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Ausgabe:

1903 Nr. 1

Spalte:

7-8

Autor/Hrsg.:

Feldmann, Franz

Titel/Untertitel:

Textkritische Materialien zum Buch der Weisheit 1903

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 1.

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Pfalter das Gefangbuch der nachexilifchen Gemeinde;
unfer Gefangbuch aber lehrt, dafs es zum minderten
dreierlei .Gemeindelieder' giebt: 1. das univerfelle Lied,
das zu allen Zeiten jeder und im Gemeindegefang jeder
für fich fingen kann und das doch einmal ein Frommer
für fich allein gedichtet hat, wie: ,Befiehl du deine Wege';
2. Lieder, die den perfönlichen Ergufs eines Herzens in
grofser allgemeiner Noth darftellen, wie: ,Nun lafst uns
gehn und treten'; 3. Lieder, die von Haus aus von
einem Dichter im Geift und Blick der gefammten Gemeinde
verfafst wurden, wie: ,Erhalt uns Herr bei deinem
Wort'. Diefe verfchiedenen und noch mehr Arten flehen
auch im jüdifchen Pfalmbuch nebeneinander. In Pfalmen
wie Pf. 130 ift der Fromme zuerft ganz allein mit fich
befchäftigt, aber er läfst fein Gebet auslaufen in eine
Fürbitte für die Gemeinde. Der Umfchwung von Klage
in Jubel, den manche Pfalmen durchmachen, ift auch im
Gebetsleben des Einzelnen wirklich und wahr. Dabei
foll natürlich dem Verf. nicht abgeleugnet werden, dafs
zahlreiche Pfalmen erft ihren Sinn bekommen, wenn fie
eschatologifch gefafst und auf die Gefammtheit der
frommen Gemeinde bezogen werden, und dafs das Pfalmbuch
einen Beweis dafür liefert, wie mächtig in der
nachexilifchen Gemeinde der Frommen das eschatologi-
fche Intereffe war, wie nahe man den Umfchwung glaubte
und wie ftark man im Gottesdienft die eschatologifche
Hoffnung vorherrfchen liefs.

Leonberg. P. Volz.

Feld mann, Prof. Dr. Franz, Textkritische Materialien zum
Buch der Weisheit, gefammelt aus der fahidifchen, fyro-
hexaplarifchen und armenifchen Ueberfetzung. Freiburg
i. B. 1902, Herder. (VII, 84 S. gr. 8.) M. 1.20

Vorliegende Materialien find, wie das Vorwort bemerkt
, für das Paderborner Vorlefungsverzeichnifs vom
Winterfemefter 1902/3 gedruckt und gleichzeitig in den
Buchhandel gegeben worden. In dem genannten Ver-
zeichnifs ift unter der Ueberfchrift: C. A. S. mitgetheilt,
dafs der Dekan der Facultät, dem die Pflicht obgelegen
wäre, die Abhandlung zum neuen Vorlefungsverzeichnifs
zu verfaffen, durch Gefundheitsrückfichten daran verhindert
wurde. Wir erfahren aus dem Vorwort weiter, dafs es
eine textkritifche Erftlingsarbeit ift und freuen uns, dafs
fich ihr Verf. dafür einen fo dankbaren Stoff wählte. Beim
Buch der Weisheit ift ja der bisher zur Verfügung flehende
Apparat nahe beifammen, feine Erweiterung um fo dankbarer
und eine Beurtheilung der Varianten leichter als
bei andern Büchern. Mit dem Charakter der Arbeit als
Erftlingsarbeit hängt es wohl zufammen, dafs die Einleitung
über die gedruckten Ausgaben, Handfchriften, Ueber-
fetzungen, Citate ausführlicher ift, als man nach dem Titel
erwartet. Erft S. 20 beginnen die neuen Beiträge aus den
auf dem Titel genannten Ueberfetzungen und S. 41 unter
der Ueberfchrift ,Variantenfammlung' die Abwägung einer
grofsen Reihe von Lesarten. Leider hat der Verf. den
Apparat ungefchickt angeordnet. So lieft man
15, w Z> navxEq -- navxcaq 253 etc.
]> vrjjciov -j- vrjjticov AC etc.
Das foll heifsen: ftatt des erften haben die genannten
Zeugen das zweite; dagegen zu 18, 17
,oveiQ(ov] ösivcop 8 A etc ... Shex läfst das Wort ganz weg'.
Das foll heifsen, dafs hinter oveiqcov in diefen Zeugen
öecvojp (ftatt ÖEivmq) flehe. Auch einzelne Mifsverftändnifse
des bisherigen Apparats fehlen nicht. Z. B. gleich zur erften
Lesart, die befprochen wird, in 1, 2 heifst es ,261 corrigirt
A in xoiq jiioxsvovöiv'. 261 hat vielmehr nach Holmes-
Parfons xoiq axiöxovoiv; ebenfo ift gegen die Anmerkung
S. 68, dafs Deane in 13, 14 S2 yfj [liXxcp lefen laffe, ,nur
23. 253 lefen fo', Deane im Recht. Ref. ift auch nicht an
allen Stellen derfelben Auffaffung, wie unfer Verf., aber
die textkritifche Aufgabe hat er vollfiändig richtig an- i

gefafst, und das ift ein grofses Verdienft, wenn man bedenkt
, wie bequem es fich bis in die neufte Zeit fo manche
Bearbeiter biblifcher Bücher gemacht haben. Gewünfcht
hätte ich, er wäre dem wichtigen Fingerzeig nachgegangen,
den er zu 2, 8 erwähnt und hätte fich und uns eine Ab-
fchrift des Gloffars verfchafft, das allein bis jetzt Xsipmv —
pratum uns erhalten hat. Ebenfo hätte die merkwürdige
Uebereinftimmung zwifchen 253 und dem Syrer, die er zu
13, 13 hervorhebt, verdient weiter verfolgt zu werden.
Auch das Räthfel, woher die Sixtina das auch im Shex
gebotene äsimXsaaq in 12, u hat, verdiente eine genauere
Erörterung im Zufammenhang mit 18, 22, wo der Syrer für
xoXa&iv bSM, und Shex wiederum "DIX hat. Lefer, welche
Shex nicht nachfchlagen können, werden durch die Bemerkung
verwirrt werden, dafs er 6xiXmd-EV 15, 4 .mit
mtjftnm= olfxotcod-Ev nqmxoxvicm (am Rande)' wiedergebe.
Die Randbemerkung ift doch nur eine Erklärung der fyr.
Wortform, darf alfo nicht ins Griechifche überfetzt werden.
Sehr intereffant ift, dafs 4, 19 jtgrjvElq in B am Rand mit
ssil JtQooojtov erklärt, vom Armenier, Aethiopen und
Lateiner mit inflatos, vom Syrer mit ,Säge' überfetzt wird.
Denn dies bildet eine vollftändige Parallele zu der papi-
anifchen Auffaffung vom Schickfal des Judas Ifcharioth,
Act. 1, i8. Das mag zugleich zu der Erage nach dem
Zufammenhang des Buches mit dem N. T. führen. Nach
einer Ueberficht über die bisherigen Datirungen bleibt der
Verf. bei dem Ergebnifs, dafs vorläufig jedenfalls kein
triftiger Grund vorliege, die Abfaffung aus der letzten
Hälfte des 2. vorchriftlichen Jahrhunderts in eine fpätere
Zeit zu verlegen. Bei den Parallelen des Paulus (S. 18)
hätte er aufser Siegfried und Bouffet die Arbeit von Gräfe
in den Abhandlungen für Weizfäcker nennen follen, wie
bei den Separatausgaben die ältefte, Roberti Holkoth . ..
in librutn Sapientiae .. . Salomonis praeiectiones CCXlll . . .
cum inserto Graeco textu 1586 fol., eine Berückfichtigung
verdient hätte. Dafs die Codices Sergii bei Holmes-
Parfons armenifche find, ift namentlich zu 12, 5 nicht
beachtet. Thielman (S. 13) ift nicht mehr Prof. in Landau,
fondern Rector in Fürth; der arabifche Ueberfetzer S. 15
heifst Senan nicht Senau. Schliefslich noch eine Bemerkung
zur Stichenzahl des Buches. ,Nach einer Bemerkung
bei Swete am Schlufs hat B 1124 Stichen; ich zähle nach
der Ausgabe von Swete nur II 17, Kopt. hat 1065 Stichen'.
Die aus meinem Supplement zu Tifchendorf in Swete's
Ausgabe herübergenommenen Stichenzahlen entflammen
nicht, wie fchon da und dort geglaubt wurde, einem hand-
fchriftlichen Vermerk im Vaticanus, Sinaiticus undAlexan-
drinus, fondern ruhen auf einer von meiner verftorbenen
Frau vorgenommenen Zählung. Ich habe weder Luft noch
Zeit, all diefe Zählungen noch einmal nachzurechnen, für
dies Buch habe ich es aber gethan und gefunden, dafs
die Zahl nach dem Facfimiledruck von B 1118 ift.1) —
Hiermit empfehle ich diefe Materialien allen, die fich für
das Buch der Weisheit intereffiren; vor allem aber möchte
ich das Buch felbft, das unter den alten Kirchenlehrern
keinen einzigen Commentator gefunden hat, zu fleifsiger
Vergleichung mit dem N. T. empfehlen. Die Darftellung
der Leidensgefchichte berührt fich mit demfelben fo auffallend
, dafs man auch einmal umgekehrt fragen möchte,
ob das Buch nicht vom N. T. abhängig fei. Auch die
Prologe zu demfelben, die Berger namhaft machte (Nr.
142—145) follten einmal alle zugänglich werden; ebenfo
die von Thilo theilweis verglichenen griechifchen Handfchriften
. Endlich bleibt für Conjecturiften manches zu
thun übrig.2)

Maulbronn. Eb. Neftle.

1) Ohne den am Rand nachgetragenen 8, I2C-

2) 16, 21 ift (Tot) (oder orjv) zu ftreichen und vttbaraGiq von der
Subftanz des Manna zu verftehen, im Unterfchied von feinem wechfelnden
Gefchmack.