Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1902

Spalte:

154-155

Autor/Hrsg.:

Werner, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Flugschrift „onus ecclesiae“ 1902

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 5. 154

Wort gebunden. Hier wie anderwärts (vgl. S. 104)
fpricht fich Fr. zu Gunften der frommen Heiden aus.

Ein Gegenftück zu diefer Abhandlung bildet die
Von der Welt, des Teufels Reich. Die Welt, wird hier
erklärt, ift nichts Anderes als Adam mit allen feinen
Kindern, die noch nicht durch den Glauben in Chriftum
verfetzt, noch Fleifch und nicht von fich felbft befreit

andere Erfahrungen gemacht haben, als die, die ihn in
Ulm mit fo viel Bitterkeit erfüllten.

Dem Verf. der vorliegenden Schrift find wir für die
wichtigen Beiträge zur Kenntnifs Fr.'s ebenfo dankbar
wie für das viele Intereffante, das fie nebenher enthält,
z. B. die Bemerkungen über die Rolle, die Fr.'s Schriften
bei den Kämpfen in der niederländifchen Kirche gefpielt

find. Es giebt aber eine zwiefache ,Welt', die äufsere haben, oder über die Beurtheilung der ,deutfchen Theo

fleifchliche der offenbaren Sünder, deren Thorheit am
Tage liegt, und die geiftliche der Weifen und Vernünftigen
, der Schriftgelehrten und Heuchler. Mit der
letzteren befchäftigt fich Fr. hauptfächlich; auch das
Papftthum erhält dabei feinen Theil, viel mehr aber
noch die vermeinten Evangelifchen. Scharf wird ihr
Hochmuth und ihre Unduldfamkeit gerügt; wo ihnen

logie' in der lutherifchen und der reformirten Kirche.
Berlin. S. M. Deutfch.

Werner, Dr. phil. Heinrich, Die Flugschrift „onus ecclesiae"

(1519) mit einem Anhang über fozial- u. kirchen-
politifche Prophetien. Ein Beitrag zur Sitten- und
Wider'fpruch begegnet, da rufen fie fogleich : Mord, j Kulturgefchichte des ausgehenden Mittelalters. Giefsen

Ketzer, Schwärmer! Dabei find fie voll Eigenliebe und
fuchen die Gunft der Fürften. Auf den Papft fchelten fie,
als ob er allein der Teufel wäre. Was hilft es aber, zu
wiffen, dafs der Papft ein Bube ift, wenn wir nicht beffer
find. — Seltfam berührt es, wenn Fr. unter die Haupt-
fünden der Schriftgelehrten, ja des gefammten Zeitalters,
das viele Biichermachen zählt, er, der doch felber be-
ftändig mit Büchermachen befchäftigt war.

Aus der Abhandlung von der Gemeinfchaft der
Heiligen möge nur der der Myftik entlehnte, von Fr.

1901, J. Ricker. (106 S. gr. 8.) M. 2.—

Immer mehr hat man die hohe Bedeutung der Flug-
fchriftenliteratur für die Reformationszeit erkannt, fie ift
der Ausdruck der öffentlichen Meinung und vertritt in ge-
wiffer Weife die heutige Tagespreffe; felbft die uns zunächft
wunderlich anmuthenden prophetifchen und vifionären
Flugfchriften, die man lange Zeit als vermeintliche Spielereien
unbeachtet gelaffen hat, (teilen im phantaftifchen
Gewände doch allemal in fehr bewufster Weife höchft

fchon in den Paradoxa ausgeführte Gedanke erwähnt | concrete Ideen dar.
fein dafs in der Eigenheit, dem für fich etwas fein und | Auch die Flugfchrift ,onus ecclesiae', der die vorhaben
wollen, das Verderben liegt. Fr. dehnt dies hier 1 liegende Publication Werner's gewidmet ift, gehört ihrem
auch auf die äufseren Güter aus, verwahrt fich aber doch 1 Hauptinhalte nach diefer prophetifchen Literatur an. Es
o-ep-en den Communismus; nicht ein Zufammentragen der ift defshalb höchft willkommen, dafs Werner von diefer

ft. & ....... f , •_ TA:__ix „■ o„: ! •_____c-_:._ . . t rf , a i . . ..

ja -fc>------- -----

Güter foll (tattfinden, fondern nur ein Dienft, ein Bei
fpringen in der Noth. Hierin liegt, was H. nicht hervorhebt
, doch eigentlich eine Inconfequenz, Fr., der
fonft fo rückfichtslos principiell verfährt, fcheint hier
den Verhältnifsen Rechnung zu tragen.

Obwohl diefe Schriften Fr.'s, von denen wir jetzt
durch H. nähere Kenntnifs erhalten, feine Denkweife
nirgends in einem wefentlich neuen Lichte erfcheinen
laden, fo (teilen fie doch viele feiner Gedanken mit be-
fonderer Klarheit und Beftimmtheit vor Augen und

in einem 37 Seiten umfaffenden Anhange, anfchliefsend
an Ign. Döllinger's (Der Weisfagungsglaube und das Prophetenthum
in der chriftlichen Zeit: in Raumer's hift.
Tafchenbuch 1871), Bezold's (Zur deutfehen Kaiferfage:
in den Sitzungsberichten derKgl. bayr. Ak. der Wiffenlch.
hift. Claffe 1884) und Kamper's (Kaiferidee in Prophetie
und Sage. 2. Aufl. 1896) grundlegende Unterfuchungen,
eine ziemlich eingehende, höchft intereffante Charakte-
riftik giebt. Nur hätten wir gewünfeht, er hätte diefen
Anhang als Einleitung geftaltet und feine Ausführungen

j:- Ci.-u- -»-- ■

zeigen zugleich, wie er fich bis ans Ende feines Lebens j an die Stelle der jetzigen nur andeutenden Einleitung
treu geblieben ift. Gewifs zählt Fr., zwifchen Reforma- j gefetzt. Der Lefer des Buches würde dann von vorn

toren und Wiedertäufern flehend, am Chriftenthum
fefthaltend, aber Gegner des Kirchenthums, manche Ge
danken der Aufklärung vertretend, die damals auf wenic
Beifall rechnen konnten, denen aber die Zukunft gehörte,
zu den intereffanteflen Erfcheinungen der Reformationszeit
. Ja, wenn man auf das Freie in feinen Anfchauungen ; Anhange recht verftändlich

herein mit befferem Verftändnifse und mit ganz anderem
Intereffe an die die Schrift ,onus ecclesiae" fpeciell behandelnde
Unterfuchung herantreten. Die im zweiten
Abfchnitte der Quellenanalyfe (B. Prophetifche Quellen)
genannten Schriften werden jetzt doch auch erft aus dem

fieht, gegenüber der Enge, in die wir felbft die Heroen
der Reformation z. Th. gedrängt finden, kann man fich
verfucht fühlen, feine Partei zu nehmen. Dennoch war,
um von aller dogmatifchen Kritik abzufehen, die Unzufriedenheit
der Reformatoren mit dem Manne, der ohne
eigentlich mitzuarbeiten, immer tadelte, nicht unbegründet
. Denn zweierlei verfland Fr. gründlich, Kritik
zu üben und Ideale aufzuftellen; wie man es aber machen
muffe, um diefe Ideale in die Wirklichkeit überzuführen,
das hat er nicht gezeigt, gefchweige, dafs er felber die
Hand dazu angelegt hätte. Dagegen hat er mit unab-
läffigen Rügen die Männer heimgefucht, die, um wirklich
die Zuftände zu beffern, in ftetem Kampfe mit
all den praktifchen Schwierigkeiten lagen, die fich jedem
thätigen Reformiren entgegenflellen und dadurch leicht
auch zu einer Einfchränkung, ja Verkümmerung der
Ideale führen. Ueberhaupt wird er gerade den Evangelifchen
gegenüber leicht ungerecht und verkennt über
den vorhandenen Schäden das, was doch auch in feinem

Was die Schrift ,onus ecclesiae1 fpeciell betrifft, fo
bringt Werner für die fchon von Reithmeier (in der Einleitung
zu feiner Ausgabe von Berthold's von Chiemfee
,deutfcher Theologie' 1852) nachgewiefene Verfafferfchaft
Berthold's von Chiemfee neue Gründe bei und flützt auch
das Jahr 1519 aufs neue als Entftehungsjahr; des näheren
weift er nach, dafs die Entftehung von ,onus ecclesiae'
höchft wahrfcheinlich zwifchen ,den 12. Januar und den
13. Juli 1519 fällt d. h. in die Zeit zwifchen dem Tode
Maximilian's bis kurz nach der Leipziger Disputation.

Intereffante Auffchlüffe giebt Werner über die Drucklegung
der Schrift: ihr erfter Druck ift 1524 von dem
Corrector der Druckerei in Landshut veranlafst worden,
doch haben wir in ihm nicht die originale Faffung; vielmehr
laffen fich mit ziemlicher Sicherheit von den Stellen,
die um die Zeit der Leipziger Disputation in einem im
ganzen Luther günftigen Sinne gefchrieben find, folche
unterfcheiden, die der Corrector etwa 1523—24, als er
die Schrift zum Drucke beförderte, ihr eingefügt hat, und

AI* A*. —r----.__:r-l---- n-

Sinne beffer geworden war, z. B. dafs die Intoleranz der I die der reformatorifchen Bewegung weit mehr polemifch

Proteftanten der der Päpftlichen bei Weitem nicht gleich gegenüberftehen. Erft 1531 hat dann der Verfaffer felbft

kam. Hätte Fr. verfucht an einem Orte, in dem die die Schrift drucken laffen und hat die interpolirten

alte Kirche in ungebrochener Herrfchaft ftand, feine ; polemifchen Stellen nicht nur beibehalten fondern noch

Anflehten auszubreiten, fo würde er doch noch ganz erweitert.