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Ausgabe:

1903 Nr. 13

Spalte:

379-382

Autor/Hrsg.:

Meyer, K.

Titel/Untertitel:

Der Prolog des Johannesevangeliums 1903

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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379

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 13.

380

Meyer, Lic. theol. K., Der Prolog des Johannesevangeliums.

Nach dem Evangelium erklärt. Leipzig 1902, A. Dei-
chert, Nachf. (III, 101 S. gr. 8.) M. 2.—

Simon, Schlofspfr. Lic. Dr. Theodor, Der Logos. Ein
Verfuch erneuter Würdigung einer alten Wahrheit.
Leipzig 1902, A. Deichert, Nachf. (V, 132 S. gr. 8.)

M. 2.25

1. Der Verf. der erftgenannten Arbeit beabfichtigt,
den Verfuchen gegenüber, welche den Prolog nur in eine
lofe Beziehung zum Evangelium fetzen oder die Er-
kenntnifs feiner Bedeutung erft durch Abänderungen
am gegebenen Texte zu gewinnen hoffen, den engen
Zufammenhang desfelben mit dem ganzen Werke nach-
zuweifen. In feiner Erklärung zieht er aber nur das
Evangelium felbft und vielfach auch den erften Brief des
Johannes heran. Für die Grundbegriffe des Prologs: Wort,
Leben, Licht, Gnade und Wahrheit wird allerdings noch
eine Anzahl altteflamentlicher Stellen zur Erläuterung beigebracht
; aber der Verf. deutet und combinirt fie frei
in feiner Weife, und bringt es fo weit, aus ihnen eine
ihm paffende altteftamentliche Vorlage zu fchaffen, auf
welcher der joh. Prolog fich direct aufbauen läfst. Ob
diefe Begriffe nicht fchon vor ihrer Verwendung in der
joh. Literatur eine beftimmte, gefchichtlich controlirbare
Entwickelung durchgemacht, ob fie nicht im vorchrift-
lichen Judenthum ein eigenes Gepräge erhalten hatten,
für diefe Frage, welche über den für ihn allein mafs-
gebenden Bibelkanon hinausführen würde, hat M. gar
keinen Sinn. Höchftens in Bezug auf die oft behauptete
Abhängigkeit des vierten Evangeliums von Philo erklärt
er kurz im Anfchlufs an Autoritäten, welche dem Problem
ernftlich nachgegangen find, dafs es fich nur um Anklänge
und äufsere Verwandtfchaft handelt. Auch wenn er es
für wahrfcheinlich hält, dafs die verwandten Vorftellungs-
reihen des Evangeliums und Philo's auf eine gemeinfame
Quelle zurückgeführt werden müffen, fo ift es für ihn
eine ausgemachte Sache, dafs diefe Quelle nur das A.
Teftament fein könne. Auch wer fich mit der verbreiteten
Annahme nicht befreunden kann, dafs die johan-
neifche Logostheologie aus dem Philonismus herzuleiten
fei, der mufs doch das vorliegende Verfahren des
Verf.'s als ein methodifch recht mangelhaftes und willkürliches
kritifiren. Er macht z. B. gegen Philo geltend,
dafs bei ihm die Schöpfungsmittlerfchaft des Logos
ein Centraigedanke ift, während diefe Idee im Prolog
nur angegeben werde und diefe Angabe im Evangelium
keine oder kaum eine Parallele aufweife (p. 16).
Es läfst fich aus einem fo ,argen Mifsverhältnifs' gewifs
argumentiren. Aber woher nimmt dann M. feinerfeits
das Recht, die Ausfagen des Prologs durch die altteftamentliche
Vorftellung vom Geilte zu erläutern
(p. 8 f.)? Die Idee des jtvsvfia ift allerdings im Evangelium
recht häufig, aber im Prolog ift nicht die ge-
ringfte Spur davon zu finden, und darum ift das Mifsverhältnifs
hier noch viel ärger. Die ,dogmatifche'
Verficherung, dafs die beiden Begriffe ,unauflöslich mit
einander verbunden find' (p. 13), flöfst dem Hiftoriker
kein Vertrauen ein, denn er bleibt fich deffen wohl be-
wufst, dafs nur durch ftrenges Auseinanderhalten der
in den Texten felbft gefchiedenen Gedankenreihen
und Begriffe über den Urfprung derfelben und weiterhin
dann auch über den Charakter des Prologs Sicheres
ermittelt werden kann.

Die Vorausfetzung, dafs der Prolog fich im Lichte
des A. T. aufhelle, bringt den Verf. dazu, den Hauptgedanken
desfelben in dem Gegenfatz zwifchen Mofes
und Jefus Chriftus, Gefetz und Gnade, Weisfagung und
Erfüllung, unvollkommener und vollendeter Offenbarung
zu finden. Diefe Aufftellung ift allerdings nicht gut zu
vereinen mit der Auffaffung, die zuvor aus dem äufseren
Aufbau des Prologs mit feinem Parallelismus und feiner

,ftrengen Einheitlichkeit des Subjects' gewonnen wurde.
Darnach enthalten die Stellen, in welchen der Evangelilt
zwei Mal mit 6 loyoq einfetzt (V. 2 u. V. 14), die grundlegenden
Ausfagen. Aber auch die Hauptgefichtspunkte,
unter welche die 18 Verfe des Prologs gruppirt werden,
nämlich das Heil als Gottes Offenbarung (V. 1—5),
das Heil als gefchichtliche Erfcheinung (V. 6—13)
und das Heil als perfönliche Erfahrung (V. 14—18)
laffen auf den erften Blick gar nichts von einem Gegenfatz
wahrnehmen, fondern würden fich am einfachften als
eine pofitive Darlegung der Bedeutung und der Ge-
fchichte des Logos bezeichnen laffen. Allerdings ift nach
M. in dem Prolog nicht von dem Logos asarkos die Rede,
in allen drei Abfchnitten fei mit fteigender Deutlichkeit das
in Jefu Chrifto erfchienene Heil gemeint. Nachdem im
erften der Träger der Offenbarung und des Heils cha-
rakterifirt worden fei, bringe der zweite die Befchreibung
feines Erfcheinens in der Welt, worauf der letzte den
Eindruck fchildere, den er auf die Augen- und Ohrenzeugen
feines Lebens gemacht habe.

Die Täuferftücke des Prologs in befriedigender
Weife in diefen Aufrifs hineinzuzeichnen, gelingt M. fo
wenig wie den meiften Anderen. Er mufs zwar ein ,be-
fonderes polemifches Intereffe' (p. 91) gegen den Täufer
zugeftehen, er redet fogar von einem ,ernften Anliegen
des Verfaffers, einer Üeberfchätzung des Täufers entgegenzutreten
' (p. 39). Aber das übt fchliefslich doch
keinerlei Einflufs auf feine Deutung des Prologs aus.
Kann man dafelbft ,einen gewiffen gegenfätzlichen Parallelismus
finden', fo fei doch wieder nicht wahrfcheinlich
, dafs er ein abfichtlicher ift. Auf Grund einiger exe-
getifcher Detailfragen, wie diejenige ob aytvsxo und rjl&sv
in den erften Prologverfen hiftorifch oder metaphyfifch zu
faffen find, läfst fich allerdings über die Täuferhypothefe
nichts Beftimmtes ausmachen. Diefe hängt nicht an einzelnen
Stellen, über welche heute auch der Ref. z. Th.
anders urtheilt als vor Jahren, und es follte M.
nicht den Anfchein erwecken, als ob die ,ganze Hypo-
thefe von den Johannesjüngern und der Gegnerfchaft des
Evangeliften gegen fie nur auf den Prolog aufgebaut fei'
(p. 39). Mit der heute fchon fich einbürgernden exe-
i getifchen Methode aber, welche die neut. Schriften und
I insbefondere auch das joh. Evangelium in Anlehnung an
die Theologumena der jüdifchen Meffianiften zu deuten
fucht, wird M. nicht fo leicht fertig werden. Subjectivis-
mus und Apologetik werden zuletzt vor den ,kanonifchen'
Ausfagen felbft Halt machen müffen. Anftatt es z. B.
mit einem Ausrufungszeichen der Entrüftung zu brandmarken
, dafs der Ref. ,das rjyalliäoaxo (Joh. 850) als
meffianifche Ausdeutung des Lachens Abraham's in
Gen. 17 zu erklären vermag' (p-45), hätte uns der Verf. lieber
klar machen follen, warum Paulus Rom. 420 in offenem
Widerfpruch zu der Erzählung der Genefis von dem
Zweifel Abraham's die Glaubensfreudigkeit des
Patriarchen preift. Vielleicht wäre er zu dem Refultat
gelangt, dafs auch die paulinifche Schilderung eine ganz
ähnliche Ausdeutung des Lachens Abraham's vorausfetzt
wie Joh. 8 56. Bei einem gefchichtlich fo feft umgrenzten
Stoff, wie die neuteftam. Gedankenwelt, follte
der Exeget es fich zur Regel machen, fo lange es
durchzuführen ift, nur die objectiven, im Stoff felbft
liegenden Mafsftäbe der Erklärung zur Anwendung zu
bringen. Die Combinationsgabe des Verf.'s und der von
ihm aufgewandte Scharffinn hätten bei anderer methodi-
fchen Schulung zweifellos zur Förderung des johannei-
fchen Problems ein Wefentliches beigetragen.

2. Mit der befprochenen Arbeit hat der Verfuch von
Th. Simon über den Logos gemein, dafs auch für ihn nicht
eine rein hiftorifche, nur auf den Context und die zeit-
gefchichtlichen Anfchauungen fundirte Exegefe den Aus-
fchlag giebt; aber während bei M. die dogmatifche Wahrheit
über dem exegetifchen Gefchäft waltet, ift es hier