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Ausgabe:

1903

Spalte:

175-180

Autor/Hrsg.:

Spahn, Martin

Titel/Untertitel:

Der grosse Kurfürst 1903

Rezensent:

Sell, Karl

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Theologilche Literaturzeitung. 1903. Nr. 6.

176

Der Inhalt der von C. gefammelten ,Oitraka' ift fehr
mannigfaltig. An literarifchen Stücken finden fich darunter
: acht z. Th. bisher noch unbekannte Fragmente
der fahidifchen Bibelüberfetzung; eine Reihe liturgifcher
Texte, meift in griechifcher Sprache, wie Glaubens-
bekenntnifse, Gebete, Kirchenlieder, Zauberfprüche;
Heiligenkalender; ferner Fragmente von Heiligenge-
fchichten, Homilien (darunter ein Fragment aus der
JiöaOxaXla des Schenute), Gnomen. Im Einzelnen feien
erwähnt der Titel einer Schrift des Patriarchen Damianus
von Alexandrien (578—605) xrjQvyfiaza, die fonft nur
noch einmal auf einem anderen von C. publicirten
Oftrakon genannt wird, und der Anfang der ,Kanonesl
des Ananias, Bifchofs von Hermonthis. Neben diefen
Stücken chriftlicher Literatur flehen merkwürdiger Weife
drei Stücke aus Homer, die in Dendera mit koptifchen
Oftraka zufammen gefunden worden find. Sie find Zeuge
dafür, dafs das Intereffe für die claffifche Literatur der
Griechen auch im chriftlichen Aegypten nicht ganz er-
lofchen war. Damit ftimmt ja auch überein, dafs Schenute
in feinen Reden einmal auf die Stücke des Ariflophanes
Bezug nimmt.

Weit werthvoller als diefe, mehr oder weniger frag-
mentarifch erhaltenen, literarifchen Ueberbleibfel find
ohne Zweifel die zahlreichen Urkunden des kirchlichen
und privaten Gefchäftslebens, die den Hauptbeltandtheil
der C.'fchen Sammlung bilden. Sie geben uns, zumal
auch die privaten Documente meilt Perfonen im Dienfle
der Kirche oder der Klöfter betreffen, eine Fülle von
intereffanten Auffchlüffen über die Machtbefugnifse der
Bifchöfe und des Klerus, fowie über das Mönchsleben
in Aegypten, Auffchlüffe, die um fo werthvoller find, da
wir über das ägyptifche Mönchsthum nach dem Concil
von Chalcedon nur durch Vermittelung fchlecht unterrichteter
katholifcher oder neftorianifcher Schriftftelier
Kunde haben. C. hat, was fich in diefer Hinficht aus
feinen Oftraka gewinnen liefs, überfichtlich in feiner Einleitung
(S. XVI ff.) zufammengeltellt, worauf hiermit ver-
wiefen fei.

Sprachlich find die von Crum publicirten koptifchen
Texte, die ihrer Herkunft entfprechend den oberägypti-
fchen (,fahidifchen') Dialekt aufweifen, in mehrfacher
Hinficht von Intereffe; einmal wegen mancher bisher
noch unbekannter Worte oder Wortformen, die darin
vorkommen; fodann wegen der local - dialektifchen
E'genthümlichkeiten und der damit zufammenhängenden
orthographifchen Verftöfse, die die z. Th. auf niedrigem
Bildungsniveau flehenden Schreiber begangen haben,
und die nicht feiten für die Erkenntnifs der Ausfprache
von Wichtigkeit find.

Die Texte find in lesbarer Umfchrift autographifch
wiedergegeben, einige Schriftproben auch in Facfimiles
oder in Photographien. Auf die Feftflellung der Lefung
hat der Verf. die gröfste Sorgfalt verwandt; die Fülle
von Verbefferungen, die er im Text und fchliefslich
noch in einer befonderen Lifte giebt, legen davon beredtes
Zeugnifs ab. Sämmtliche Texte find in dem
83 Seiten umfaffenden Commentar erklärt und foweit
möglich überfetzt, fo dafs auch Nicktkenner der koptifchen
Sprache fich über den Inhalt leicht informiren
können.

Eine allgemeine Einleitung, in der über Herkunft,
Material, Schreiber, Inhalt, Sprache der Texte das Nöthige
gefagt ift, fowie ausführliche Sach-, Namen- und Wort-
regifter vervollftändigen das Werk, das für ähnliche Veran-
ftaltungen muftergültig fein dürfte.

Göttingen. K. Sethe.

Spahn, Martin, Der grosse Kurfürst. Die Wiedergeburt
Deutfchlands im 17. Jahrhundert. Mit einer Karte
in Farbendruck, 93 Porträts auf 8 Tafeln und

138 Abbildungen im Text und reichem Buchfchmuck.
(Weltgefchichte in Karakterbildern, herausgegeben
von Franz Kampers, Sebaftian Merkle und Martin
Spahn. IV. Abteilung: Neuzeit.) Mainz 1902, F. Kirchheim
. (II, 152 S. Lex. 8.) Geb. M. 4.—

Das buchhändlerifche Unternehmen, von dem bereits
in diefen Blättern eine Nummer am 21. Juni 1902 be-
fprochen wurde, ift ausfchliefslich auf einen katholifchen
Leferkreis berechnet. Ihm will es in unausgefprochenem
Gegenfatz zu der feitherigen, vorwiegend von ultramontanen
oder jefuitifchen Federn angebauten Gefchichts-
darftellung, eine in Methode der Betrachtung und Kunft
der Schilderung den Erzeugnifsen der fonft bei uns üblichen
populären Gefchichtfchreibung für Gebildete mehr angenäherte
Aufklärung und Unterhaltung bieten. Dabei hat
man faft fklavifch das Vorbild der von Velhagen und
Klafing aufgebrachten und nach Knackfufs benannten
reich illuftrirten kurzen Monographie befolgt, ohne, was
z. B. die Auswahl und Güte des Bilderfchmucks betrifft,
die von Heyck herausgegebenen Monographien zur Weltgefchichte
zu übertreffen. Eine Lücke in der allgemeinen
Literatur werden nur wenige der angekündigten
Arbeiten ausfüllen. Das Neue aber der gegenwärtigen
Sammlung: dafs durch typifche Perfönlichkeiten fo
nebenbei auch eine ganze Gefchichtsepoche oder gar
eine ganze Culturform gefchildert werden foll, dürfte
ftarke Bedenken erwecken. Als allgemeines Schema für
die Behandlung der gefammten Gefchichte angewendet,
erfcheint es nur als neue Auflage der fattfam bekannten
Methode einer im Sinn fchlechter Apologetik betriebenen
Verfchleierung unbequemer Thatfachen.

Man fchneidet nämlich aus der gefammten Weltgefchichte
nurdie Biographien heraus, in denen das, was katholifchen
Augen und Ohren angenehm ift, in breiter Entfaltung
und hellfter Beleuchtung erfcheinen kann; man

j geht den Epochen und Perfonen, an die fich vorwiegend
die confeffionellen Intereffen knüpfen, möglichft aus dem
Weg und entfchuldigt dann jede Verfchweigung damit,
das habe nicht zur Sache gehört und diene nicht den

| ,praktifchen Gefichtspunkten', von denen aus das

j Unternehmen entworfen fei. Wir dürfen uns alfo keinen allzu
grofsen Hoffnungen hingeben, dafs unfere katholifchen
Landsleute, fofern fie fich gewöhnt haben, nur kirchlich
geftempelte und unfchädlich befundene Bücher zu lefen,

j aus diefem mit einem ganz fchüchternen Reformverfuch
im deutfchen Katholicismus zufammenhängenden anti-
jefuitifchen Unternehmen eine einigermafsen dem Stande

j unterer Gefammtcultur in Deutfchland entfprechende Be-

I lehrung fchöpfen werden. Wo es gefchieht, werden wir

i es um fo dankbarer begrüfsen.

Unter allen bis jetzt an dem Unternehmen betheiligten
Autoren hat der Herausgeber Spahn fich die
fchwierigfte Aufgabe geftellt, nämlich als überzeugter
Katholik ,Leben und Entwicklung der deutfchen

! Nation von 1555—1713' zu .erzählen', alfo in der Zeit,

i die völlig vom Kampf zwifchen Proteftantismus und
Katholicismus beherrfcht ift, und dabei dem .Schöpfer
Preufsens', den er, theilweife ,mit Thränen' (S. 133) bewundert
, ein patriotifches Denkmal zu fetzen. Denn
als einen Panegyriker des Deutfehthums giebt er fich
und aller echten Religiofität, und hat darum das fchöne
Wort gefchrieben, das hier nicht unerwähnt bleiben foll:

I .Friedrich Wilhelm war eine duldfame, weil tiefgläubige
Natur'.

Die Art, wie die Aufgabe gelöft ift, widerfpricht
dem Eindruck des Titels. Von der roth und gefperrt

I gedruckten Hauptfache, dem grofsen Kurfürften,
handeln nämlich nur etwa 33 Seiten von 151 , alles
Uebrige von der deutfchen Culturgefchichte. Auf fo
befchränktem Räume über diefen gewaltigen Stoff kann
wohl nur ein Meifter der Gefchichte und Stilkünftler