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Ausgabe:

1903

Spalte:

213-216

Autor/Hrsg.:

Schwarze, Alexis

Titel/Untertitel:

Neue Grundlegung der Lehre von der christlichen Gewissheit 1903

Rezensent:

Reischle, Max

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geführten Programms geradezu den Grund zu einer neuen
und der vorausfichtlich glänzendften Entwicklung
des Papftthums gelegt hat, das nun, vor aller bewaffneten
Intervention gefichert, durch den Schutz des Königreichs
Italien, befreit von jeder directen politifchen und finanziellen
Sorge ganz anders wie früher im Stande ift, im
Namen der katholifchen Kirche die internationale Weltherrfchaft
eines über gewaltige Geldmittel verfügenden
Comites italienifcher oder italianilirter Prälaten zu begründen
, die beftimmt fcheint, den nationalen und liberalen
Inftincten der politifch befreiten Maffen einen
Zügel einzulegen! — Dafür erörtert Kraus die Schwierigkeiten
in der Durchführung der Idee und das von
ihm als Italiens gröfstes Unglück bezeichnete, ,dafs das
Werk feiner Einigung fich nicht im Frieden, fondern
durch einen Gewaltact vollzog' (1870 durch Einmarfch
der Italiener in Rom). Als das Richtige in Cavour's
Formel erfcheint ihm das, ,was wir jetzt in Deutfchland,
geleitet durch die hiftorifche Bildung unferer Nation, als
den religiöfen Katholicismus im Gegenfatz zum politifchen
hinftellen'.

,Die Idee des religiöfen Katholicismus, einmal hinausgeworfen
, wird ihren Siegeslauf nehmen und in wenigen
Jahrzehnten fich eine Welt erobern . . .' Diefe Idee zugegeben
— follte es gerade der römifchen Kirche be-
fchieden fein, fie zu verwirklichen? — Auch haben wir
gerade in Deutfchland feither herzlich wenig von einem
folchen unpohtifchen Katholicismus verfpürt! Dabei hat
Kraus auch ganz im Dunklen gelaffen, was er fich unter
diefem religiöfen Katholicismus denkt. Er verweift uns
auf Franz von Afflfi, Dante, Savonarola, Sarpi, Rosmini —
er hätte auch auf Arnold von Brescia, auf Marlilio von
Padua und auf — Mazzini und Garibaldi verweifen
können! Sollte die römifche Curie einmal diefen,religiöfen
Katholicismus' annehmen, fo müfste fie verzichten auf
ihre feitherige Rolle, als internationales politifches Con-
fpirationsbureau die Politik der Mächte im Sinne der
Unterwerfung unter das Kirchenrecht, die Philofophie
und die Socialpolitik des Mittelalters zu beeinftulfen.
Diefer Verzicht ift ihr im vergangenen Jahrhundert
öfter zugemuthet worden zugleich mit der Bekehrung
von dem römifchen Glauben an die Macht zum Chriften-
thum des Evangeliums, z. B. von Lamennais, und fie
hat darauf mit einem Anathema geantwortet. (Vgl. auch
Syllabus errorum 75—80.) Ob Kraus dem entgangen
wäre, wenn er fein Programm deutlich entwickelt hätte? —

Bonn. Karl Seil.

_____.-——

Schwarze, Lic. Paft. Dr. Alexis, Neue Grundlegung der
Lehre von der christlichen Gewissheit. Göttingen, 1902.
Vandenhoeck & Ruprecht, (IV, 187 S. gr. 8.) M. 3.80

Sogemeier, Lic. theol. Pfr. Heinrich, Der Begriff der
christlichen Erfahrung hinsichtlich seiner Verwendbarkeit
in der Dogmatik untersucht. (Beiträge zur Förderung
chriftlicher Theologie. Herausgegeben von H. Schlatter
und H. Cremer. Sechster Jahrgang 1902. Zweites
Heft.) Gütersloh 1902, C. Bertelsmann. (80 S. gr. 8.)

M. 1.20

Die Zahl der Schriften über die ,chriftliche Gewifs-
heit' und .Erfahrung' mehrt fich allmählich in einer faft
beängftigenden Weife: fchon wieder habe ich (wie in
1901 Nr. 2 die Schrift Petran's, in 1902 Nr. 6 die von
Daxer, in 1902 Nr. 11 die Schriften von Ihmels)- zwei
Arbeiten über diefen Gegenftand anzuzeigen:

1. Alexis Schwarze, der früher auf dem Gebiet
der älteren Kirchengefchichte gearbeitet hat (vgl. die
Anzeige Preufchen's, 1893 Nr. 16), befpricht «n feiner
Schrift in 10 Abfchnitten das grundlegende Problem der
fyftematifchen Theologie. Eine Einleitung (I) weift auf
die Bedeutung und Schwierigkeit der Frage hin. In Ab-

fchnitt II fammelt der Verf. das biblifche Material für die
Erklärung der Begriffe ,Wiffen, Gewifsheit, und Gewiffen'.
Auf diefer Grundlage erhebt fich die fyftematifche ,Un-
terfcheidung verfchiedener Stoffe und der damit zufam-
menhängenden Arten der chriftlichen Gewifsheit' (III):
es giebt einerfeits eine objective Gewifsheit, bei welcher
der Gewifsheitsgrund in Gegenftänden aufser uns liegt,
und fie fpaltet fich felbft wieder in eine gefchichtliche
und eine rationale Gewifsheit, es giebt andererfeits eine
fubjective Gewifsheit, in der das innere Erleben und
Thun des Subjects entfeheidend ift, und fie tritt vor allem
auf dem fittlich-religiöfen Gebiet in Kraft. Nun handelt
es fich hauptfächlich um die Frage, wie innerhalb der
chriftlichen Gewifsheit das Verhältnifs diefer drei Stoffgebiete
zu einander zu beftimmen ift (IV). Die fittlich-religiöfe
Gewifsheit des Chriften ift nicht völlig unabhängig von
der gefchichtlichen Gewifsheit; fondern diefe bildet,
wenigftens in gewiffem Umfang, eine nothwendige Grundlage
für jene, aber doch fo, dafs die gefchichtlichen
Unterfuchungen und Beweife ftets durch den Beweis des
Geiftes und der Kraft ergänzt werden müffen; fo z. B.
in der Frage der Auferstehung Jefu Chrifti. Aehnlich
fleht es mit dem Verhältnifs der fittlich-religiöfen Gewifsheit
zu der rationalen: der Glaubensinhalt wird nicht
nur in der Form des logifchen Denkens verarbeitet, fondern
das rationale Denken verfucht es auch immer aufs
Neue, den Inhalt des chriftlichen Gottesglaubens zu gewinnen
; aber in beiden Aufgaben ftöfst es zugleich an
feine Grenzen. Die fittlich-religiöfe Gewifsheit felbft
tritt dagegen wirklich in eine Berührung mit den übernatürlichen
Kräften und Gütern, aber freilich nur foweit,
als diefe felbft eine Einwirkung auf uns ausüben. Die
bisher ausgeführten Grundfätze, befonders die über das
Verhältnifs der religiös-fittlichen und der rationalen
Gewifsheit, werden dann auf zwei befondere Fragen angewendet
, auf die nach dem Begriff des Abfoluten (V)
und auf die nach dem Werth und der Bedeutung der
Gottesbeweife für die chriftliche Gewifsheit (VI): der in
verfchiedenen Stufen fich aufbauende theoretifche Gottesbeweis
hebt die Spuren göttlichen Waltens in Natur
und Gefchichte hervor, aber er ,zieht nur für den',
welcher, vor allem in der Anfchauung Jefu Chrifti, feines
Gottes praktifch gewifs geworden ift. Ein folcher erft
,wird auch durch die Welt fchreitend die Beweife für
das Dafein diefes Gottes auf Schritt und Tritt zu fam-
meln vermögen, ja, fie werden fich ihm geradezu aufdrängen
' (S. 97). — Enger gehören dann wieder die vier
letzten Abfchnitte zufammen. In VII erörtert der Verf.
die Doppelfrage: einerfeits, inwieweit der einzelne Menfch
das Subject der chriftlichen Gewifsheit ift, welcher Seite
des pfychifchen Lebens fie angehört, und wie fich das
geiftliche Ich, das die DingeGottes vernimmt, ausbildet; andererfeits
, inwieweit die chriftliche Gemeinde bei der Bildung
der chriftlichen Gewifsheit mitwirkt. Abfchnitt VIII behandelt
die Quellen, aus denen die chriftliche Gewifsheit
fchöpft, nämlich Schrift und Offenbarung in ihrem gegen-
feitigen Verhältnifs. In IX wird die Entwicklung der
chriftlichen Gewifsheit von dem naiven Autoritätsglauben
bis zu dem Ziel der felbftändigen chriftlichen Heils- und
Wahrheitsgewifsheit gefchildert; und zum Schlufs (in X)
wird noch zufammenfaffend die Frage, ob es objective
Kennzeichen gibt, an denen fich die Wahrheit des
Chriftcnthums ausweift, dahin beantwortet: diefe Kriterien
feien ,die Gewalt der finnlichen Wahrnehmungen und
gefchichtlichen Thatfachen, welche fich nicht willkürlich
erdichten oder leugnen laffen, das Beliehen vor der gefchichtlichen
Kritik, die Widerfpruchslofigkeit im logilchen
Denken und in den Erfahrungen, und der Beweis des
Geiftes und der Kraft', nicht nur am einzelnen Menfchen,
fondern in der Menfchheitsgefchichtc.

Die Tendenz des ganzen Buchs bezeichnet der Verf.
felbft, der fich fchon in feiner Doctordiffertation (1881) mit
Herbart's Religionsphilofophie befchäftigt und feither