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Ausgabe:

1903 Nr. 12

Spalte:

358

Autor/Hrsg.:

Voigt, Heinrich Gisbert

Titel/Untertitel:

Der Missionsversuch Adalberts von Prag in Preussen 1903

Rezensent:

Mirbt, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 12.

358

in jenem Werk und in dem dazugehörigen Atlas Bilder
gegeben find. Auch die Bildhauerarbeiten jener Zeit auf
religiöfem Gebiet find der Beachtung werth, z. B. die
Grabdenkmale, wie fie Jofef Schmid von Urach und Simon
Schlör gefchaffen haben. Welche Freude an der Natur
und welche Lebenswahrheit zeigt nicht z.B. dieEinfaffung
eines Grabdenkmals von Jof. Schmid in der Kirche zu
Stöckenburg bei Schwab.-Hall! Die von Schlör gefchaffe-
nen Denkmale der württembergifchen Grafen in der
Stiftskirche zu Stuttgart dürfen fich neben den mittelalterlichen
wohl fehen laffen. Die Darftellung der zwölf
Artikel des chriftlichen Glaubens von Schlör, urfprüng-
lich in der Schlofskapelle in Stuttgart, jetzt im Schlofs-
hof, wo unreine Hände fich daran vergreifen können, ift
zwar kein ganz grofsartiges Kunftwerk, aber doch der
Beachtung werth.

Die .Kirchengefchichte für das evangelifche Haus'
darf fich der Aufgabe nicht entfchlagen, der ultramontanen
Gefchichtsfchreibung gegenüber die alte Thefe des kunft-
verftändigen Oberhofpredigers Grüneifen zu vertreten:
Protestantismus artibus liaud infaustus.

Diefe Thefe dürfte auch in Bezug auf die Mufik gel-
ten. Wenigftens hat Referent an der ,Hofcantorei in
Stuttgart unter Herzog Chriftoph und Ludwig (Württb. j
Vierteljahrshefte für Landesgefchichte 1898, 124fr.; icyoo,
253fr.) nachgewiefen, wie der Proteftantismus in Württemberg
auf diefem Gebiet im 16. Jahrh. eine Blüthe gefehen
hat, wie man fie hier vor der Reformation nicht kannte.
Ref. ift nicht mufikverftändig und kann daher nicht be-
urthcilen, wie weit die Leiftungen der Stuttgarter Kapelle
hinter der Münchner unter Orlando di Laffo zurückftehen,
aber in der Ausftattung mit mufikalifchen Kräften darf
fich jene mit diefer wohl meffen. Es wäre von grofsem
Werth, wenn ähnliche Studien über die Pflege der Mufik
im 16. Jahrh. auch in Heidelberg, Ansbach, Dresden,
Weimar, Berlin u. a. O. gemacht würden.

Mit der Bemerkung über die Stellung des jungen
Proteftantismus zur Kunft find wir bereits von dein Bil-
derfchmuck des Werkes, der ihm feinen Hauptwerth verleiht
, zur Befprechung des Textes übergegangen. Auch
hier ift der Fortfehritt von der erften zur dritten Auflage
nicht gering. Geyer, ein Schüler Hauck's und Kolde's, j
ift tüchtig hiftorifch gebildet und gewandt in der Dar- I
Heilung. Nirgends verleugnet er den Erlanger Theologen; !
im erften Buch erkennen wir überall den Schüler Th.
Zahns. Aber er hat auch gegenüber anderen Richtungen ein
billiges Urtheil. Vgl. fein Urtheil über Ritfehl S. 870fr., das
er dahin zufammenfafst: ,In manchen feiner Anfchauungen
berührte fich R. mit Luther, der in feinem Kampf gegen
römifche Scholaftik mit ihren „metaphyfifchen" Fragen j
das Praktifche im Chriftenthum aufs ftärkfte betonte, und ,
es ift jedenfalls der Theologie nützlich gewefen, dafs die j
Controverfen mit Ritfehl und feiner Schule dazu Anlafs j
gaben, fich dem Studium Luther's mit neuer Energie j
zuzuwenden, wie überhaupt die Anregungen, die durch
RitfchTs originelle Auffaffung des Chriftenthums gegeben
wurden, jedenfalls heilfamer fein dürften, als der Schaden, |
den er durch die von feinen Gegnern ihm vorgeworfene [
Refeitigung oder Verfchleierung chriftlicher Heilswahrheiten
geftiftet hat'. Vgl. auch S. 872 das Urtheil über
Hamack's ,Wefen des Chriftenthums', wie die Schriften
H. Drummond's und Hilty's als ,Beitrag zur wichtigften
Aufgabe für die nächfte Zukunft, den Indifferentismus
der Gebildeten in religiöfen und kirchlichen Angelegenheiten
zu brechen.' Selbftverftändlich mufste die Beftimm-
Ur>g des Werkes ,für das evangelilche Haus' dem Verfaffer
bei der Auswahl des Stoffes und feiner Geftaltung
einige Schranken auflegen, aber er hat im Ganzen gut
verftanden, das Buch, wie es Fr. Baum geplant hatte, |
Ztl einem ,Sonntagsbuch für das evangelifche Haus, einer j
Weihegabe für die confirmirte Jugend und einem Hilfsbuch
in Kirche und Schule' zu geftalten und den hiezu ge- j
eigneten Stoff in abgerundeten Einzelbildern zu geben. |

Vgl. das fchöne Capitel über Luther's Familienleben
S. 500fr. und über die durch die Reformation wieder geweckten
,neuen Lebensmächte' S. 578fr., wie den Excurs
über die Einwirkung des Chriftenthums auf die deutfehe
Sprache und deren Entwicklung S. 151 und das fchöne
Wort von Vilmar über die Flugfchriftenliteratur S. 486.

Begreiflicherweife werden fich je nach den einzelnen
Standpunkten und Ländern noch Wünfche geltend machen
. So fcheint dem Ref. für die Zeit des Kampfes
zwifchen Kaiferthum und Papftthum unter Heinrich IV.
und Gregor VII. die Geftalt des Hirfauer Abts Wilhelm
nicht wohl entbehrlich. S. 583 ift die durch die
Reformation umgefchaffene Liebesthätigkeit kurz gekennzeichnet
. Für das evangelifche Haus wären hier greifbarere
Einzelzüge erwünfeht. Aber leider fehlen hier meilt
noch die genaueren Unterfuchungen. Ref. hat f. Z. die
Liebesthätigkeit der württb. Kirche für die Glaubensge-
noffen im 16. Jahrh. dargeftellt (Schwäb. Chronik 1898,
S. 1895/1896) und hofft auch die Neugeflaltung des ge-
fammten Medicinalwefens als ein Stück diefer Liebesthätigkeit
für jene Zeit zeichnen zu können, wenn die
Kraft noch ausreicht. Verfehen begegnen nicht fehr
häufig. Hier fei eines hervorgehoben. Weifsenburg neben
Reichenau ift nicht eine Gründung Pirmin's, fondern Murbach
und Hornbach (S. 148 Z. 3). S. 501 Z. 7 v. u. ift
bei der Uebertragung der Briefftelle aus dem Grundtext
ein fprachlicher lapsus eingefchlichen. L. fein ftatt feinen.
Vgl. Enders, Luthers Briefwechfel 4,'127. S. 760 Tafel
ift längft geftorben. S. 833 die Kriegserklärung erfolgte
am 19. Juli 1870. Kaum mehr kann es überrafchen, dafs
auch hier der Stadtpfarrer Bugenhagen fich findet.

Nabern. G. Boffert.

Voigt, H. G., Der Missionsversuch Adalberts von Prag in
Preussen. Separat-Abdruck aus der Altpr. Monats-
fchrift Band XXXVIII. Heft 5 und 6. (Mit einer Kart. .1
Königsberg 1901, F. Beyer's Buchh. (81 S. gr. 8.) M. 1.60

In Weiterführung der in dem gröfseren Werk,Adalbert
von Prag' (vgl. m. Anzeige Th.L. Z. 1900 Nr. 24, Sp. 614f.)
niedergelegten Studien und in theilweifer Modification der
hier vertretenen Anflehten werden von dem Verfaffer zwei
Specialfragen einer erneuten und gründlichen Erörterung
unterzogen. Zunächft ift es ,die Gegend von Adalbert's Mif-
fionsverfuch', die er durch eine chronologifcheUnterfuchung
der in den älteften Viten über feine letzten Tage enthaltenen
Zeitangaben und durch Verwerthung der in der
Regel Benedict's vorgefchriebenen Tageseintheilung zu
gewinnen fucht, wobei er die ftricte Beobachtung der
letzteren ebenfo zuverflehtlich vorausfetzt, wie die Exact-
heit jener Zeitangaben. Auf diefem Wege gelangt er zu
dem Ergebnifs, dafs die Kataftrophe am 23. April 997
julianifchen Kalenders, der dem 28. April des gregoria-
nifchen entfpricht, bald nach 12 Uhr Mittags erfolgt ift.
Dafs der Miffionsverfuch dem Samland gegolten hat,
wird von Voigt energifch feftgehalten, und, unter Ab-
weifung der nordfamländifchenHypothefe, die füdweftliche
Landzunge Samlands als Schauplatz des Martyriums in
Anfpruch genommen. Diefe erneute Prüfung der viel
verhandelten Streitfrage hat den Verfaffer in der Ueber-
zeugung von der Genauigkeit der älteften Viten Adalbert s
beftärkt, vor allem der des römifchen Biographen, dem
offenbar fchriftliche Notizen eines der Begleiter Adalbert's
zur Verfügung ftanden (S. 40). — Die weniger compli-
cirte Frage nach den Urfachen des Scheiterns von Adalbert
's Miffionsverfuch findet (S. 40—53) eine fachgemäfse
Beantwortung durch den Hinweis auf das fremdartige Auftreten
Adalbert's, feinen Enthufiasmus für das Martyrium,
den Aberglauben der Preufsen und ihre politifchen Befürchtungen
.

Marburg i. H. Carl Mirbt.