Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1903

Spalte:

312-314

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Otto

Titel/Untertitel:

Neue Bahnen. Der Unterricht in der christlichen Religion im Geist der modernen Theologie 1903

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

3"

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 10.

312

Quellen componirten Gebete auf ihre Beftandtheile zurückzuführen
und diefe nachzuweifen, eine mühfame und
mit grofser Akribie erfüllte Aufgabe philologifcher Art.

Bücherfreunde werden das Book of Cerne lebhaft
begrüfsen. Die Ausftattung ift fehr fplendid; zwei facfi-
milirte ganzfeitige Bilder, das eine der Evangelift Lukas
mit feinem geflügelten Stier, das andere die täglich dreimal
gebetete Sorica of Loding in irifcher Sprache mit
lateinifcher Ueberfetzung, fchmücken das fchöne Werk.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Kapp, Lic theol. Pfr. W., Die Predigt der Sündenvergebung
nach ihren religiös sittlichen Beziehungen. Tübingen 1903,
J. C. B. Mohr, (III, 40 S. gr. 8.) M. —.80

Der Vortrag will nur den Inhalt der Sündenvergebung
, nicht ihre Vermittlung durch Chriftus behandeln.
Dagegen kann man nur etwas einwenden, wenn man
immer nach dem Urfprungsftempel fragt, ehe man
etwas werthet und annimmt. K. geht von den aufser-
chriftlichen Bufsftimmen aus, um das Bedürfnifs nach
S.-vergebung als religionsgefchichtlich begründet nachzuweifen
. So gut diefe religionsgefchichtliche Funda-
mentierung ift, fo dankenswerth wäre es doch gewefen,
mit einem Worte anzudeuten, warum wir glauben, nicht
in der Sphäre einer pfychologifch begründeten Meinung
hängen zu bleiben, fondern uns in einer realen Welt zu
bewegen, wenn wir als Chriften an einen die Sünde vergebenden
Gott glauben. Das foll fich auf alle Verfuche
beziehen, die chriftliche Erkenntnifse religionsgefchichtlich
fundamentiren wollen. Denn mit dem Nachweis,
dafs irgend ein Gedanke religionsgefchichtlich verftänd-
lich ift, haben wir noch lange nicht feine objective
Realität dargelegt. — K. hat die Darftellung des Verhaltens
Jefu in zwei Theile auseinandergeriffen S. 15
und 21, die nicht mit einander ausgeglichen find; das
eine Mal erfcheint Jefus als der gar keinen Nachlafs kenn-
nende ftrenge Sitten- und Bufsprediger, das andere Mal
als der Freund der Sünder. Mag man auch alles Syftema-
tifiren von Jefus fern halten, ungezwungen finden doch
jene beiden Gedanken ihre Einheit in dem Vater, der
zugleich die Sünde hafst und die Sünden vergiebt. Ueber
die Axe des paulinifchen Denkens habe ich eine andere
Anfchauung. Sie befteht in der Erneuerung der Gläubigen
durch den Geift-Chriftus. Dafs die Ueberwindung des
Nomismus in der Religion die ,bleibendfte' That Pauli
ift, kommt hier nicht in Betracht, nur was ihm die Hauptfache
war. K. fieht wohl zu fehr mit den durch die
lutherifche Dogmatik beftimmten Augen Ritfchl's in den
Apoftel hinein. Luther's vorwiegendes Intereffe an der
S.-vergebung ift richtig und gut charakterifirt. Die
übergeordnete Stellung der S.-vergebung in der Dogmatik
und Verkündigung ift auf S. 29 nicht genügend
begründet, fo richtig K. fpäter ausführt, dafs wir, fo oft
wir an Gott denken und Gutes von ihm empfangen,
bedenken follen, wie wenig fich uns fündigen Menfchen
gegenüber feine Güte von felbft verfteht. Das genügt
freilich nicht, um die S.-vergebung als den tragenden
Grund des ganzen religiöfen Verhaltens anzufehen; das
ift doch fchliefslich die Gefammtftellung Gottes felbft.
Etwas verwirrend wirkt der Abfchnitt über die Bezeichnung
der S.-vergebung als Motiv und Quietiv; will K.
sie nur als Motiv gelten laffen, fo fagt er doch felbft,
dafs fie an fich Quietiv ift. Sie ift gleichfam ein Motiv
zweiter Ordnung, während z. B. das Reich Gottes oder
der Chriftus in uns eins erfter Ordnung ift. Gut find
K.'s Bemerkungen über die Darbietung der S.-Vergebung
in der Verkündigung. — Im Ganzen glaube ich, dafs
der Vortrag mit feiner ftreng Ritfchl'fchen Faffung der
Begriffe eine Stufe der Auffaffung vom Ev. darfteilt,
die durch ein genaues Studium der N.-T.lichen Gedanken
überwunden ift.

Heidelberg-Neuenheim. Lic. Niebergall.

| Walther, Real-Gymn.-Dir. Prof. Ernft, Bibelwort und Bibelwissenschaft
mit befonderer Beziehung auf den evan-
gelifchen Religionsunterricht. Berlin 1903, E. S. Mittler
& Sohn. (108 S. gr. 8.) M. 1.75

Baumgarten, Prof. D. O., Neue Bahnen. Der Unterricht
in der chriftlichen Religion im Geift der modernen
Theologie. Tübingen 1903, J. C. B. Mohr. (III, 120 S.
gr. 8.) M. 1.20

Es regt fich doch erfreulich von allen Seiten auf
dem Gebiet des Religionsunterrichts. Die Pädagogen
auf der einen fordern dringend und fördern kräftig feine
Umgeftaltung, und die Theologen können fich diefem
Einflufs immer weniger entziehen. Es handelt fich dabei
in letzter Linie darum, dafs die moderne wiffenfchaft-
liche Auffaffung von Religion, Chriftenthum, Bibel u. f. w.
auch im Religionsunterricht Anerkennung erhalte, nicht
um ihrer felbft, fondern um der Religion willen, welche
gepflanzt und gefördert werden foll. In diefen Bahnen
gehen die beiden hier zu befprechenden Schriften.

I. Die Abhandlung Walther's könnte überflüffig
erfcheinen, wenigftens foweit fie die Berechtigung einer
Bibelwiffenfchaft darzuthun fich bemüht, da diefe ja
doch fchliefslich von keiner Seite ernftlich in Frage
geftellt wird. Allein fie wird einmal dadurch bedeutfam,
dafs fie, urfprünglich der Vereinigung der ev. Religionslehrer
der höheren Schulen Berlins und der Provinz Brandenburgvorgetragen
, dazu beftimmt und geeignet erfcheint,
diefen die wiffenfchaftliche Grundlage ihrer Lehrarbeit
energifch vor die Augen zu ftellen, und dann dadurch,
dafs fie eben darauf ausgeht, zu zeigen, dafs diefe
Grundlage im Religionsunterricht — W. fpricht nur von
dem der höheren Schulen — nicht aufser Acht gelaffen
werden darf, fondern diefer fich feft auf fie ftellen und in
organischem Zufammenhang mit ihr geftalten müffe. Durchaus
richtiger Weife erhebt W. diefe Forderung, um einem
,Nothftand' abzuhelfen, der nicht allein auf der Gemeinde
und dem Haufe, fondern insbefondere auf der Schule
und den Religionslehrern laftet. Gerade heute, unter
dem Eindruck von Delitzfch's Vorträgen und dem
Briefe unferes Kaifers, liegt diefer ja offen zu Tage.
Die Künfte der Harmoniftik verfangen eben nicht mehr,
um den Zwiefpalt zwifchen der wiffenfchaftlich-gefchicht-
lichen und der traditionell-dogmatifchen Anfchauung von

[ der Bibel auszugleichen. Nur die Bibelwiffenfchaft kann
helfen. Ohne fie mufs das Anfehen der h. Schrift immer
mehr finken. Bibelverftändnifs aber ift Grundlage und
Mittelpunkt eines evangelifchen Religionsunterrichts. Mit
dem alten Infpirationsdogma ift da nicht mehr auszukommen
. Eine Reihe gutgewählter Beifpiele zeigt dies
anfchaulich. Abweifen läfst fich die Bibelwiffenfchaft heute
nicht mehr; die ganze gefchichtliche Seite der Offenbarung
mufs ihr unterftehen, das Schriftprincip der Reformation
hat fie als ,rechtmäfsige Tochter' (S. 36) erzeugt
, Luther felbft hat fie geübt, die Wahrheit und die
Wahrhaftigkeit des Religionsunterrichtes fordern fie, und
fie hat auch, trotz vielen Schwankens, doch fchon eine
Reihe von feften Ergebnifsen zu Tage gefördert, die ohne
moralifchen Schaden im Unterricht nicht mehr ignorirt
werden können. Auch diefe Sätze werden durch inftruc-

I tive Beifpiele gut belegt. Die Nöthe heben fich erft,
wenn durch den Einflufs der Bibelwiffenfchaft auch im

I Unterricht zur Anerkennung kommt, dafs Offenbarungs-
mäfsiges von Nichtoffenbarungsmäfsigem gefchieden, Ur-
fchrift von Ueberarbeitung getrennt, das Einzelne aus
feiner hiftorifchen Situation heraus verftanden, der ver-
(chiedene religiöfe Werth der biblifchen Urkunden anerkannt
, altes und neues Teftament verfchieden beurtheilt
werden mufs u. f. w.

Das Alles erfcheint mir nicht neu; man braucht ja
nur an die, wie es fcheint, dem Verf. unbekannten Mehl-

I horn'fchen Lehrbücher (,Die Bibel' in I. Aufl. fchon