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Ausgabe:

1903 Nr. 11

Spalte:

332-334

Titel/Untertitel:

Johannes Kessler‘s Sabbata 1903

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. Ii.

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fälfchungen der gröfseren Sammlung, flammen von einem
Origeniften des 3. Jahrh. her (Ign. L) mit Ausnahme
indefs des ignatianifchen Philipperbriefes, den ein Se-
miarianer des 4. Jahrh. fabricirt hat (Ign. P). Die längere
griechifche Recenfion der fieben Briefe endlich, die die
Spuren von Gnofticismus und Sabellianismus in Ign. I
getilgt hat, ift von einem Fälfcher des 4. Jahrh. angefertigt
, der der theologifchen Pofition des Eufeb von
Cäfarea naheftand (Ign. II).

Die Zufammenftellung der Ignatiustexte, die H.
bietet, ift fehr dankenswerth. Zahn's Recenfion in
feiner vorzüglichen Ausgabe liegt etwas zurück, Light-
foot ift umfangreich und theuer. Es ift darum von vornherein
zu begrüfsen, dafs wir neben Funk nun auch
proteftantifcherfeits eine handliche und vollftändige Ausgabe
der Ignatiana befitzen, und auch gegen die Bevorzugung
, die H. dem Lateiner zu Theil werden läfst,
ift nichts einzuwenden.

Anders fteht es mit der complicirten Theorie H.'s,
die das literargefchichtliche Problem der Ignatianen
erklären foll. H. wird mit ihr wenig Anklang finden. Zwar
dafs die 7 Briefe in der langen Recenfion ein Product
des 4. Jahrh. find, ift zugeftanden. Viel fraglicher ift fchon
die Scheidung des Ign. D und Ib von dem Ign. II. Der
Hauptwiderfpruch indefs mufs fich gegen das unterfte
Stockwerk von H.'s Theorie erheben, gegen feine Auf-
faffung der 7 Briefe und feine Behandlung des Polykarpbriefes
. H. beharrt hier, wie er gleich in den aller-
erften Sätzen der Praefatio ausdrücklich hervorhebt, auf
dem alten ablehnenden Standpunkte, den er vor 50Jahren
(1853) in feinen ,Apoftolifchen Vätern' eingenommen hat.
In den Adnotationes der vorliegenden Ausgabe ftellt er
fein Beweismaterial wiederum zufammen, das aus Beobachtungen
über Widerfprüche der Briefe untereinander,
über Bekämpfung fpäteren Gnofticismus, über die theologifchen
Lehrbegriffe, über die GemeindeverfaffungdieUnecht-
heit der Briefe darthun foll. Es ift eitle Mühe, die fich
H. hier giebt. Alle neuere Forfchung hat in der vertieften
Erkenntnifs des Urchriftenthums, die fie uns gebracht
hat, gezeigt, dafs wir uns die Entwicklung der Verfaffung,
der Lehre, das Eindringen der Irrlehre als fehr bald
einfetzend vorftellen müffen. Wenn die fieben apokalyp-
tifchen Sendfehreiben vielleicht, die Paftoralbriefe wahr-
fcheinlich, der III Joh. ficher den Epifkopat des Einen
innerhalb der Gemeinde vorausfetzen, dann find im erften
Viertel des 2. Jahrh. auch die Verfaffungsverhältnifse der
Ign.-Briefe fehr wohl denkbar. In Afien ift der monar-
chifche Epifkopat, foweit wir fehen können, ficher aufgekommen
, und er ift fchon vor der grofsen gnoftifchen
Gefahr dagewefen. Genaue Betrachtung der Briefe zeigt
andererfeits auch, wie fehr in der Centralifirung der
afiatifchen Gemeinden die Entwicklung noch im Flufs
ift, wie viel bei den lobenden Schilderungen des Ign. noch
Programm, dogmatifche Theorie, frommer Wunfeh ift. —
Ebenfo wenig fchlägt das andere Hauptargument H.'s gegen
die Echtheit der Ignatianen durch : die Theologie der Briefe
fei durch den Gnofticismus theils pofitiv, theils gegen-
fätzlich beeinflufst. Die Ketzergefchichte des Urchriftenthums
ift ein dunkles Gebiet. Aber foviel ift ficher: Ba-
filides und Valentin haben mehr als einen Vorläufer
gehabt, ,gnoftifche' Theologie hat es fchon im f. Jahrh.
innerhalb und aufserhalb der Gemeinden gegeben, und
gerade Syrien und Afien find der Boden diefer Religionsbewegung
gewefen. Weder die Aeonen, noch daspleroma,
weder die Archonten, noch der Doketismus, weder der
character indelebilis der einzelnen Menfchenfeelen, noch
die phyfifche Erlöfungslehre flammen von den grofsen
gnoftifchen Schulen des 2. Jahrh. her, fondern alle diefe
Lehren und Speculationen find viel älter, und der Beweis
dafür läfst fich aus den ficher vorignatianifchen Docu-
menten altchriftlicher Literatur führen. So nöthigt alfo
weder die Lehre noch die Polemik des Ign. dazu, feine
Briefe erft um die Mitte des 2. Jahrh. entftanden fein zu

laffen. — Und auch die Argumente endlich, die H. angeblichen
Widerfprüchen innerhalb der Briefe entnimmt,
find nicht überzeugend. Wer will fagen, dafs ein Mann
vom Temperament des Ignatius fich nicht das eine Mal
,jti(uip7]fia' der Ephefer [,Schmutz* nach H.'s Deutung j
habe nennen können, während er das andere Mal feinem
Märtyrertode fühnende Kraft für diefelbe Gemeinde zu-
fchrieb (Eph. 81 und 211)? Merkwürdig, aber bei der
langen Reife doch keineswegs unerklärlich, ift der Schreibeifer
des Bifchofs, der Eph. 201 hervortritt. Wenn fich
Ignatius gelegentlich als ,Bifchof von Syrien' bezeichnet,
fo ift daraus kein anderer Schlufs zu ziehen als der, dafs
es eben zu feiner Zeit keine andere nennenswerthe Gemeinde
mit bifchöflicher Organifation in Syrien gab. Warum follen
die zehn Soldaten feiner Begleitung (um Geld herauszu-
preffen) fich nicht im Allgemeinen rauh und roh gezeigt
haben (Rm. 51), während fie in Philadelphia, natürlich
nach empfangener Beftechung, dem Gefangenen erlaubten,
an einer Gemeindeverfammlung der Chriften theilzunehmen
(Philad. 71)? u. a. m.

PI. wird mit feiner Polemik gegen die Echtheit der
Ignatiusbriefe das gegenwärtige Theologengefchlecht nicht
überzeugen. Die Schwierigkeiten der Ignatiusbriefe find
I lange nicht fo grofs, dafs fie nicht durch das wohlge-
fchloffene, von vielen hin und her gehenden Fäden zu-
fammengehaltene Ganze der Briefe aufgewogen würden.
Die Ignatianen find echt, und fie fallen noch ins I. Drittel
des 2. Jahrh. Bei diefem Urtheile wird es trotz H.'s erneutem
Angriffe bleiben müffen, und damit richtet fich
auch von felber die Vergewaltigung, die H. dem Poly-
karpbriefe zu Theil werden läfst, um fein Zeugnifs zu ent-
werthen.

Marburg i. H. Rudolf Knopf.

1 Johannes Kessler's Sabbata. Mit kleineren Schriften und
Briefen. Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Emil Egli
und Prof. Dr. Rudolf Schoch in Zürich herausgegeben
vom Hiftorifchen Verein des Canton St. Gallen.
St. Gallen 1902, Febr. (V, XXIV, IV, 719 S. gr. 4.)

M. 15.—

Der hiftorifche Verein des Cantons St. Gallen, dem
wir die erfte Ausgabe von Kefslers Sabbata und von
Vadian's deutfehen Schriften durch Götzinger, fowie die
Veröffentlichung von Vadian's Briefwechfel durch Arbenz
verdanken, hat fich durch die Neuherausgabe von Kefs-
ler's Sabbata in einem ftattlichen Quartband ein neues
Verdienft erworben. Ift doch die in der fpärlichen Feier -
tagsmufse des akademifch gebildeten Sattlers und Schul-
meifters entftandene und urfprünglich nur für feine Kinder
beftimmte Hauschronik fchon bei ihrem erften Erfcheinen
in ihrem grofsen Werth erkannt worden. Jene Scene im
fchwarzen Bären zu Jena, wo die zwei armen, nach Wittenberg
reifenden schweizer Studenten Luther auf der Heimreife
von der Wartburg begegnen, ift durch G. Freytag
[ Gemeingut des deutfehen Volkes geworden. Die Hifto-
| riker haben in diefer Chronik für manche Seiten des
I Reformationszeitalters, z.B. für die Gefchichte des Bauernkriegs
in Oberfchwaben, die Entftehung der zwölf Artikel
der Bauern und die Perfönlichkeit des Bauern-Kanzlers
Lotzer eine Quelle erften Rangs erkannt.

Die neue Ausgabe bietet nicht nur einen neu durch-
gefehenen, mehr nach den heutigen Editionsgrundfätzen,
I aber vielleicht gegenüber den wunderlichen Willkürlich-
j keiten von Kefsler'sOrthographie allzu fchonend redigirten
Text, was bei Kefsler's Handfchrift nicht immer leicht war.
fondern auch einen fehr reichhaltigen Commentar, wie
ein fchönes Lebensbild des Verfaffers, beide von Egli
mit bekannter Gründlichkeit, Sachkenntnifs und Gefchmack
bearbeitet. Dann folgen Kefsler's kleinere Schriften, eine
Vita Vadiani, ein Gutachten über Schwenkfeld fürVadian,
| ein Memoriale Rerum Synodalium, da es Kefsler fchliefs-