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Ausgabe:

1903 Nr. 7

Spalte:

199-205

Autor/Hrsg.:

Scheel, Otto

Titel/Untertitel:

Die Anschauung Augustins über Christi Person und Werk 1903

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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199

Theologifche Literaturzeitung. 1903. Nr. 7.

200

P. S. Der erfte Herausgeber der Tractate, Batiffol,
kommt in einer Befprechung von Jordan's Buch in der
Revue biblique 1903, p. 81—93, zu dem Refultate, dafs
die Tractate nicht von Novatian felbft, fondern von
einem späteren Novatianer herrühren (p. 92: que notre
tractator, qui est litteraircment si dependant de Novatien,
— sans etre Novatien luimeme, — temoigne par ces traits
qdil appartient a la secte novatienne). Sch.

Reville, Dr. Albert, Vigilance de Calagurris. Un chapitre
de l'histoire de l'ascetisme monastique fin du IVC siecle,
commencement du Ve. (Programme.) Paris 1902,
Imprimerie Nationale. (25 p. gr. 8.)

Am Ende des 4. uud am Anfang des 5. Jahrhunderts
wurde die Askefe zu einem wefentlichen Element der
Kirche, aber befonders der Occident verfuchte fich noch
längere Zeit der mönchifchen Askefe zu erwehren. Neben
und nach dem römifchen Asketen Jovinian erftand am
Anfang des 5. Jahrhunderts in dem Presbyter.Vigilantius
dem Mönchthum ein energifcher und nicht ungewandter
Gegner. Dem letzteren ift das kurze Programm Albert
Reville's gewidmet, das dem Vorlefungsverzeichnifs der
section des sciences religieuscs vorgeftellt ift. Die Quellen
für Vigilantius find die heftige Streitfchrift des Hieronymus
, Contra Vigilantium, der Brief des Hieronymus
ep. 109 an Riparius, Gennadius de vir. illust. c. 35 und
gelegentliche Erwähnungen des Vigilantius in der Corre-
fpondenz des Paulinus von Nola. Vigilantius war in
Südgallien in Calagurris, dem heutigen Cazeres, als Sohn
eines Gaftwirths geboren. Auf Empfehlung des Paulin
von Nola befuchte er anläfslich einer Fahrt ins heilige
Land Hieronymus in Bethlehem, aber fchon diefe per-
fönliche Begegnung führte fie nicht zufammen. Vigilantius
nahm an dem Origenismus des Hieronymus An-
ftofs. Auf der Rückreife an einem Orte inter Adriae
fluctus Cottiique regis Alpes fchrieb Vigilantius gegen
Hieronymus, und als er fpäter Priefter in Gallien geworden
war, eiferte er gegen Mönchthum, die Vigilien-
gottesdienfte vor den Märtyrerfeften, Reliquiencult,
Prieftercölibat und die nach Jerufalem den dortigen
Mönchen gefandten Unterftützungen. Reville weift mit
Recht darauf hin, dafs dem Vigilantius keine dogmatifche
Härefie vorgeworfen werden konnte, fondern in ihm nur
der nüchternere und vernünftigere Geift des Abendlandes
gegen die excentrifchen Formen der orientalifchen
Myftik reagire. Nach 410 hören wir nichts mehr von
Vigilantius, da Gallien in diefer Zeit ein Raub der Barbaren
wurde. Die Abhandlung ift gefällig und elegant
gefchrieben; alles, was wir über Vigilantius wiffen — es
ift nicht viel — hat Reville gefchickt verwerthet. Neue
Auffchlüffe bringt er nicht und konnte er auch nicht
bringen.

Heidelberg. Grützmacher.

Scheel, Privatdoz. Lic. Otto, Die Anschauung Augustins über
Christi Person und Werk. Unter Berückfichtigung ihrer
verfchiedenen Entwickelungsftufen und ihrer dogmen-
gefchichtlichen Stellung dargeftellt und beurteilt. Tübingen
1901, J. C. B. Mohr. (XV, 474 S. gr. 8.) M. 11.—

Gottschick,]., Augustins Anschauung von den Erlöserwirkungen
Christi. (Zeitfchr. f. Theologie u. Kirche XI, 1901, S.
97—213 u. S. 268.)

Die Auguftinforfchunghatinden letzten zweiDecennien
erhebliche Fortfehritte gemacht. Von Reuter's fcharf-
finnigen und bedeutenden ,Auguftinifchen Studien' gingen
kräftige Anregungen aus. Harnack's glänzende Darfteilung
der Frömmigkeit und Theologie Aug.'s knüpfte
vielfach bei ihnen an, erweiterte und combinirte aber zugleich
Alles zu einer lebensvollen Intuition. Seine Auf-

faffung fleht zur Zeit im Mittelpunkte der Discuffion. Sehr
inftruetiv warLoofs' biographifcher Artikel in der Realen-
cyklopädie. A. Dorner's ältere Monographie ift nachträglich
mannigfach zu Ehren gekommen. Eine Reihe
kleinerer Arbeiten, darunter mit Bezug auf Auguftin's
Lehre von Chrifti Erlöfungsbedeutung befonders die von
Kühner, hat Tüchtiges geleiftet. Nun ift O. Scheel,
Privatdocent in Kiel, mit feinem oben bezeichneten umfangreichen
Erftlingswerkin beachtenswerthefter Weife mit
in die Arbeit eingetreten. Es ift Sch. darum zu thun, die
Entwicklung der Ideen, die Aug. von Chriftus und feiner
Stellung gehegt hat, aufzuweiten, feine Gedanken im Eiftr
zelnen auf ihre Herkunft zu unterfuchen, fowie auf ihre
Tragweite zu prüfen, und dadurch ein Urtheil über die
allgemeine dogmengefchichtliche Bedeutung derfelben zu
erreichen. Es hat fich getroffen, dafs Gottfchick, der faft
diefelbe Arbeit unternommen hatte, gleichzeitig mit Sch.
feine Ergebnifse publicirte. Zwar das chriftologifcheThema
im engeren Sinne, die Frage nach Aug.'s Deutung derPerfon
Chrifti, die für Sch. die volle Hälfte der Aufgabe ausmacht,
hat G. auf fich beruhen laffen. Aber in Bezug auf das
Problem, welches Aug.'s Gedanken über Chriftus als Erlöfer
darbieten, könnte man G.'s grofsen, fehr eindringlichen Auf-
fatz, der befonders auf Harnack und Loofs, auch Dorner
und Seeberg (Kühner) eingeht, wie eine Art abfichtslofer
fundamentaler Kritik bezeichnen. Natürlich auch umgekehrt
Sch.'s Darlegungen gegenüber denjenigen G.'s. Denn
die beiden Arbeiten haben allerdings in den Grundfragen
fehr verfchiedene Refultate gezeitigt. Eine grofse Ver-
wandtfehaft haben fie allerdings mit einander gemein.
Sch. nicht minder wie G. ift als Dogmatiker über Aug.
gekommen. Das foll nicht heifsen, dafs fie bei Aug., um
Reuter's wunderlichen Ausdruck zu gebrauchen, ,dogmatifche
Cupidität' vorausfetzten. Es handelt fich vielmehr
darum, dafs beide Aug.'s Ideen ftetig mit religiös-pfycho-
logifchen Reflexionen begleiten, um damit deren prin-
cipielles Niveau zu ermitteln. Dafs G. dabei die gröfsere
und ficherere Kunft bewährt, wird Sch. vielleicht felbft
zuzugeben bereit fein. Meinestheils möchte ich nur betonen
, dafs Sch. fich gerade auch als einen vortrefflichen
Syftematiker darthut; er verfügt über reichliche, deutliche
und feine Mafsftäbe des religiöfen und ethifchen Vergleichens
. Im Ganzen kommt Sch.'s Werk G.'s Arbeit
gegenüber keineswegs in den Schatten zu flehen, wiewohl
ich perfönlich urtheile, dafs G. das Richtigere bietet. G.'s
Auffatz ift übrigens nur die Einleitung zu einer Serie von
,Studien zur Verföhnungslehre des Mittelalters', bisher vier,
die er in der Zeitfchr. f. Kirchengefchichte, XXII ff, veröffentlicht
. Seine Fragftellung ift von vorne herein durch
diefen Ausblick bedingt. Was in Sch.'s Werk fich als
biographifches Moment darftellt, fo die Schilderung der
Ideen Aug.'s in chronologifcher Folge, hat bei ihm
keine Parallele.

Es ift nicht leicht, über Sch.'s Buch ein zutreffendes
Referat zu bieten. Das Schwergewicht des Intereffes,
welches es gewährt, liegt in der Detailerörterung. Hier
hat es feine Stärke und auch feine Schwäche. Ich habe
den Eindruck, dafs Sch. die Worte Aug.'s oft zu fehr
unter die Lupe nimmt. Auch ein grofser Mann darf verlangen
, dafs man ihm nicht überall Herz und Nieren prüft.
Aug. ift doch viel zu fehr rhetorifcher Schriftfteller, als
dafs er nicht mit den Mitteln der Darftellung oft unvor-
fichtig oder kühn verführe. Das überfieht Sch. an fich
nicht, vermeidet es aber nicht immer, Aug. etwas als
Dogmatiker zur Laft zu legen, was nur dem Rhetor zur
Laft fällt. Gerade hier ift ihm G. methodifch überlegen.
Uebrigens kann ich leider zum Theil nur von dem Eindrucke
' fprechen, den mirSch.'fche Erörterungen gemacht
haben. Es ift nämlich nicht blofs fchwer, über Sch.'s
Buch fachgemäfs zu berichten, fondern zumal auch ein
kritifch begründetes Urtheil zu formuliren. Sch. hat,
fürchte ich, feine Arbeit um ein gutes Theil ihrer Wirkungen
felbft dadurch gebracht, dafs er in höchft unzweckmäfsiger