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Ausgabe:

1903

Spalte:

244-251

Autor/Hrsg.:

Lask, Emil

Titel/Untertitel:

Fichtes Idealismus und die Geschichte 1903

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 8.

vortreten läfst — z. B. I 263, 267 .kommt d. E. nach
Valladolid,; 266 werden .dem E.' Leute zugeführt; 267
predigt Sanchez ,d. E.' auf allen Gaffen; 268, 270 finden
wir Anhängerinnen .des E.- u. f. w. Er verfällt felbft in
die Art der von ihm fo fcharf angefafsten erbaulichen
Schriftfteller. Den Weg, den die neue religiöfe Lehre
bei dem Einzelnen nimmt, lernt der Lefer wefentlich
durch Rückfchlufs aus den Zeugenausfagen kennen, am
eheften mit Hülfe der I, S. 289 A. 1 verzeichneten Stellen.
Nur bei Einzelnen, etwa bei Sanchez bekommt man den
Eindruck, dafs er mit den feftformulirten Pofitionen der
sola fides feine Propaganda betreibt, und für Carlos de
Sefo ift die Rechtfertigung aus dem Glauben' das aus
Italien mitgebrachte Schibbolet, an dem man den Jünger
der Reformation erkennt. Ift nun hier die eine Angel
der antikatholifchen Pofition zu conftatiren, fo bietet die
Feier des Abendmahls sub utraque die andere. Die dazu
S. 288 gegebenen Bemerkungen des Verf.'s werden kaum
befriedigen: warum foll die von Fray Domingo de Rojas
veranftaltete, allerdings ungemein einfache, Art der Feier
nicht würdig gewefen fein und nicht erbaulich gewirkt
haben? Will S. hier die abfchwächende Darlegung der
Angeklagten als abzugsfrei anfehen? Wenn man die
fämmtlichen I, S. 289 A. 1 angegebenen Stellen über die
Sacramente vergleicht, fo kann man auch dem Urtheile
des Verf.'s nicht beiftimmen, der an derfelben Stelle im
Text fagt: ,Das eine Mal finden wir es als reines Ge-
dächtnifsmahl bezeichnet, ein anderes Mal wird die leibliche
Gegenwart Chrifti . . . hervorgehoben'. Zu dem
erften Theile diefer Behauptung wird auf eine Stelle aus
Bd. III, S. 387 hingewiefen, die gerade das Gegentheil erweift
, fofern doch ausdrücklich hervorgehoben ift, ,dafs
jedesmal (der Gläubige) Chriftum den Gott und Menfchen
empfange'.

Doch ich will üher die Auslegung des gebotenen
Materials nicht ftreiten. An fich ift dasfelbe fo umfangreich
und fo werthvoll, dafs man fich dem Herausgeber zu
lebhaftem Danke verpflichtet fühlt. Einige Kleinigkeiten
füge ich aus gelegentlicher Notirung noch an. I, S. 367
heifst es: ,Es ift als eine wunderliche Renommage zu bezeichnen
, wenn evangelifche Märtyrerlegenden den hohen
Stand vieler Gemeindeglieder preifend hervorgehoben
haben'. Sollte das nicht eher auf eine harmlos-fälfchliche
Deutung des de im Namen der Meiften zurückgehen?
Ferner: Was ift .Turlingen' I, 313, wo nach III, S. 804
das Verhör des Sanchez ftattfand? Etwa Tournay? Der
Name des verballhornten Urlingen I S. 97 ift Aurillac
(nicht Orliac). —■

Und fchliefslich noch Eins. Der Verfaffer ift fich
offenbar bewufst, dafs er durch die Rettriction und Modi-
fication der traditionellen Anflehten über die Verbreitung
des .Evangeliums' und die Qualität mancher feiner Bekenner
in Spanien imXVI.Jahrh. gewiffen liebgewonnenen
Anflehten weiterer Kreife entgegentritt. Er kann und
darf aber als Hiftoriker nicht anders. Aber wenn er einmal
das Wirken der Inquifition gegen den Proteftantis-
mus in Spanien fo ausführlich darlegt — läge es dann
nicht nahe, auch, wenigftens im Schlufswort, die Einwirkung
des in der Inquifition zum Ausdruck kommenden Geiftes
auf die Nation zu berühren und die Linie zu ziehen von
den Glaubensgerichten 1559 und 1560 zu dem Gottesgericht
des Zufammenbruchs, deffen Zeugen wir jüngft
gewefen find?

Königsberg i. Pr. Benrath.

Aall, Anathon, Glaube. Verfuch einer pfychologifchen
Analyfe und wiffenfehaftlichen Inhaltsbeftimmung des
Begriffs. [Videnskabssels kabetsskrifter. II. Historisk-
filosofisk Klasse. 1901. No. 6.] Chriftiania 1901, J.
Dybwad. (21 S. gr. 8.)

Das gewöhnliche Denken, das fich im Sprachgebrauch
der verfchiedenften Sprachen kundthut, hält zwei Gruppen

von Glaubensphänomenen auseinander, einerfeits eine Ge-
müthszuneigung, andererfeits eine intellectuelle Beftimmt-
heit. ,Dies hat die philofophifche Bedeutung, darauf
hinzuweifen, wie wir geneigt find, die Vorftellungsgebiete
einer zweifachen Erfahrungswelt einander gegenüber abzugrenzen
'. Pfychologifch aber drücken der ethifche und
der empirifche Glaube diefelbe Thatfache aus. Infofern
ift Glaube ,ein Bewufstfeinsgebilde nach dem Schema
der Wahrfcheinlichkeit'. Weiterhin ftellt er fich als die
.feelifche Function' dar, ,die den Menfchen aus Analogien
eigener Erlebnifse nach doppelter Richtung hin exiftenzi-
ale Grundthatfachen fchafft'. Er erreicht feinen höchften
Ton, ,wo es fich um die ethifchen Werthe handelt . . .
Der Menfch mag die ihm bekannten Ideale gutheifsen
oder verwerfen, immer bethätigt fich der Glaube als
Richter, und zwar ift es menfehlich, glaubend an dem
Fortbeftand folcher Welttheorien mitzuarbeiten, an deren
Manifeftationen unfer inneres Lebensgefühl fich ftärkt
und beruhigt'. ,Sowie Gefühl und Empfindung die
Grundbeftandtheile unferes Bewufstfeins find, fo ftellt
fich der Glaube dar als Haupttheil unferer praktifchen
Exiftenz'. In das religiöfe Gebiet fallen die intenfiv-
ften Bezeugungen des Glaubens. ,Als religiös aber mufs
nicht nur die auf die Gottheit oder die Götter bezogene,
fondern jede glaubensvolle Lebensanfchauung gelten, die
von einer gewiffen ethifchen Grundanfchauung aus das
Ziel des Lebens zu verliehen und den Inhalt desfelben
zu geftalten fucht'. ,Es giebt nichts mächtigeres als
einen feiten Glauben; es läfst fich aber kaum etwas
nennen, was methodifcher die vielverzweigten menfeh-
lichen Anlagen, die taufendfachen Neigungen und Regungen
der Menfchen erfticken kann, um über das Leben
eine ftarre Monotonie zu verbreiten. Dem fchönen Bild
des idealen Glaubens ift dementfprechend in der Men-
fchengefchichte der Fanatismus als Begleiterfcheinung
zur Seite getreten'.

Der Verf., der im Eingang fagt, er wolle das Er-
gebnifs feiner Unterfuchung der gröfseren Deutlichkeit
halber in möglichft präcis gefafsten Formeln ausdrücken,
thut dies, indem er 14 Sätze entwickelt, deren zum Theil
recht ungleichartige Begründung durch linguiftifche, lo-
gifche, plychologifche und algebraifche Erörterungen zwi-
fchendurch gegeben wird. Bei diefer fchematifchen Anlage
feiner Darfteilung erfchliefst er jedoch kein zufammen-
hängendes Verftändnifs von dem, was er eigentlich will.
Manches, was er fagt, leuchtet als gut beobachtet und
treffend ein, anderes befremdet, da es mindeftens nicht
eingehend und vollfländig genug begründet erfcheint.
Der Verf. hätte feinen Lefern einen beffern Dienft ge-
than, wenn er nicht vor allem eine vermeintliche Deutlichkeit
feiner Formeln erftrebt, fondern wenn er die
Gefichtspunkte deutlicher unterfchieden hätte, unter denen
er den von ihm unterfuchten Gegenftand zu bewältigen
verfucht hat. Die pfychologifche Analyfe, die er zu
leiften verheilst, ift aufserdem recht fragmentarifch ausgefallen
. Von welcher Art feine eigenen pfychologifchen
Grundbegriffe find, ift daher auch nicht mit Sicherheit
zu erkennen.

Bonn. O. Ritfchl.

Medicus, Fritz, Kants Philosophie der Geschichte. (Erweiterter
Sonderabdruck aus Band VII der .Kantftudien'.)
Berlin 1902, Reuther & Reichard. (III,82S.gr. 8.) M.2.40

Lask, Dr. Emil, Fichtes Idealismus und die Geschichte.

Tübingen 1902, J. C. B. Mohr. (XII, 270 S. gr. 8.) M. 6.—

Je mehr das philofophifche Denken der Gegenwart
fich von einer Tendenz, die einfeitig die Naturgefetze
für die Bildung der Weltanfchauung verwerthet, in den
letzten Jahren abgewendet und fich auf die Inhalte und
Werthe des geiftigen Lebens als eine mindeftens ebenfo
wichtige Grundlage für die Bildung einer Gefammtan-