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Ausgabe: | 1902 Nr. 5 |
Spalte: | 133-138 |
Autor/Hrsg.: | Gunkel, Hermann |
Titel/Untertitel: | Genesis, übers. u. erklärt 1902 |
Rezensent: | Bertholet, Alfred |
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I33 Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 5. 134
dune zwifchen der Dogmatik als einer rein hiftorifchen I der Vorwurf gemacht worden, dafs er fich auf diefem
Darftellung des gegenwärtigen Lehrbeftandes einer be- Boden vielfach als Pfadfinder auflp.ele, wo andere doch
ftimmten Confeffion und der fpeculativen Erörterung des
Wefens des Chriftenthums. Sondern die Dogmatik mufste
auf Grund einer principiellen Erörterung des Wefens,
Begründung des Werthes und der Wahrheit des in
evangelifchem Sinne aufgefafsten Chriftenthums eine ausführende
Bearbeitung der einzelnen chriftlichen Grundgedanken
geben in lebendiger kritifcher Auseinandersetzung
mit den verfchiedenen Auffaffungen und Problemen
der Gegenwart. Es bedürfte dann aber auch nicht der
Ausgeffaltung der praktifchen Theologie zu einer Dis-
ciplin, welche den verfchiedenen chriftlichen Denominationen
praktifch fein wollende, aber jedenfalls unprak-
tifch bleibende Rathfchläge über die rechte Art ihrer
Bethätigung und Entwickelung zu geben verfucht. Der
richtige Grundgedanke, der D. hier vorfchwebt, fcheint
mir der zu fein, dafs allerdings in der praktifchen Theologie
die verfchiedenen Formen, in denen das Chriften-
thum bei Menfchen verfchiedener individueller Art, ver-
fchiedener focialer Schicht, verfchiedener gefchichtlicher
Tradition verwirklicht ift und verwirklicht werden mufs,
Berückfichtigung finden müffen. Aber gerade die anderen
Confeffionen können dabei nicht anders als in hiftori-
fcher Beziehung und als gegenwärtig vorhandene Gegen-
fätze und Reibungsflächen in Betracht kommen. Wer
die befondere innere Berechtigung des evangelifchen
Chriftenthums anerkennt, kann fich felbft auch nur dazu
berechtigt finden, die gehörige praktifche Bethätigung
im Dienfte der evangelifchen Kirche darzulegen. Er
kann aber auch die organifche Verbindung der praktifchen
Theologie mit der fpeciell wiffenfchaftlichen in dem Gedanken
finden, dafs die Theologie im Ganzen die Aufgabe
hat, die Kenntnifse über das Chriftenthum, deren die
Diener der chriftlichen Kirche zu ihrem Amte be-
nöthigen, in wiffenfchaftlicher Gründlichkeit zu bearbeiten
auch fchon den Fufs aufgefetzt hätten. Diefer Vorwurf
ift nicht unberechtigt; indeffen vermag er Gunkel's Arbeit
nichts Wefentliches von der Bedeutung zu nehmen,
die fie dadurch gewinnt, dafs er zum erftenmale vollen
Ernft damit gemacht hat, diefen Weg einzufchlagen. Bei
des Verf.'s Abfehen auf eine .Darftellung des Sinnes und
befonders der Religion der Genefis' verfteht fich, dafs er
fich nicht blofs an einen efoterifchen Kreis wendet, dem
das Verftändnifs für quellenkritifche Analyfe u. dgl. zuzutrauen
ift: Sinn und Religion der Genefis kennen lernen
zu wollen, darauf erhebt auch mancher nicht theologifch
Gebildete Anfpruch — G. felber hat neben dem Religionslehrer
fpez. den Culturhiftoriker, Aefthetiker und Sagen-
forfcher im Auge —, und ich rechne es ihm als ent-
fchiedenes Verdienft an, dafs er auch folchen Kreifen zu
dienen fich bemüht hat und — zu dienen verfteht. Für
fie ift neben allgemeineren Beobachtungen, die den einzelnen
Abschnitten im Commentare folgen, befonders die
(auch feparat erfchienene) umfangreiche Einleitung
(I—EXXI) berechnet, in der fogar der hebr. Druck vermieden
ift. Da fie fich gleichzeitig als Zufammenfaffung
der Refultate G.'s darftellt, mag es dem Zweck diefer
Anzeige am beften entfprechen, wenn ich bei ihr zunächft
ftehen bleibe und die jeweilige Gelegenheit wahrnehme,
einzelne Ausführungen des Commentares unter den zu-
fammenfaffenden Gefichtspunkten zur Sprache zu bringen.
§ 1 giebt von den Gründen Rechenfchaft, welche zur
Auffaffung der Genefis als einer Sammlung von Sagen
führen. Aber ,Sage ift nicht Lüge, vielmehr eine befondere
Art von Dichtung' (II); ,fie will erfreuen, erheben,
begeiftern, rühren. So mufs derjenige, der folchen alten
Erzählungen gerecht werden will, einen Sinn für äfthe-
tifches Empfinden haben' (V). Damit hat der Verf. aus-
gefprochen, was er in feiner Arbeit felber in hohem
mit wiffenfchaftlicher Kritik zu prüfen und fortfchreitend Maafse bewährt (vgl. z. B. S. 382), und wodurch er ihr
zu berichtigen und zu ergänzen, — eine Aufgabe, welche j ein eigenes Gepräge aufgedrückt hat. Durchweg fieht
nur auf dem Boden der evangelifchen Kirche rückhaltlos j man ihn mit befonderer Vorliebe dem nachgehen, was
und ungebunden geftellt und erfüllt werden kann. Viel- er einmal (XXXVI) die reizvollfte Aufgabe des Genefis-
leicht hat Schleiermacher mit feiner Definition der Auf- j erklärers nennt, nicht nur den für uns älteften Sinn der
gäbe der Theologie doch nicht fo ganz Unrecht.
Jena. H. H. Wendt.
Gunkel, Lic. Prof. Hermann, Genesis, überfetzt und erklärt.
(Handkommentar zum Alten Teftament. In Verbindung
mit anderen Fachgelehrten herausgegeben von
W. Nowack. I. Abteilung, die hiftorifchen Bücher, | verletzen und etwas von ihrem frifchen^Hauch'e auch
Sagen zu erkennen, fondern zugleich die Feinheiten der
künftlerifchen Compofition diefer Erzählungen zu beobachten
. Ob fein Vorwurf gegen ,die Gelehrten, die
vor lauter Wiffenfchaft an folcher Schönheit achtlos vorübergehen
' (412 vgl. 194, 272), in diefer Allgemeinheit
berechtigt ift, laffe ich wieder auf fich beruhen. Genug
dafs man ihm in der That das eigene äfthetifche Urtheil
abfuhlt, die Gabe, fich in poetifche Situationen hinein-
.. Band). Göttingen 1901, Vandenhoeck & Ruprecht. . Lefer ungezwungen mittheilen zu können. Dies hilft
(LXXIV 4,0 S Lex. 8). M. 9.80; geb. 11.60 j beiden Theilen glücklich über das hinweg, worin nach
einem Goethe'fchen Wort alle Männer von Fach übel
daran find, dafs ihnen nicht erlaubt ift, das Unnütze zu
Einleitung u. d. T.: ,Die Sagen der Genefis' apart
M. 1.40
Schon bei Befprechung eines anderen Commentares
gnoriren. Und es ift vielleicht wichtiger als man meint,
dafs G. auf diefe Weife einen .lesbaren' Commentar ge-
in diefer Zeitung (1901, 215) hat der Unterzeichnete ge- j fchrieben hat. — In § 2 giebt er einen Ueberblick über
äufsert, das Erfcheinen der Gunkel'fchen Genefis fei ihm die Arten der Sagen der Genefis. Er unterfcheidet Ur-
ein erfreuliches Zeichen dafür, dafs die Zeit gekommen fei, | fagen, urfprünglich Mythen, die freilich auf dem Boden
wo die Accentlegung in der A.T.liehen Commentarliteratur j der Jahwereligion abblaffen mufsten, und Väterfagen, und
eine etwas andere werde. In der That liegt die Bedeu- ! zwar hiftorifche, ethnographifche und ätiologifche, diefe
tung der vorliegenden Arbeit in diefer verfchiedenen letzteren wiederum zerfallend in ethnologifche, etymolo-
Accentlegung. ,Wer fich Theologe nennt', fagt Gunkel gifche, cultifche und geologifche, wobei natürlich inner-
felber im Vorwort, ,mufs die Religion ftudieren; alles halb derfelben Sage die verfchiedenen Momente inein-
Uebrige mufs ihm Nebenfache fein. Eine nur vor- ander überfpielen können. Landläufige volksetymolo-
wiegend philologifche, archäologifche oder ,kri- gifche Parallelen, die zur Erläuterung hier herangezogen
tifche'Behandlung des A.T. ift eine ungenügende, werden, thun ihre gute Wirkung. — § 3 behandelt die
Hiernach möchte diefer Commentar verftanden werden; i Kunftform der Sagen der Genefis. Die modernen For-
auch hier werden, wie es unerläfslich ift, eine Menge , fcher haben im Princip richtig erkannt, dafs die Genefis
verfchiedenartiger Notizen gebracht, aber der Accent ! die Niederfchrift mündlicher volksthümlicher Tradition ift.
liegt nicht auf ihnen, fondern auf der Darfteilung Aber in zweierlei, was fich aus diefer Erkenntnifs un-
des Sinnes und befonders der Religion der Ge- mittelbar ergeben foll, haben fie fich nach G. verfehen:
nefis'. Gleich feit dem Erfcheinen feines Buches ift G. 1. fie haben die Sagenbücher zu viel als Bücher be-