiges, worüber insbefondere
der Theologe unterrichtet werden müfste. Der Verf. bemerkt
S. 21: ,Allgemeine Lautwandelungen in der Sprache
des N. T.'s gegenüber dem Attifchen liegen offen nicht
oder nicht mehr vor: die gleichgebliebene oder die
wiederhergeftellte Orthographie verdeckt fie'. Der Satz
ift an fich richtig und kann dennoch falfche Vorftellungen
erwecken; wie grofse Lautwandelungen hat die griechi-
fche Sprache feit der claffifchen Zeit bis zum N.T. durchgemacht
! Die Verfchiebungen der Ausfprache (befonders
der Vocale) find doch nichts anderes als ein durchgreifender
Entwicklungsprocefs, der das alte Lautbild
völlig verändert hat. Man erwartet daher in einer Grammatik
des N. T.'s eine Darfteilung diefes Proceffes oder