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Ausgabe:

1903

Spalte:

277-279

Autor/Hrsg.:

Tasker, John G.

Titel/Untertitel:

Spiritual religion. A study of the relation of facts to faith, beeing the thirty-first Fernley-lecture, delivered in Newcastle-on-Tyne, August, 1901 1903

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Theologifchc Literaturzeitung. 1903. Nr. 9.

278

Tasker, John G., Spiritual religion. A study of the relation
of facts to faith, beeing the thirty-first Fernley-lecture,
delivered in Newcastle -on-Tyne, August, 1901. London
1901, Ch. H. Kelly. (XII, 179 p. 8.) 2 sh; geb. 3 sh.

Es fei mir geftattet, wenn auch verfpätet, auf dies in
mehr als einer Hinficht intereffante Buch aufmerkfam zu
machen. Der Verfaffer, feit 1875 wesleyanifch-methodi-
ftifcher Geiftlicher, ift feit 12 Jahren Profeffor an dem wes-
leyanifchen Seminar in Handsworth-Birmingham; die Fern-
ley-lectttres, deren 31. Jahrgang fein Buch darfteilt, find
eine wesleyanilch-methodiftifche Stiftung, deren Zweck
nach den mir überfehbaren Publicationen — die Fundations-
beftimmungen in den Minutes XVII, 618 find mir nicht
zugänglich — ein rein apologetifcher ift. Apologetifch
ift auch das vorliegende Buch. Sein Titel wird, auch mit
der Näherbeftimmung, wenigen Lefern diefer Zeitung eine
deutliche Vorftellung von feinem Inhalt erwecken. Ob der
Begriff ,Spiritual religion1 in der englifch-theologifchen
Sprache auch fonft gebräuchlich ift, weifs ich nicht; auf
methodiftifchem Gebiet bin ich ihm auch fonft begegnet:
J. H. Rigg in feinem intereffanten Buche ,T/ie cliurch-
manship of John Wesley' (2. Aufl. London s. a. [1887])
Itellt die .theofophifchen' Tendenzen der PVömmigkeit Wes-
ley's in der Zeit vor 1738 feinen fpäteren ,evangelifchen',
feine damaligen anystical ideas of contemplative union
with God' feinen fpäteren Gedanken ,of Spiritual union
with Jesus Christ- gegenüber (S. 38) und fagt, Worte der
Mifs Wedgwood (vgl. RE:1 XII, 748,37 f.) citirend, Wesley's
fpäteres Leben, verglichen mit den zwei Jahren in Georgien,
mache deutlich, dafs er im Frühjahr 1738 fassed into a
new Spiritual religion- (S. 36). Uer Begriff ^Spiritual
religion' deckt fich ungefähr mit dem, was Wesley in Anlehnung
an Joh. 4, 23 ,spiritual worship' nennt (Fifty-three
sermons p. 339). ,Die Möglichkeit und das Wefen geiftiger
Gottesverehrung' oder ,wahrer Religiofität' — diefer Titel
würde nach unferm Sprachgebrauch etwa den Inhalt des
Buches anzeigen. Man könnte auch in Erinnerung an
Herrmann's .Verkehr' (,a strong word, unusual in this
connexion' S. 107), mit dem manche Ausführungen diefes
Buches fich berühren, und von dem Tasker fagt: ,A Methodist
reader mar confess to havingfeit Iiis heart > stran-
gely warmed < by some of Herrmann 's earnest words'
"(a. a. O.) den Titel ,die Gemeinfchaft mit Gott in der
chriftlichen Religion' für zutreffend halten. Der Verfaffer
behandelt in der einleitenden Vorlefung die Stellung der
Religion in der Gegenwart im Vergleich mit derjenigen
in den letzten drei Jahrhunderten; er findet, dafs die Au-
fpicien für das 20. Jahrhundert günftige find, erörtert den
Einflufs moderner Ideen, wirklicher und vermeintlicher
Refultate der Wiffenfchaft, auf die Religion und leitet
dann zu feiner Aufgabe mit der Verficherung über, dafs
der Glaube mit Ruhe der Arbeit der Wiffenfchaft zufehen
könne, aber auch nicht blind fein dürfe gegenüber dem,
was die Wiffenfchaft als wirklich feftgcftellt habe (to any
fact which scientific research may bring to light). In diefem
Sinne will der Untertitel ,A study of the relation of facts
to faith' verftanden werden. In Auseinanderfetzung mit
den Refultaten phyfiologifcher und pfychologifcher For-
fchung und im Gegenfatz zu materialiftifchen .Hypothefen'
wird in der zweiten Vorlefung ,die geiftige Natur des
Menfchen', in der dritten ,Gott als geiftige Perfönlichkeit'
behandelt. Der vierte Abfchnitt befpricht die Möglichkeit
einer .Gemcinfchaft Gottes mit den Menfchen', Cap. V
erörtert die Wirklichkeit und die Grenzen der .Offenbarung
Gottes in der Natur', Cap. VI ift der .Offenbarung Gottes
in der Gefchichte' gewidmet. Dann gelangt Verf. auf die
Höhe feiner Ausführungen mit Cap. VII und VIII; fie
handeln von dem .Zugang zu Gott durch Chriftus' und dem
,Zugang zu Gott durch den hl. Geift'. Den Schlufs bilden
zwei Vorlefungen über die .Gemeinfchaft mit Gott in der
Kirche' und die .Gemeinfchaft mit Gott in der Welt':
nicht nur im Einzelleben foll die Gemeinfchaft mit Gott

fich auswirken, aber auch nicht nur in der cultifchen Ge-
: meinde, fondern in der Berufsarbeit des Lebens, in der
Mitarbeit an den grofsen focialen Aufgaben der Menfchheit.

Neue Richtlinien für die fyftematifche Arbeit werden
die Ausführungen des Verfaffers einem deutfehen Dog-
matiker kaum geben können. Zwar fteckt z. B. in dem,
was Verf. über die Glaubenserfahrung und ihr Verhältnifs
zur Schriftautorität fagt (S. 148 ff.), mancherlei Beachtens-
werthes — wer eine Gefchichte des in der neueren Dog-
matik fo wichtig gewordenen Begriffs der chriftlichen Erfahrung
fchreiben wollte, müfste neben Zinzendorf u. a.
; Wesley und feiner Kirche befondere Aufmerkfamkeit
widmen —; doch find des Verfaffers Gedanken nicht ausgeführt
genug, um die zünftige dogmatifche Arbeit förderm
zu können: fchon der Umftand, dafs fie im Rahmen apo-
1 logetifcher Vorträge fich halten mufsten, zieht — hier
I wie im ganzen Buche — der Analyfe der Begriffe, der
Erörterung ihrer wiffenfehaftlichen Tragweite und anderen
| der Art enge Grenzen. Aber in dreifacher Hinficht verdient
j das Buch Beachtung. Zunächft ift es hoher Anerkennung
werth als eine jedem gebildeten Lefer verftändliche apolo-
getifche Leiftung, die nicht bei Nebendingen fich aufhält,
, trotz durchaus confervativer Stellung zur hl. Schrift von
traditioneller Enge frei ift, durch offenen und weiten Blick
fich auszeichnet und nie in unfeine Polemik fich verliert.
Hie und da möchte man die Ausführungen noch etwas eingehender
wünfehen — das Problem der Freiheit ift S. 31 f.
und s8f. m. E. zu kurz abgethan —, im Grofsen und Ganzen
i aber ift die Stoff begrenzung dem Zweck entfprechend. Die
Darfteilung ift klar und warm, wirkt anregend durch eine
grofse Menge von Citaten, die in die Ausführung verflochten
find, und erhält einen befonderen Reiz durch die
mehrfache und gefchickte Benutzung der neueren religiöfen
Poefie Englands, die der unferen weit überlegen ift1). Ein
diefer Arbeit Tasker's vergleichbares deutfehes Buch befitzen
wir m. W. nicht; aber ich wollte, wir hätten ein
apologetifches Werk diefer Art.

Zweitens ift es mir intereffant gewefen, zu fehen, wie
in diefen Fernley-lectures die deutfehe Theologie fich
fpiegelt. Verfaffer weifs, obwohl er Ranke zu einem
Hegelianer macht (S. 103) und bei Nietzfche mit der
.blonden Beftie' operirt (S. 72), als fei fie Nietzfche's Ideal,
in Deutfchland und infonderheit in der deutfehen Theologie
gut Befcheid. Seine Kenntnifs bezieht fich zwar
nicht auf alle Gruppen der deutfehen Theologie gleich-
mäfsig; aber fie ift doch ausgedehnt; vornehmlich erftreckt
fie fich auf Ritfehl und feine Schule. Und eben das ift
intereffant, zu beobachten, wie hier, fern vom Schauplatz
deutfehen kirchenpolitifchen Kampfes, Ritfchl'fche Gedanken
aufgefafst und beurtheilt werden. Der Verfaffer
ift gewifs kein Ritfchlianer, mehrfach weift er Ritfchl'fche
Gedanken zurück, und nicht immer wird er Ritfehl und
den ihm naheftehenden Theologen dabei ganz gerecht (fo

1) Sehr fchön find z. 15. die Verfe von Francis Turner Palgrave, die
neben Col. 2, 2 als Motto dienen. Ich bezweifle, dafs fie in gleich kurze
und prägnante deutfehe Verfe überfetzt werden könnten:

0 Thon who, as our hnowledge grows,

in the worlds later davs,
The more Thou seem'st to cl/ar the shy,

The more dost hide Thy face:

As science forging day by day

Her close-link'd chain, withdraws

The once-felt touches of Thy hand
For (itimb organic laws:

The wider vision Thou hast given

Yet is not wholly gain;
The truer vision scathes our sight;

Wc cannot see Theo piain.

Enlarge cur hearts and purge our eyes

To bear Thy nearer light;
The world's young ignorance is o'er;

Malte us to hnow Thee right.