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Ausgabe:

1903 Nr. 1

Spalte:

17-18

Autor/Hrsg.:

Lempp, Ed.

Titel/Untertitel:

Frère Élie de Cortone 1903

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 1.

Lempp, Ed., Frere Ehe de Cortone. Etüde biographique.
(Collection d'etudes et de documents sur l'histoire
religieuse et litteraire du Moyenäge. Tome III.) Paris
1901, Fifchbacher. (220 p. 8.) Fr. 7.50

In der Beurtheilung der Quellen zur Gefchichte der
älteften Franziskaner fchliefst fich Lempp'in der Hauptfache
an Sabatier an und theilt auch im Wefentlichen
feine Auffaffung des Elias von Cortona (vgl. Speculum
perfcctionis ed. Sabatier, S. LI f., CIV f., CXIIIf. Note).
Insbefondere theilt er mit ihm die Anficht, dafs das
über Elias handelnde Stück des Speculum vitae — Sabatier
hat aus dem Speculum vitae das von Bruder Leo
1227 vollendete Speculum perfecüonis herausgefchält —
fehr alt und fehr werthvoll fei; es mufs auf eine Quelle
zurückgehen, die vor 1260 yerfafst ift. Das ift auch der
Grund, warum L. für die Jahre 1230—32 den Bericht
diefes Stückes dem des Thomas von Ecclefton vorzieht.
L. vertritt feine Anfchauung mit guter und forgfältiger
Begründung (vgl. S. 24 ff., 96—100).

Lempp beginnt mit der Befprechung der Quellen
(S. 11—34). Von der Hand des Elias befitzen wir nur
den Brief, in dem er dem Orden Franzens Tod anzeigt
(abgedruckt S. 70. 71). Der Brief des Franz an Elias,
den L. für echt hält, wird im Anhange abgedruckt
(S. 161 f.). Die päpftlichen Bullen und fonftigen Dokumente
, die auf Elias Bezug nehmen, werden kurz cha-
rakterifirt und dann die Legenden und Chroniken nach
ihrem Werth für die Gefchichte des Elias behandelt.
Nirgends fcheint die Tendenz des Schriftflellers gröfsere
Bedeutung zu haben, als in der älteften Franziskaner-
gefchichte; die verfchiedenen Strömungen im Orden bemächtigen
fich in ihrer Weife der Vergangenheit und
erweifen daraus das Recht der Gegenwart. Auch die
Geftalt des Elias hat unter der Tendenz der Schrift-
fteller zu leiden gehabt; darum ift es fo fchwer, fich von
ihm ein objectives Bild zu machen. Freilich nicht fo-
wohl darin liegt die eigentliche Schwierigkeit, dafs z. B.
das speculum perfcctionis ihm feindlich, die erfte Legende
des Thomas von Celano ihm freundlich gefinnt ift; vielmehr
berichtet die eine Quelle, was der anderen geradezu
widerfpricht. Es gehört grofser Tact und grofser Scharf-
finn dazu, das Richtige herauszufinden; L. befitzt beides
in wünfchenswerther Weife. Noch ein drittes kommt
dazu: die Legende der drei Genoffen, die zweite Legende
des Thomas von Celano, Bonaventura erwähnen Elias
überhaupt nicht, offenbar wegen feines Uebergangs zum
Kaifer und feiner Excommunication. Auf diefen letzten
Punkt fcheint mir L. nicht genügend aufmerkfam gemacht
zu haben. Den Gegenfatz zwifchen den Franziskanern,
die an Franzens Ideal fefthalten wollten und denen,
welche, den realen Verhältnifsen Rechnung tragend, den
Intentionen der Kurie folgten, hat L. in überzeugender
Weife zum Ausdruck gebracht, aber wie mir fcheint,
nicht genügend beachtet, dafs im Orden fich eine anti-
kaiferliche Strömung bemerkbar machte, fobald, er
fich zu einem Werkzeuge der Kurie entwickelt hatte.
Hier fcheint mir auch der Schlüffel zum Verftänd-
nifiQdes Elias zu liegen. Salimbene berichtet von ihm,
dafs er die Gunft des Kaifers und des Papftes hatte
(bei Lempp, S. 108 Anm. 2). Man wird fchliefsen dürfen,
dafs er, im Sinne feines Meifters Franz, den Gegenfatz
zwifchen Imperium und Sacerdotium zu überbrücken
fuchte und wufste. Es ift bezeichnend, dafs er zum
Generalminifter des Ordens beftellt wurde in einer Zeit,
als zwifchen Friedrich II. und Gregor IX. Friede war
(1232); der Papft liefs ihn fofort fallen, als der Bruch
mit dem Kaifer vollzogen war 1239. Als Leiter des
Ordens, der eine Waffe gegen den Kaifer fein follte,
war er nicht mehr zu gebrauchen. Und dafs er fich
Friedrich II. anfchlofs, braucht nicht aus Feindfchaft
gegen Gregor IX. erklärt zu werden, fondern aus Antipathie
gegen die fich immer mehr fteigernde Kaifer- j

feindlichkeit des Ordens. Mir fcheint überhaupt, als ob
in den neueren Unterfuchungen über die ältefte Fran-
ziskanergefchichte das politifche Element viel zu wenig
berückfichtigt worden wäre. Franz hatte nur ein reli-
giöfes, kein kirchenpolitifches Intereffe; Elias glaubte
' noch in Frieden mit Kaifer und Papft leben zu können.
1 Er ahnte wohl nicht, dafs er hauptfächlich die Schuld
daran trug, dafs fein Orden nicht auch über den Gegen-
fätzen bleiben konnte. Denn er war es doch, der den Orden
1 andieKuriegekettethatte. Sinddiefe Beobachtungen richtig,
j fowird man lieh hüten müffen,von einem ausfchliefslichen
' Gegenfatze zwifchen Franz und Elias zu reden. Ich wäre
dem Herrn Verf., der die ältefte Franziskanergefchichte
fo ausgezeichnet kennt, dankbar, wenn er mich be-
I lehren wollte,ob diefe Auffaffung zu halten ift.

Nach der kritifchen Ueberficht über die Quellen
j handelt Lempp in vier Abfchnitten von Elias: Elias zu
I Franz' Lebzeiten; Elias von Franz' Tod bis zu feinem
Generalat; Elias als General; Elias von feiner Abfetzung
bis zu feinem Tode. Ueber das Datum und den Ort der
Geburt wiffen wir nichts; es ift möglich, dafs er aus Afiifi
flammte; jedenfalls ftammte er nicht aus Cortona. Das
Jahr feines Anfchlufses an Franz und die Urfachen, die
dazu führten, find unbekannt. Nach feiner und Franz'
Rückkehr aus dem Orient beginnt feine bedeutende
Thätigkeit: fie befteht in feiner Mittlerfchaft zwifchen
Franz und Hugolin, d. h. der Kurie. Er weifs Franz
den Intentionen der Kurie gemäfs zu beeinfluffen. In
feiner Stellung zur Kurie liegt der Schlüffel zu feiner
Gefchichte. (S. 44). Es ift höchft intereffant zu lefen,
wie L., geftützt namentlich auf das Speculum perfcctionis,
das Verhältnifs zwifchen Franz und Elias darlegt. Man
fieht, wie Franz' Stiftung zum Orden wird; wie das
Ideal vor der praktifchen Nothwendigkeit zurückweichen
mufs. So grofs der principielle Gegenfatz ift, fo war
doch das perfönliche Verhältnifs keineswegs ein hoch-
gefpanntes. Der Gegenfatz war in der Verfchiedenheit
der Naturen begründet. Gerade hier zeigt fich die Umficht
, mit der L. urtheilt. Er verkennt nicht, wie bedeutend
das organifatorifche Talent des Elias war, wie
es fein Verdienet ift, dafs der Orden grofs und einflufs-
reich wurde, dafs wiffenfehaftlich gebildete Männer fich
| ihm anfchloffen. Seinen Sturz führt er (nach den Chroniften)
zurück nicht auf den Zorn der Strengen, fondern auf die
Unzufriedenheit des Ordens mit feinem abfoluten Regiment
und feinem Privatleben. Auch die Oppofition der Kleriker
I gegen ihn, der Laie war, hat mitgewirkt. Seine Verbindung
mit Friedrich II., die Verfuche, ihn in den Orden zurückzuführen
, feinen Tod fchildert das letzte Capitel.

Sehr dankenswerth find die Beigaben: der Brief des
Franz an ihn, das von Elias handelnde Stück des Spe-
1 culum vitae; 8 Urkunden, abgedruckt meift nach den
Originalen; Nr. 3, ein Auftrag an Bruder Bonus, war
1 bisher ungedruckt; Nr. 8 ift das Protocoll über die
j Abfolution des Elias. — Zum Schlufs noch eine Bemerkung
: aurum comedere kann doch unmöglich wörtlich
genommen werden, wie L. S. 93 und 131 will: es
heifst: Gold verbrauchen, mit anderen Worten: feinen
Lebensunterhalt mit Geld beftreiten.

Halle a. S. Gerh. Fi.cker.

Beck, Hermann, Kaspar Klee von Gerolzhofen. Das Lebensbild
eines elfäffifchen evangelifchen Pfarrers um die
Wende des 16. und 17. Jahrhunderts. (IV, 56 S.

gr- 8.)

Eberlein, Paft. Lic. Gerhard, Die schlesischen Grenzkirchen
im XVII. Jahrhundert. (S. 31—64 mit 1 Karte. 1

Schnell, Gymn.-Oberlehr. Dr. H., Heinrich V., der Friedfertige
, Herzog von Mecklenburg. 1503—1552. (VIII,
72 S. gr. 8.)