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Ausgabe:

1903 Nr. 9

Spalte:

273-274

Autor/Hrsg.:

Vischer, Eberhard

Titel/Untertitel:

Ist die Wahrheit des Christentums zu beweisen? 1903

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 9.

274

aviez quitte les plaisirs (II, 181. 168). Ne vous etonncz I dafs feine Stellung feine freie That ift, als auch der, dafs

pas de voir des personncs simples croirc sans raisonnement.
Dicu leur dornte l'amour de soi et la haine d'eux-memes.
Jl incline leur coeur a croire: 011 ne croira Jamals d'une
creance utile et de foi, si Dieu wincline le coeur et
on croira des gu'il l'inclinera (II, 177) . . L'licriture sainte
n'est pas wie science de l'esprit, mais une science du coeur,
qui iiest intelligible que pour ceux qui ont le coeur droit,

er wagen mufs, dafs er gar nicht anders kann, als glauben
und Chriftus nachfolgen. Alles kann ihm zweifelhaft fein
und von ihm in Frage gezogen werden, nicht aber die
Notwendigkeit und die Vernünftigkeit diefes Wag-
nifses' (S. 8).

Die nahe liegende Einwendung, es fei ein metho-
difcher Fehler, zuerft zu beftimmen, wie das Chriftenthum

et toiis les untres n'y trouvent que de l'obscurite (I, 370). 1 befchaffen fein müfste, um vertheidigt werden zu können,
Hätte der Verf. diefeund ähnliche Ausfprüche in die rechte fucht V. durch Ausführungen zu entkräften, die wahr-
Beleuchtung geftellt, fo würde er die Tragweite derfelben ■ fcheinlich nicht alle Bedenken zerftreuen werden. Nichts
noch gründlicher gewürdigt und nachgewiefen haben, deftoweniger enthält der Vortrag viel Treffliches und
Aehnlich verhält es fich mit anderen, nicht minder frucht- j wird dem aufmerkfamen Lefer höchft dankenswerthe Anbaren
Erkenntnifsen. Durch feine Beurtheilung der Be- regungen geben. Der Verf. hat fehr gut gezeigt, in wel-
deutung des Willens für das Erkennen ift Pascal der Vor- chem Sinne der Menfch erft durch Chriftus die Wirklichgänger
von Maine de Biran, Secretan, Renouvier, ge- keit reell zu erkennen und zu ihr die richtige Stellung
wefen, — um der Vertreter diefer Anficht unter uns nicht ! zu gewinnen vermag; nicht minder glücklich find die Be-
zu gedenken. Auch die chriftocentrifche ürientirung I merkungen gegen das Chriftenthum ohne Chriftus, fowie
feiner Weltanfchauung hätte erwähnt werden dürfen. , die Auseinanderfetzungen mit Lagarde, der offenbar,
Jesus-Christ est l'objet de tont et le centre oü taut tend; wenn auch zum Theil antithetifch, auf V.'s Eigenart und
qui le connait, connait la raison de toutes choses (II, 115). | Geiftesarbeit bedeutend eingewirkt hat. Für die Schwierig-
Doch wenn wir auch bedauern, dafs der Verf. feine keiten, die das Schlagwort vom ,hiftorifchen Chriftus' in
Unterfuchung nicht breiter angelegt hat, müffen wir an- j fich birgt (S. 22 fg.), zeigt der Verf. ein feines Verftändnifs.
erkennen, dafs er feinen Gegenftand in den engen Gren- 1 Bei der Befchreibung des doppelten Weges, den man zur
zen, die er fich gefleckt, gründlich behandelt und die Beftimmung des Wefens des Chriftenthums einzufchlagen
Pascalliteratur um einen höchft dankenswerthen Beitrag pflegt (S. 14 fg.), hätte eine directe Stellungnahme zur
bereichert hat. Harnack'fchen Faffung und Löfung des Problems den

c. ,. . ,c p t „uftoin Vortheil gehabt, die eigene Pofition V.'s heller zu be-

Strafsburg I./E. P. Lobfte.n. leuchten ^ fchärfer n£rvortreten zu laffen

Bei dem traurigen Zuftand, in welchem — im Grofsen

Vischer, Prof. Eberhard, Ist die Wahrheit des Christentums und Ganzen — die chriftliche Apologetik fich immer

. .___~ t u- 1 r -a i/r~v,.. riu r.. c noch befindet, ift diefer Beitrag zu einer fruchtbaren Be-

zu beweisen? lubingen igo2, I. C. B. Mohr. (Iii, 54 S. ... . ' .. , & . .. -;",~r

° ~ ' J Ti/r arbeitung jener unerlafshchen Disciphn mit aufrichtigem

gr- 8-) M- l-20 Dank zu begrüfsen.

,Das Chriftentum ift nicht einfach das naturgemäfse Strafsburg i E P Lobftein

Ergebnis der menfehlichen Entwicklung, gleichkam die
Blüte, welche die menfehliche Natur zur beftimmten Zeit

mit Notwendigkeit hervorgetrieben hat. Aber in ihm Dreyer, Otto, Zur undogmatischen Glaubenslehre. Vorträge
kommen ihre beften Triebe ihre wertvollften Kräfte | und Abhandlungen. Berlin 1901, C. A. Schwetfchke &
erft zur rechten Entfaltung, finden ihre tiefften Bedurf- c , ,.nT ° c „.

nifse ihre volle Befriedigung. Was Chriftus uns bringt, bonn- ^V11' rSö b- gr- 80 M- 2.—

ift einfach das Facit, das fich aus der Erkenntnis der Diefer erneute Abdruck zerftreuter früherer Auffätze

Welt und der Gefchichte von felber ergiebt. Aber im des bekannten, unlängft heimgegangenen Verfaffers fpiegelt
Glauben an ihn erhalten die ewigen Fragen, welche die : die ganze fympathifche und ernfte Perfönlichkeit diefes
Welt und das Leben im Menfchen wachrufen, eine Löfung, j hervorragenden Geiftlichen. Es ift der Geift der Schleier-
die der Wirklichkeit gerecht wird und die Vernunft be- j macher'fchen Schule, der fich hier in der praktifchen Arbeit
friedigt. Und eben defshalb läfst fich ein Beweis feiner , an der Zufammenfaffung aller kirchlich Intereffirten und
Wahrheit fuhren. Der Beweis befteht darin, dafs wir das ■ an der Auffuchung eines fetten Fundamentes der modernen
nachweifen. Freilich nicht für den läfst fich diefer Nach- kirchlichen Arbeit fo raftlos und zuverfichtlich wie gediegen
weis geben, der als Wirklichkeit nur anerkennt, was man i und ergreifend bethätigt. Die Faffung der Religion als
meffen und wägen kann, der unter der menfehlichen Natur eines irrationalen praktifch-religiöfen Erlebnifses, das im
nur die finnliche Natur mit ihren Trieben verfteht. Aber i Geiftes- und Erlöfungszufammenhang mit Chriftus den
gerade im Lichte Chrifti erkennen wir, dafs ein Menfchen- ; Gläubigen ergreift, die Betrachtung der religiöfen Gedanken-
leben, bei dem des Menfchen innerfte, wahre Natur zu ihrem und Vorftellungswelt als poetifch-anfehaulichen Symbols
Rechte kommt, nicht ungehemmte Herrfchaft der finn- I für begrifflich unzugängliche Erfahrungswahrheiten, die
liehen Triebe ift. Wir fehen, dafs nicht blos die innere j Sonderung der immer wechfelnden begrifflichen Arbeit der
Befriedigung fich allein da einftellt, wo die finnlichen Theologie von dem unabänderlichen Gefühls- und ErTriebe
unter der Zucht des Geiftes flehen, fondern dafs fahrungsgehalt des religiöfen Lebens: das find die Mittel,
auch nur da das menfehliche Gefchlecht äufserlich ge- die diefes Ziel erreichen laffen. Von hier aus läfst fich
deihen kann. Dafs von der Wahrheit des Chriftentums die Methode der geiftlichen Arbeit gewinnen, die überall
nur der uberführt werden kann, der einen Hauch des auf Erzeugung und Erregung des religiöfen Lebens und
Geiftes Chrifti verfpürt hat und es wagt, mit unfichtbaren Gefühls hinwirken mufs und Alles von fich fern halten
Gütern zu rechnen, entfpricht nur den Forderungen, die mufs, was diefem Ziel nicht dient; von hier aus läfst fich
wir an den Beweis zu ftellen haben'. die Lehrverpflichtung des Geiftlichen feftftellen, die über-

Diefes Urtheil, in welchem fich der wefentliche In- all nur auf die centrale Glaubenswahrheit der in Chriftus
halt des am 7. October gehaltenen Vortrags zufammen- dargebotenen Erlöfung und die einfachften darin einge-
fafst (S. 50—51). bejaht die in der Ueberfchrift aufge- ; fchloffenen biblifchen Gedanken fich beziehen kann; von
worfene Frage und giebt zugleich die Grenzen an, inner- hier aus läfst fich das Bleibende und Vergängliche im
halb deren dem Verf. diegeftellte Aufgabe lösbar erfcheint. j Chriftenthum und in den einzelnen kirchlichen Dogmen
,Für die Wahrheit des Chriftentums ift ein Beweis zu fondern, und von hier aus läfst fich der unveränderliche
führen, aber nur ein Wahrheitsbeweis ganz beftimmter j Gegenftand der Glaubenslehre umfehreiben, der dann von
Art. . . Jeder aufrichtige Jünger Chrifti ift fich beider j der auf die wechfelnden wiffenfehaftlichen Erkenntnifse
Thatfachen bewufst, fowohl der, dafs er wagt und glaubt, i eingehenden Begriffsarbeit der Glaubenslehre in einer je-