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Ausgabe:

1903

Spalte:

10-11

Autor/Hrsg.:

Mariano, Raffaele

Titel/Untertitel:

Giudaismo, Paganesimo, Impero Romano 1903

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Nösgen, Konfift.-RatProf. D. K. F., Der Schrittbeweis für die
evangelische Rechtfertigungslehre aufs neue dargelegt. Halle
a. S. 1901, R. Mühlmann. (VI, 253 S. gr. 8.) M. 6.—

Das Buch ift in ausgefprochenem Gegenfatz gegen
Cremer's Werk über die paulinifche Rcchtfertigungslehre
gefchrieben, mit deffen Darlegung der Roftocker Theologe
bei eifriger Leetüre immer unzufriedener wurde.
Es (teilte fich ihm heraus, ,dafs Cremer's Buch weit
weniger fette Ueberzeugung und Glaubensgewifsheit als
Unklarheit und Unficherheit hervorruft' (S. III). Dem
will der Verf. abhelfen und zeigen, ,dafs die alte Weife
von der Gerechtigkeit unteres Gottes und deffen rechtfertigendem
Thun zu fprechen, dem Zeugnifs der Apoftel
und Propheten durchweg entfpricht' (S. 237). Zu diefem
Zwecke wird nach einer Einleitung über Wefen und
Anordnung des Schriftbeweifes und Darlegung der evan-
gelifchen Rechtfertigungslehre in fünf Hauptftücken gehandelt
von dem vorbereitendem Zeugnifs des A. T.,
von Jefus als dem Mittler der Gerechtigkeit nach feinem
eigenen Zeugnifs, von dem grundlegenden urapoftolifchen
und dem paulinifchen Zeugnifs über Glauben und Rechtfertigung
wie von dem abfchliefsenden apottolifchen Zeugnifs
vom Wandel im rechtfertigenden Glauben. Stellen-
verzeichnifs, Namen- und Sachregifter find beigegeben. Die
Polemik gegen Cremer's Buch ift fachlich durchaus berechtigt
. Diegefchichtslofe,ftarr monotone Auffaffung Cremer's,
nach der die paulinifche Rechtfertigungsichre ein das ganze
A. T. durchdringender bedeutfamer Factor ift, mufs als
unhaltbar bezeichnet werden. Nösgen fucht wenigftens
unter Nachwirkung v. HofmannTcher Gedanken eine ge-
wiffe Entfaltung der Heilswahrheit innerhalb der Offen-
barungsgefchichte unter verfchiedenartigem Hervortreten
einzelner Seiten zuzugeftehen. Auch in der Polemik
gegen Cremer's Auffaffung der göttlichen Gerechtigkeit
(Recht und Heil fchaffen dem, der die gerechte Sache
hat), wird man dem Verf. zuftimmen. Die Einzelexegefe
mufs entfehieden gegen eine derartige Verallgemeinerung
eines gelegentlich fich findenden Gerechtigkeitsbegriffes
proteftiren. Auch fonft kann man öfters in kleineren
Zurechtftellungen mit dem Verf. gehen. Dagegen ift ein
Eingehen auf feine eigenen Anfchauungen völlig aus-
fichtslos, weil der gemeinfame Boden fehlt. Der har-
monifche Einklang der einzelnen Schriftausfagen fteht
ihm von vornherein fett. Die Frage, ob die evangelifche
Rechtfertigungslehre nicht wefentlich anders orientirt ift
als die paulinifche, exiftirt gar nicht für ihn. Was foll
man dazu fagen, wenn für die ,apoftolifche Anfangspredigt
' Stellen aus dem 1. u. 2. Petrus u. Jak. angeführt
werden (S. 120)! Johannes und die Synoptiker gehen in
friedlichfter Eintracht. Schwierigkeiten, die die hiftorifche
Kritik herausgeftellt hat, fcheinen zum Theil für den Verf.
einfach nicht vorhanden zu fein. Sonft wäre es z. B. unmöglich
, dafs er mehrmals über für ihn fehr bedeutfame
Stellen wie Mc. 1 15 und Mt. 315 fpricht, ohne auch nur
mit einer Silbe der gewichtigen kritifchen Einwände
gegen diefe Stellen zu gedenken. Um fo unangenehmer
wirkt die verfchiedenfach höhnifche und tief verletzende
Art der Polemik, die gegen Theologen wie A. Harnack,
H. J. Holtzmann und Kaftan gerichtet ift. Der Stil des
Buches ift trocken und oft von äufserfter Schwerfälligkeit,
die Leetüre daher unerfreulich. Wo durch Bilder eine
Belebung verfucht wird, find fic mehrfach mifsglückt
wie z. B. ,das feftgefahrene Rad des theologifchen Automobile
' (S. 4). Das Buch ift nicht genügend durchge-
fehen, da trotz der umfangreichen Berichtigungen über
100 Druckfehler flehen geblieben find. Oefters war ich
in Zweifel, ob es fich um Druckfehler oder Fehler des
Manufcriptes handelte.

Halle a. S. Georg Holl mann.

Mariano, Raffaele, La conversione del mondo pagano al Cri-
stianesimo. Ricerche sulle origini cristiane. (Scritti varii.
Vol. II.) Firenze 1901, G. Barbera. (423 p. 8.) L. 4 —
— Giudaismo,Paganesimo,lmpero Romano. Antecedentistorici
immediati del Cristianesimo. Studii, ricerche e critiche.
(Scritti varii. Vol. III.) Ebd. 1901. (320 p. 8.) L. 3.50

Diefe beiden Bände gehören ihrem Inhalte nach eng
zufammen. Der an zweiter Stelle genannte handelt von
den Vorausfetzungen für die Entftehung und Verbreitung
des Chriftenthums, der erfte von dem Kampf zwifchen
I Chriftenthum und Heidenthum, feiner Nothwendigkeit
i und feinem Verlaufe. Judenthum, Heidenthum, Römi-
) fches Reich haben für das Chriftenthum vorbereitend
gewirkt, negativ wie pofitiv; pofitiv z. B. der jüdifche
Gottesbegriff und die meffianifche Hoffnung, negativ
z. B. die Gefetzlichkeit im Judenthum. Aber auch der
Effenismus verkündet das Chriftenthum vorher, und
welche Bedeutung das Judenthum der Diafpora für
das Chriftenthum hat, ift Mariano nicht entgangen,
i (Hier hat er freilich die Hauptfache nicht genannt: die
Anerkennung der jüdifchen Schriften als der Urkunden
der göttlichen Offenbarung hat das Judenthum der
Diafpora in einem Theile der heidnifchen Welt durchgefetzt
; die Verbreitung des Chriftenthums wäre ohne diefe
Vorarbeit unmöglich gewefen.) Aber auch das Heidenthum
wirkt vorbereitend; die heidnifchen Religionen
find wie der Weg, der zur Erfcheinung des Chriftenthums
führt; das dem jüdifchen transfeendenten Monotheismus
entgegengefetzte Princip, das der Immanenz,
der Gegenwärtigkeit in der Welt und im Menfchen, ift
zum erften Male im Schoofs des Heidenthums lebendig
gewefen. Da aber das Chriftenthum feinem einfachften
und zugleich umfaffendften Ausdrucke nach die dialek-
tifche Verfchmelzung der jüdifchen Transfcendenz und
der heidnifchen Immanenz ift, fo kann es als die Syn-
thefe der verfchiedenen religiöfen Richtlinien angefehen
werden. Wenn ich nicht irre, fo flammt die Grundlage
für Mariano's Gedanken von Hegel; aber auch die Form,
in der er feine Unterfuchung führt, geht auf ihn zurück:
zuerft wird der Begriff benimmt; mit diefer Beftimmung
wird dann wie mit einer fetten Gröfse operirt; was ihr
entgegenzuftehen fcheint, wird eliminirt; auf dem Wege
der Dialektik kann man dann zu jedem gewünfehten
Ziele gelangen.

Von den drei das Chriftenthum vorbereitenden
Mächten ift vielleicht der Univerfalismus des römifchen
Reichs die kräftigfte gewefen; der Univerfalismus des
römifchen Reichs und der Univerfalismus des chriftlichen
j Princips ift unmöglich ohne den engften providentiellen
Zufammenhang: Rom und das Imperium fchaffen die
hiftorifche äufsereund zum Theil auch innere Atmofphäre,
j in der die göttlichen Offenbarungen des Chriftenthums ihre
Früchte hervorbringen können.

Der Titel des an erfter Stelle genannten Bandes ift
etwas zu weit; das Buch handelt nicht fowohl von der
Bekehrung der heidnifchen Welt zum Chriftenthum, als
1 vielmehr von dem Kampfe des Chriftenthums mit dem
I Heidenthum. In dem erften Theile fpricht der Verfaffer
I von dem inneren und ,idealen' Kampfe, im zweiten von
j dem äufseren und ,realen'. Zuerft zeigt er, wie es ge-
1 fchienen hätte, als wäre ein folcher Kampf gar nicht
nothwendig gewefen ; denn die fpeeififchen pfychologifchen
Pofitionen der griechifch-römifchen Welt, ihr Peffimismus
und ihr Unglück konnten auf den Gedanken bringen,
dafs das Chriftenthum ohne Kampf fiegen würde. Der
' Kampf war trotzdem nothwendig, weil im Heidenthum
noch religiofe Kräfte genug vorhanden waren. Schliefslich
mündet das Heidenthum doch im Chriftenthum aus; der
Neuplatonismus ift der fprechendfte Zeuge für diefen
Uebergang. Der zweite Theil befchäftigt fich mit den
Chriftenverfolgungen. Mariano kehrt fich fowohl gegen