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Ausgabe:

1903 Nr. 12

Spalte:

356-358

Autor/Hrsg.:

Baum, Friedrich

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte für das evangelische Haus. Dritte aufs neue umgearbeitete und vermehrte Auflage 1903

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 12.

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auch gegen die Behauptung: der Augenzeuge könne nur
Leucius Charinus gewefen fein, geltend machen.

4) Das literarifche Abhängigkeitsverhältnifs der Petrus-
acten von den Johannesacten fcheint mir nicht ficher
erwiefen; das von dem Kerygma Petri mufs ich leugnen.
Es hängt nur an der Notiz über ein Herrngebot, 12 Jahre
in Jerufalem zu bleiben — alles andere find nur theilweife
allerdings fehr beflechende Vermuthungen —, dies aber
mufs hier fo wenig als bei Apollonius auf das Kerygma
Petri zurückgehen (f. TU XI, 1, 53). Man darf bei der
älteften chriftlichen Literatur nicht fo ausfchliefslich mit
der Möglichkeit literarifcher Abhängigkeit der uns bekannten
Quellen untereinander operiren.

Für durchaus zutreffend halte ich die Eingliederung
des neuen Stückes in die Petrusacten, obwohl Schmidt's
7 Beobachtungen über Verwandtfchaft mit dem Text des
Vercellenfis und des griech. Martyriums ftrenggenommen
nicht über Zugehörigkeit zur gleichen Literaturgattung
hinausführen.') Die Darlegung des urfprünglichen Aufbaus
der Petrusacten in 2 Theilen: Jerufalem und Rom, halte
ich für vortrefflich gelungen, zumal auf Grund der feinen
Analyfe des von Schmidt zum erften Mal herangezogenen
Zeugnifses der Didascalia apostolorum (146fr.). Solche
Analyfen einzelner Zeugnifse find überhaupt Glanzpunkte
der Schrift, z. B. auch S. 31 ff. die Entwirrung des von
Epiphanius h. 51,9 hergeftellten Phantafieknotens.

5) Befonders fein ift die kanonsgefchichtliche Entwicklung
: dafs es ein altes 5theiliges Corpus von Acten gab,
das, vielleicht fchon dem Origenes bekannt, im 3. Jahrhundert
noch von katholifchen Chriften harmlos als Erbauungsliteratur
benutzt wurde, das dann die Manichäer
zur Dignität kanonifcher Schriften erhoben und an Stelle
der lukanifchen Apoftelgefchichte fetzten, während die
Priscillianiften es neben diefer brauchten, die kirchlichen
Theologen es aber nun ganz verwarfen; dafs fich dann
aber, weil eine gänzliche Verdrängung unmöglich war,
durch Leo I. und Turibius von Astorga die Anfchauung
entwickelte, ein echter Kern fei haeretifch verfälfcht, und
Verfuche anfchloffen, diefen vermeintlichen echten Kern,
d. h. die Erzählung, von den haeretifchen Zuthaten, d. h.
dem Doctrinären, zu befreien; das alles ift ebenfo klar
wie überzeugend dargelegt. — Nur kann ich nicht zugeben
, dafs Ityöuhvov bei dem Titel einer Schrift auf
fubjectives Referat deute; gerade die Stellen aus Eufe-
bius beweifen, dafs es = ,betitelt' eine genaue Titelangabe
einführt: alfo las Photios auf der Handfchrift als Haupttitel
jceqioÖoi tcqv äMOGxöXcov, während die einzelnen
Theile als scqü^eiq bezeichnet waren. Den Namen des
Leucius Charinus hat er wohl aus dem Context der
Johannesacten aufgelefen. Dafs Pf.-Hieronymus de in-
fantia salvatoris keine befondere Aufnahme in der Kirche
gefunden habe (S. 63), kann, man im Hinblick auf die
Unmaffe der Handfchriften nicht fagen. Ueberfehen
fcheinen die von Zahn NkZ 1900, 441 ff. und Drews St
Kr 1901, 165 nachgewiefenen Entlehnungen aus den Petrusacten
in dem Tcstamentum Domini ed. Rahmani p. 63 ff., das
nach Drews ägyptifchen Urfprunges ift, eine gute Analogie
zu Schmidt's koptifchem Fund. S. 67 1. p. 42 10 ft. 13.

Kein Zweifel, wir haben es hier mit einer höchft ver-
dienftlichen, anregenden Arbeit zu thun, die vielfach
klärend wirken wird. Aber endgiltig entfchieden fcheint
mir die Frage doch noch nicht.

Jena. von Dobfchütz.

1) Gut ift auch die Ergänzung des fehlenden Zufammenhangs; ich
möchte mir nur die Scene nicht vor Petrus' Haus, fondern in dem Ver-
sammlungslocal der Gemeinde denken, wo die Tochter ihren beftimmten
Platz bei dem Chore der Jungfrauen hat.

Baum, Friedrich, f, und Chriftian Geyer, Kirchengeschichte
für das evangelische Haus. Dritte aufs neue umgearbeitete
und vermehrte Auflage. Mit mehr als 600
Abbildungen im Text und vielen Beilagen. München
1902, C. H. Beck. (XII, 954 S. gr. 8.) Geb. M. 15.—

Zum erften Mal kommt das 1883 zuerft erfchienene,
1889 in zweiter Auflage ftark vermehrte und nun in dritter
Auflage vollendete Werk in der ThLZ. zur Befprechung.
Das hat feine volle Berechtigung. Denn Fr. Baum hatte
1883 fein Werk für das evangelifche Haus beftimmt,
während die ThLZ. ein Organ für wiffenfchaftliche
Theologie ift. An jener Zweckbeftimmung hat auch der
Bearbeiter der zweiten und dritten Auflage, Dr. Chriftian
Geyer, nunmehr Hauptprediger an der Sebaldus-Kirche
in Nürnberg, feftgehalten. Aber das Werk ift nun Dank

I der vereinten Bemühungen des Bearbeiters wie Verlegers
auch für den wiffenfchaftlichen Unterricht in der Kirchen-

I gefchichte ein höchft willkommenes Hilfsmittel. Das gilt
jedenfalls nacheinerSeite hin. Allerdings hofft der Verfaffer
in der Vorrede nur, neben der evangelifchen Familie
namentlich den Lehrern der Kirchengefchichte an den
Mittelfchulen einen Dienft erwiefen zu haben. Aber auch
auf der Hochfchule dürfte der ftete Hinweis auf den
lehrreichen Bilderfchmuck des prachtvollen Werkes angezeigt
fein, das geheftet nur 11 M. koftet, und dem fleh nichts
Aehnliches in der deutfehen Literatur an die Seite ftellen
läfst. Denn es bietet neben mehr als 600 Textbildern
noch 39 grofse Kunftbeilagen, für die ein Verzeichnifs
gegeben ift, was für die Verweifung auf fie fehr willkommen
ift. Vielleicht liefse fleh ein Verzeichnis der
Textbilder ohne zu grofse Vermehrung des ohnehin fchon
auf 954 Seiten angewachsenen Buches in ähnlichem Druck
wie das Namen- und Sachregifter geben.

Die Bilder find meift ebenfo vortrefflich ausgeführt,
! als gut ausgewählt. Entzückend ift die Wiedergabe der
Bilder von Raphael, Michelangelo, Dürer, Holbein und
Rembrandt, der Tod der Maria vom Südportal des
Strafsburger Münfters S. 280, die Papftbilder (S. 359
Alexander VI. S. 360 Julius II., S. 361 Leo X., S. 478
Clemens VII). Willkommen find auch die zahlreichen,
j fchönen Bilder von Luther und feiner Familie, von Me-
' lanchthon, Bugenhagen, Spalatin und Juft. Jonas, Zwingli,
Calvin, Farel, Bullinger und Beza. Das eigenthümliche Bild
von Flacius S. 572 fcheint Ref. faft ein Spottbild eines
S mifsgünftigen Künftlers zu fein. Sehr verdienftlich wäre
es, wenn E. Egli und G. Finsler feftftellen würden, wen
das anfprechende, Holbein zugefchriebene Bild in den
Uffizien darftellt, das S. 520 wiedergegeben ift und hier
als Bild eines fchweizer Reformators, vielleicht des
Oekolampadius, bezeichnet wird. Faft möchte Ref. annehmen
, dafs es dasfelbe Bild ift, vom dem Ger. Meyer
von Knonau und Georg Finsler in den Zwmgliana 1897,
Nr. 2 S. 34 und 1898, Nr. 2 S. 65 handeln, und das ur-
fprünglich als ein Zwinglibild galt. Finsler weift nach, dafs
das Bild nicht von Holbein flammt und jetzt als Werk
Antonio Moros etikettirt ift, fowie dafs es einen un-
! bekannten Gelehrten darftellt. Für Oekolampadius erfcheint
das Geficht zu alt.

Für das fechzehnte Jahrhundert hätte Ref. neben
i den Werken der Maler doch auch einen befcheidenen
i Raum für die Werke der Bau- und Bildhauerkunft ge-
wünfeht. So ganz unbedeutend ift doch das nicht, was
I der junge Proteftantismus auf diefem Gebiet gefchaffen
hat, wenn auch bei der Menge der von der alten Kirche
I überkommenen Gotteshäufer die Profanbauten überwiegen.
Aber ein Blick in die ,Kunft- und Alterthumsdenkmale
im Königreich Württemberg', bearbeitet von Ed. Paulus,
beweift wenigftens für diefes Land, dafs die Zahl der
damals neuerbauten Gotteshäufer doch nicht fo ganz
[ klein war. Darunter find, wenn Ref. nicht irrt, bemerkens-
| werthe Bauten, fo die Kirche von Liebenftein, von der