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Ausgabe:

1903 Nr. 1

Spalte:

339-340

Autor/Hrsg.:

Hoffet, Fritz

Titel/Untertitel:

Das Vereins- und Ordenswesen in Frankreich.(Bibliothek für Politik und Volkswirtschaft. Heft 6.) 1903

Rezensent:

Mirbt, Carl

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Seite 1

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339

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. II.

Des Ignatius von Loyola, Stifters der Gefellfchaft Jefu, |
Bekenntnisse, überfetzt von Heinrich Böhmer. Leipzig
1902. Dieterich. (XIII, 65 S. gr. 8). M. 1.—

Die Bekenntnifse des Ignatius von Loyola, die bisher
in den Acta sanctorum der Bollandiften Juli VII S.634—654
vergraben lagen und über die kleine Zahl der Specialiften
auf dem Gebiet der Gefchichte des Jefuitenordens hinaus
wohl nur Wenigen bekannt waren, werden durch die vor- j
liegende Ueberfetzung den weiteren Kreifen von Intereffen- I
ten — mit Recht betont der Herausgeber, dafs fie die '
Aufmerkfamkeit aller Gefchichtsfreunde, Theologen und j
Ffychologen verdienen — zugänglich gemacht, man kann :
auch fagen, erfchloffen. Dafs der von Böhmer gewählte 1
Titel ,Bekenntnifse' dem Lefer nicht zu viel verfpricht, j
ergiebt fich aus den Mittheilungen der Vorrede des Jefuiten
Loys Gonzalez, der erzählt, Ignatius habe am 4. Auguft 1553
auf das Zureden feiner Vertrauten fich entfchloffen darzulegen
, was bisher in feiner Seele vorgegangen war'. Zwar
hat dann Ignatius diefen Bericht nicht felbft niederge- j
fchrieben, aber seine Erlebnifse Gonzalez erzählt, der fie I
fofort möglichft wörtlich in fpanifcher Sprache nachfchrieb. '
Im September 1553 begannen diefe Dictate und fanden j
ihr Ende am 22. September 1555 (Vorrede S. VII. VIII). [
Diefe Aufzeichnungen find nun feitens des Ordens nicht
in ihrer urfprünglichen Geftalt, fondern in der lateinifchen
Ueberfetzung des Annibal de Codretto veröffentlicht
worden. Aber da deren Abweichungen von dem Original
durch den P. Ignatius Pinius 1730 feftgeftellt wurden, und
die Bollandiften deffen Notizen mit abgedruckt haben, fo |
glaubt Böhmer ,einen im grofsen und ganzen zuverläfsigen
Text' bieten zu können (Vorrede S. IX). Dagegen ift es :
licher, dafs der vorhandene Text nicht vollftändig ift. Denn |
nach Gonzalez hat Ignatius ,auch die freiere Lebensführung ;
feiner Tugend, alles klar und deutlich, mit allen Nebenum-
ftänden' gefchildert, der überlieferte Text aber umfpannt |
nur die Jahre 1521—-1540. Die Verkürzung der Bekenntnifse j
erklärt der Ueberfetzer aus den erbaulichen Zwecken, die j
der Orden mit ihrer Veröffentlichung verband. — Böhmer
fchätzt den hiftorifchen Werth diefer Autobiographie des
Ignatius hoch ein, und gewifs mit Recht; aber er hat es
leider unterlaffen, ihn im Einzelnen nachzuweifen, und fich
mit der Bemerkung begnügt, ,dafs der Lefer hie und da
wohl fich veranlafst fehen wird, die vorhandenen Lebens-
befchreibungen nach den Bekenntnifsen zu korrigieren'. Ich
verweife noch auf das gravirende Urtheil über Rom S. 28
und das prächtige Dictum des braven Bettelmönchs ,Die
Liebe beginnt bei uns felbft' S. 46.

Marburg i. H. Carl M'irbt.

Hoffet, Pfr. Fritz, Das Vereins- und Ordenswesen in Frankreich
und die parlamentarifchen Kämpfe um das Gefetz
vom 1. Juli 1901. (Bibliothek für Politik und Volks-
wirthfchaft. Heft 6.) Berlin 1902, Verlag der Deut-
fchen Stimmen. (IV, 160 S. gr. 8.) M. 4.—

In diefer vortrefflich gefchriebenen und überaus lehrreichen
Schrift bietet der Verf. eine wohl fundamentirte
Darfteilung des modernen Ultramontanismus in Frankreich
und der antiklerikalen Bewegung, die den Kampf mit ihm
aufgenommen hat. Wir werden mit der Vorgefchichte
und den Vorausfetzungen des vielbefprochenen Gefetzes
vom 1. Juli 1901 bekannt gemacht, die dramatifch bewegten
Verhandlungen in der Kammer und im Senat j
ziehen an dem Lefer vorüber und werden uns durch die
Wiedergabe der wichtigften Reden von klerikaler Seite
wie der gegenüberftehenden Majorität erfchloffen; auch
über die Ergänzungsdecrete, die dem Gefetz folgten, und
deffen praktifche Durchführung werden wir unterrichtet. )
Kurz, Hoffet hat alles gethan, um diefe jüngfte Phafe der I
franzöfifchen Kirchenpolitik in ihren Beziehungen zur j
Vergangenheit und in ihrem Zufammenhang mit der all- I

gemeinen kirchlichen Lage vorzuführen und damit eine
gefchichtliche Würdigung zu ermöglichen. — Von besonderem
Intereffe find die ftatiftifchen Mittheilungen des
Verf.'s. Mit gutem Grund verweift er auf die grofsen Leift-
ungen der dritten Republik auf dem Gebiet der Schule
(S. 13 f.). Die ftaatlichen Aufwendungen für die Schule,
zu denen noch die communalen hinzutreten, zeigen
folgende Skala. Sie betrugen 1815: 1610000 francs, 1848:
13253000, 1872: 33784000, 1882: 105826000, 1892: 168
563000, 1902: 208584561. Dafs diefe Opfer nicht umfonft
gebracht wurden, beweift die Abnahme der Analphabeten,
von 25°/0 bei Männern, 37, 7°/0 bei Frauen im Jahre 1892
auf 4, 7 °/0 bei Männern und 7, 2 °/0 bei Frauen im Jahre
1898. Aber gleichzeitig vollzog fich jenes gewaltige,
numerifche Anwachfen der Orden und die Ausdehnung
ihrer Wirkfamkeit, die Waldeck-Rouffeau zur Ueberzeug-
ung führten, dafs ihnen Schranken gefetzt werden müfsten.
Dafs fie auch pofitive Leiftungen aufzuweifen hatten, wird
von dem Verf. nicht beftritten; er nennt z. B. das Gebiet
der öffentlichen Wohlthätigkeit und ihr grofsartiges
Miffionswerk in den Colonien (S. 15). Aber daneben fteht
ihr Eingreifen in die Politik (S. 17 ff.), ihre ausgedehnte
mercantile Thätigkeit (S. 2off.) —■ die Karthäufer bei
Grenoble müffen beifpielsweife für ihren Liqueur jährlich
dem Staat an Patent und anderen Steuern 1 500000 bis
1800000 fcs. zahlen — und vor allem ihre Schulthätigkeit,
die fich auf über 2 Millionen Elementarfchüler und c.
135000 Schüler höherer Lehranftalten erftreckt (S. 25 ff.).
Aus der officiellen Enquete ergab fich, dafs die autori-
firten und nichtautorifirten Congregationen im Jahre 1880
befafsen: 40520ha im Werth von 7125380CK)/«., im Jahre
1900: 48757ha im Werth von 1071775000/«. Von diefem
Befitz waren in dem letztgenannten Jahr auf den eigenen
Namen eingetragen 21823ha im Werth von 463725 146fcs.,
dagegen 27473 ha für 608000114/"«. auf fremden Namen
(S. 28) Die nämliche Vorliebe für Verfchleierung der that-
fächlichen Verhältnifse bewiefen die Congregationen an-
gefichts der von der Regierung veranftalteten Erhebungen
in Bezug auf die Zahlen ihrer Mitglieder. Der Perfonal-
beftand ift daher nicht mit Sicherheit anzugeben. Waldeck-
Rouffeau nannte das eine Mal 190000, bei einer anderen
Gelegenheit 157000; beide Ziffern wurden auch von
klerikaler Seite angegeben.

WorinberuhtedieinnereBerechtigungder franzöfifchen
Regierung zum Kampfe gegen das Ordenswefen? Hoffet
ftellt fich felbft am Ende feiner Schrift diefe Frage (S. 145 ff.)
und begegnet damit einem Wunfeh, der bei vielen Lefern
fich einftellen wird. Die von dem Verf. ertheilte Antwort
empfängt ihre Richtung von dem Worte Waldeck-Rou-
ffeaus, dafs es fich in dem ganzen Einfehreiten gegen die
Orden um nichts Geringeres handelt als um den ,Kampf
um die Weltherrfchaft zwifchen der bürgerlichen Gefellfchaft
und der kirchlichen Gewalt'. Die von Frankreich
mit den Orden gemachten Erfahrungen haben daher nicht
nur für diefes Land Bedeutung, fondern für alle modernen
Staaten, und auch Deutfchland wird gut thun — diefem
Gedanken find die letzten Blätter gewidmet — für feine
Stellung zur Ordensfrage fie nutzbar zu machen.

Unter den zahlreichen intereffanten Einzelheiten des
Buches nenne ich die Discuffion in der Kammer über den
Probabilismus und den Vorbehalt und die Feftftellungen,
was die in den Seminarien eingeführten Lehrbücher über
die Rechte der Kirche gegenüber denHaeretikern enthalten.

Marburg i. H. Carl Mirbt.

Bibliographie

von Lic. theol. Paul Pape, Zehlendorf bei Berlin.
IDcutfchc Literatur.

Froberger, J., Die Schöpfungsgefchichte der Menfchheit iii der ,vor-
ausfetzungslofen' Völkerpfychologie. Eine krit. Skizze. (Erweit. Abdr.
aus dem ^Pastor bonus'.) Trier 1903, Paulinus-Druckerei. (48 S.
gr. 8.) —60