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Ausgabe:

1903

Spalte:

393-395

Titel/Untertitel:

Traub, Die neue Auffassung der israelitischen Religionsgeschichte und der christliche Offenbarungsglaube 1903

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. in Berlin, und D. E. Schürer, Prof. in Göttingen.

Jährlich 26 Nrn. Verlag: J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung, Leipzig. Jährlich 18 Mark.

Nr. 14. 4- Juli i9°3- 28. Jahrgang.

Traub, Die neue Aufladung der ifraelitifchen
Religionsgefchichte und der chriftliche Offen-
barungsglaube (Lobftein).

Holzhey, Schöpfung, Bibel und Infpiration
(Lobftein).

Robinson, The study of the Gospels (Cle-
men).

Haupt, Die Gefangenfchaftsbriefe [Meyer's
Kommentar VIII u. IX] 8. bezw. 7. Aufl.
(Holtzmann).

Albrecht, Die Kirche im apoftolifchen und
nachapoftolifchen Zeitalter, 2. Bd. (Clemen).

Acta apostolorum apocrypha edd. Li'psius et

Bonnet II, 2 (Hennecke).
G i b s 0 n, The Didascalia apostolorum in Syriac

edited from a Mesopotamian manuscript

(Nestle).

Gibson, The Didascalia apostolorum in Eng-
lish, translated from the Syriac (Derf.).

Nau, La Didascalie traduite du Syriac (Derf.).

Funk, Le Date de la Didascalie des apötres
(Derf.).

Führer, Die Katakombe im Molinello-Thal
bei Augufta in Oftfizilien (H. Achelis).

Führer, Altchriftliche Begräbnisanlagen bei
Ferla in Oftfizilien (H. Achelis).

Mayr, Die altchriftlichen Begräbnisftätten auf
Malta (Derf.).

Schwab, Le Manuscrit hebreu Nr. 1388 de la
Ifibliotheque nationale (Schürer).

R6 vi 11 e, Le protestantisme liberal, ses origines,
sa nature, sa mission (Lobftein).

Roberty, Auguste Bouvier, teologien Protestant
(Lobftein).

Bouvier, Dogmatique chretienne, publice par
Montet (Derf.).

Traub, Die neue Auffassung der israelitischen Religions- Löfung er im zweiten Theile feines Programms ver-
aeschichte und der christliche Offenbarungsglaube. Pro- | fucht.:. Ift die moderne Auffaffung vom Gange der

gramm des evangelifch-theologifchen Seminars in Schönthal
, Heilbronn 1902. (31 S.)

Der in vorliegendem Programm behandelte Gegen-
üand ift in neuerer Zeit von verfchiedenen Seiten aus in
Angriff genommen und behandelt worden. Ich erinnere
an die Vortrage von Vuilleumier, Les resultats des
travaux les plus recents sur lAncien Testament
et leur influence sur Thistoire religieuse et la
dogmatique chretienne 1893, von Marti, Der Ein-
flufs der neueflen altteftamentlichen Forfchungen
auf Religionsgefchichte un.d Glaubenslehre, 1894,
von Dorne, Die Ergebnifse der neueren altteftamentlichen
Forfchungen und ihre Bedeutung für
die Kirche, 1894. Auch König's, Köhler's und Oetli's
Schriften mögen noch erwähnt werden (Altteftament-
liche Kritik und Chriftenglaube 1893, Die Berechtigung
der Kritik desAlten Teftaments, 1895,
Der gegenwärtige Kampf um das alte Teftament,
1896). — Traub's Unterfuchung gliedert fich in zwei
Theile: einen hiftorifchen (S. 4—20), welcher ein fehr
anfehauliches Bild vom Entwicklungsgang der Religion
Ifraels, auf Grund der Hypothefe Wellhaufen's und
feiner Schule, entwirft; und einen dogmatifchen (S. 20—31),
der das Verhältnifs diefer Auffaffung zu dem von der
chriftlichen Religion unabtrennbaren Glauben an eine
reale göttliche Offenbarung behandelt. Im Unterfchiede
von den oben genannten Schriften liegt für Traub der
Schwerpunkt der Darfteilung in der dogmatifchen Frage,
für welche nur die drei Hauptepochen des Entwicklungsganges
der Religion Ifraels in Betracht kommen: die
vorprophetifche Religion (4—12), die prophetifche Religion
(13—17)) die priefterliche Religion (17—20); auf die letzte
Periode, die Zeit der Schriftgelehrten, brauchte der Verf.
in der That nicht einzugehen.

Die hiftorifche Skizze, in welcher felbftverftändlich
nur die treibenden Kräfte, die entfeheidenden Wendepunkte
und die wichtigften Beweisgründe angedeutet
werden konnten, ift auch für den Laien höchft lehrreich.
Die Gefahr, welcher die Specialforfcher nicht feiten erliegen
, hat Tr. glücklich vermieden: er verliert fich
nicht in das Detail, läfst vielmehr die wefentlichen Züge
des von ihm entworfenen Bildes fcharf und lebendig
hervortreten, und liefert fomit von den drei erften
Perioden der ifraelitifchen Religionsentwickelung eine
fehr dankenswerthe Ueberficht.

Durch diefe gefchichtliche Erörterung hat fich der
Verf. den Weg zur dogmatifchen Frage gebahnt, deren

ifraelitifchen Religionsgefchichte mit dem Glauben an
eine reale Gottesoffenbarung vereinbar? Diefe Frage
müfste unter zwei Bedingungen von vornherein verneint
werden. Dann nämlich, wenn die Vorftellung von der
Offenbarung fo gefafst werden müfste, dafs fie die Irr-
thumslofigkeit des Schriftbuchftabens fordern würde;
oder wenn umgekehrt die Behauptung im Recht wäre,
dafs die entwickelte Theorie einer naturaliftifchen Welt-
anfehauung entfprungen fei. — Allein jenes Dogma von
der die Unfehlbarkeit der Bibel in fich fchliefsenden Verbal-
infpiration ift eine dogmatifche Vorausfetzung, die von
keinem denkenden Theologen der Gegenwart mehr wiffen-
fchaftlich vertreten wird. Andererfeits fpielt der Entwicklungsgedanke
in der altteltanlentlichen Forfchung nicht als
Weltanfchauungsprincip eine Rolle, fondern nur als
heuriftifches Princip, welches feine Beftätigung durch
die Thatfachen erwartet und fordert. Ja bei der Anwendung
diefes Forfchungsprincips ift fich auch der nach
den caufalen Zufammenhängen fuchende Hiftoriker
von vornherein darüber klar, dafs auf gefchichtlichem
Gebiete eine reftlofe caufale Erklärung niemals erreicht
wird, weil der Begriff der Perfönlichkeit eine folche verbietet
. Glaubt er daher eine Entwickelung an den vorliegenden
Thatfachen nachweifen zu können, fo meint
er den Begriff vorwiegend im teleologifchen, nicht im
caufalen Sinne.

Können fomit weder die Infpirationstheorie noch
der Naturalismus gegen die religionsgefchichtliche Hypothefe
der modernen Forfchung ausgefpielt werden, fo
erhebt fich aufs Neue die Frage, ob diefe Hypothefe und
der chriftliche Offenbarungsglaube miteinander vereinbar
find. Darauf ift zu erwidern, dafs was im perfönlichen
Leben Jefu der innerfte Kern ift, von diefer ganzen Frage
gar nicht berührt wird. Hat nun der chriftliche Glaube
gerade an dem perfönlichen Leben Jefu fein Fundament,
fo kann von einem Widerfpruch zwifchen der modernen
Hypothefe und dem chriftlichen Glauben nicht die Rede
fein. Ein folcher Widerfpruch wäre nur dann zu befürchten
, wenn Jefu Anfchauung vom Alten Teftament
für uns normativ fein könnte. Eine folche Annahme
wäre aber eine unerträgliche Verkehrung der Autorität
Jefu und würde fein gefchichtliches und menfehliches Däfern
geradezu aufheben.

Auch die weitere Frage, ob die ifraelitifche Religionsgefchichte
in ihrer modernen Beleuchtung unter die
Kategorie der Offenbarung geftellt werden kann, wird nur
derjenige verneinen können, der apriori darüber zu ent-
fcheiden wagt, dafs eine von niedrigen Anfängen zu

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