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Ausgabe:

1903 Nr. 10

Spalte:

306-308

Autor/Hrsg.:

Ehrhard, Albert

Titel/Untertitel:

Liberaler Katholizismus? 1903

Rezensent:

Mirbt, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 10.

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in Speier 1526 ift auf beiden Seiten kaum zu verflehen I
ohne Berückfichtigung des Mainzer Rathfchlags, der die
Pläne der Altgläubigen grell beleuchtete und darum die
Evangelifchen entrüftete, während er andererfeits ein
Luftftreich war und fo im eigenen Lager entmuthigte.

Leider befitzen wir noch keine Gefchichte der Reichs-
ritterfchaft (vgl. S. 382) in der Reformationszeit, aber
ficher ift, dafs die Gemmingen und andere Ritter im
Kraichgau, wie auch die Landfchad zu Neckarfteinach,
fchon vor 1530 reformirten. Ebenfo hatten die Ber-
lichingen in Schrozberg in Franken fchon vor dem
Bauernkrieg einen evangelifchen Pfarrer. S. 384 ift für die
Grundfätze Ulrich's bei der Reformation Württembergs
bezeichnend, dafs er erft Anfang Febr. 1535 einen Prädi-
canten nach Cannftatt fandte, wo das Domcapitel Con-
ftanz das Patronatrecht befafs, und zwar auf wiederholtes
Bitten der Gemeinde, worauf nach wenigen Wochen die
Meffe fiel. S. 400 ift Schwenkfeld's brieflicher Verkehr
mit Katholiken, mit Nonnen, mit dem Pfarrer von Waldfee
zu beachten. In Bergzabern S. 414 war die Meffe
fchon Sonnt, vor Palm. 1532 abgeftellt (Gelbert, Mag.
Joh. Bader's Leben u. Schriften, Nik. Thomä u. feine
Briefe S. 213). In Wimpfen S. 415 war Anfang 1542
eine Wendung eingetreten. Man fuchte einen evangelifchen
Prediger: Beitr. z. bayr. KG. 5, 215, aber erft
Anfang 1546 führte Ifenmann aus Hall die Reformation
durch, Beitr. z. bayr. KG. 3, 181. Preffel, Anecd. Brent.
256. Für die Oberpfalz S. 416 ift das Religionsedict von
1539 Nuntiaturber. 5, 582, 586 von Wichtigkeit. Für
Gleichen S. 420 giebt'Wibel, hohenlohefche Kirchen-
und Ref.-G. 2, 34 keine ficheren Daten; er verweift auf
Sagittarius. S. 441 wäre bei Württemberg die allgemeine
Entlaffung der Pfarrer auf Ii. Nov. 1548 und
ihre Haltung hervorzuheben. S. 457 der Lehrer Calvin's
hiefs Melchior Volmar Rot. P"ür die Literatur möchte
Ref. eine Stelle für feine grofse Arbeit über die Reformation
in der vorderöfterreichifchen Herrfchaft Hohenberg
mit den Biographien von And. Keller, Wilh. Reiblin,
Mich. Sattler in den leider wenig gekannten und jetzt
fchwer zu erlangenden Bl. f. württb. KG. (Beiblatt zum
württb. evgl. Kirchen- und Schulblatt 1885—1895!!),
wie für feine Studie Jak. Ratz, fein Leben und feine
Schriften' ebd. 1893, 33 ff. und für ,die Beiträge zur
Reformationsgefchichte in Franken' und die ,Briefe', Th.
Studien aus Württb. 1880, 175—280. 1881, 220ff. 1882,
181 ff. 314fif. 1886, 1 ff. erbitten, da hier viel Neues aus
öfterreichifchen, bayerifchen und fränkifchen Archiven
geboten ift.

Grofse Mühe und Sorgfalt hat der Verf. auf die Her-
ftellung einer Confeffionskarte auf Grund der 43. Karte
des Spruner-Menke'fchen Atlas gewendet. Leider ift der
Mafsftab recht klein, was gerade für den von Müller be-
fonders ins Auge gefafsten'Zweck allgemeine Orientirung
und Anfchauuug für Studenten' nicht fehr förderlich ift.
Aber Angefichts der grofsen Schwierigkeiten, die diefe
Karte verurfacht, und des Bedürfnifses einer folchen ift
das, was hier geboten wird, fehr dankenswerth. Der
Verf. hat der Redaction zur Benützung bei der Be-
fprechung felbft einige Bemerkungen zur Karte und zum
Text mitgetheilt. Zunächft bemerkt er, dafs die Arbeit
von W. Sievers ,Ueber die Abhängigkeit der jetzigen Con-
feffionsvertheilung in Südweftdeutfchland von den früheren
Territorialgrenzen. Mit einer Karte 1884', welche der Verf.
mit Gewinn benützen konnte, genannt fein follte. Auf
der Karte müfste Hildesheim, bifchöfliches Territorium,
weifs, Windsheim gelb, Utrecht, weltliche Hälfte an der
holländifch-brabantifch-clevifch-geldrifchen Grenze violett,
der Grenzftrich zwifchen Herzogthum Weftfalen und Bisthum
Paderborn ebenfalls violett, die hohenlohefchen En- |
claven zwifchen Rothenburg und Brandenburg-Onolzbach |
blau fein. Letzteres ift aber nicht ganz richtig, denn in
dem nordöftlichen Theil des Gebiets (Weikersheim) hat
Graf Wolfgang fchon von 1535 an und jedenfalls in den |

40er Jahren reformirt (Th. Stud. a. Württb. 1, 198). Sein
Gebiet müfste alfo mit grün bezeichnet werden. An
Corrigenda notirt der Verf. noch S. 249 Z. 18 exsurge
Domine vom 15. Juni ftatt 25. S. 252 Z. 10 um 6 Uhr
ftatt zur felben Stunde. S. 288 Anm. 1 Themata ftatt
Thema, S. 291 Z. 9 v. u. Kantz ftatt Krantz.

Der Referent fchliefst mit warmem Dank für die
reiche Anregung, die ihm in diefem Werke geboten wurde.
Bei feiner kurzen und frifchen Darftellungsweife und der
fteten Berückfichtigung der politifchen Gefchichte, deren
Verftändnifs M. auch durch Stammtafeln erleichtert (vgl.
die Ausführung über die Wettiner, S. 214, über das neue
Staatsgebilde von Cleve, Mark, Berg, Ravensberg, Jülich
S. 190 und die verzweifelt verwickelte Gefchichte des
Pfälzer Haufes S. 415), erfcheint das Buch für Studenten
fehr geeignet. Nicht verfchweigen kann der Ref., dafs
er über Luther's Stellung im Abendmahlsftreit eine abweichende
Anfchauung hat, aber er möchte dringend
wünfehen, dafs es Müller in der alten Heimath vergönnt
fein möchte, auch die folgenden 250 Jahre mit der
Gegenreformation, welche auch einer Karte bedürfte,
dem Pietismus und Rationalismus in derfelben anziehenden
Weife zu behandeln.

Nabern. G. Boffert.

Ehrhard, Prof. Dr. Albert, Liberaler Katholizismus? Ein

Wort an meine Kritiker. Erfte bis fünfte Auflage.
Stuttgart 1902, J. Roth. (XVI, 317 S. gr. 8.)

M. 3.20; geb. M. 4.20

War das Erfcheinen des Ehrhard'fchen Buches ,Der
Katholicismus und das zwanzigfte Jahrhundert' ein für die
Theologie und das innerkirchliche Leben des römifchen
Katholicismus in Deutfchland bedeutfames Ereignifs, fo
gilt dies in noch höherem Mafse von der Aufnahme, die
diefes Werk im Kreife der Glaubensgenoffen des Ver-
faffers gefunden hat. Zuerft faft enthufiaftifch begrüfst,
ift es dann fehr bald der Gegenftand einer abfälligen Kritik
geworden, und faft fcheint es, als follte die ungünftige
Beurtheilung der Uebergewicht behalten. Der Eintritt
diefes Umfchlags der öffentlichen Meinung wird niemand
verwundern, der die Gefchichte der Reformbeftrebungen
innerhalb der nachtridentinifchenkatholifchen Kirche kennt,
und ich habe bereits in der Anzeige des Ehrhard'fchen
Buches — Th.L.Z. 1902 Nr. 10 Spalte 314 — auf eine
Reihe von Anfchauungen hingewiefen, von denen zu erwarten
war, dafs fie auf ftarken Widerfpruch ftofsen würden.
Dem Verf. felbft find freilich die Angriffe, die er erfahren
hat, feiner Erklärung nach ,ganz unerwartet' gekommen.

In dem vorliegenden Buch fetzt fich Ehrhard mit
feinen Gegnern auseinander und zwar zunächft mit P. Rösler
(S. 1—100), der in einer Serie von Artikeln im Feuilleton
des Wiener .Vaterland' den Kampf eröffnete. Sie erregten
ein um fo gröfseres Auffehen, als die Redaction diefer
Zeitung ihnen die Bemerkung hinzufügte, fie fei .ermächtigt
mitzutheilen, dafs die fehr fachlichen Ausführungen des
Verfaffers im Allgemeinen als der gelungene Ausdruck
von Bedenken aufgefafst werden können, welche an mafs-
gebender Stelle getheilt werden'. Rösler übte feine Kritik
in der Form einer Beantwortung der Fragen: 1) Hat Ehrhard
die mittelalterliche Entwicklung der Kirche und ihre
Bedeutung für die Gegenwart richtig gekennzeichnet?
2) Ift die moderne Zeit mit ihrer eigenthümlichen Cultur
in ihrem Verhältnifs zum Katholicismus einwandfrei dar-
geftellt? 3) Können fich die Katholiken und die der Kirche
entfremdeten Anhänger der modernen Cultur auf dem
Wege die Hand zur Verföhnung reichen, den Ehrhard
beiden vorgezeichnet hat? — Nach umfangreicher ift die
Erwiderung auf das Buch des Dompfarrers Dr. Braun
.Bedenken über Dr. Ehrhard's Vorfchläge zur Verföhnung
der modernen Cultur und des Proteltantismus mit der
katholifchen Kirche' ausgefallen, denn fie füllt S. 102—218.