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Ausgabe:

1902

Spalte:

109-112

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Fritz

Titel/Untertitel:

Das Interim in Hessen. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte 1902

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 4. 110

fition feiner Geiftlichen gegenüber, dafs er auf falfchem
Wege ift, möchte aber feinGewiffen betäuben angefichts des
lockenden Preifes feiner Befreiung bei Annahme des Interims
. Qui s' exuse s' accusc wird es hier heifsen müffen.
Aber H. verweift auf ein von ihm aus dem Marburger
Archiv mitgetheiltes am 6. Februar 1550 zu Oudenarde
Die Ausgeftaltüng" und "pflege diefer Betrachtung der inj Gedanken an einen baldigen Tod niedergeschriebenes
eigenen Kirche verdanken die Evangelifchen aber viel Glaubensbekenntmfs Philipps; hie«"finde steh dm - wenn

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Synode verworfen und ausgeftofsen hat, darüber ift
nicht zu diskutiren ; folche Peft ift einfach fofort zu
unterdrücken. Es zog doch eigenthümliche Confe-
quenzen nach fich, dafs man fich als Fortfetzung der
katholifchen Kirche und durch das Bindeglied der altkirchlichen
Symbole in Continuität mit ihr betrachtete!

mehr Melanchthon als Luther.

Breslau. G. Kawerau.

H e r rm a n n, Pfarrverw. Lic. theol. Fritz, Das Interim in Hessen.

Ein Beitrag zur Reformationsgefchichte. Mit Unter-

ftützung der Hiftorifchen Commiffion für Heffen und

Waldeck. Marburg 1901, N. G. Elwert. (XIX, 221 S.

gr. 8.) M. 4-2Q

Die 1897 gegründete hiftorifche Commiffion für Heffen
und Waldeck verfolgt den Zweck, ,Quellen und Darftellungen
der heffifchen und waldeckifchen Gefchichte
herauszugeben' (f. $ 1 der Statuten); fie kommt diefem
Zwecke nach, indem fie theils direct Publicationen ver-

anlafst — fo das heffifche Trachtenbuch von Jufti und ftimmung feiner Geiftlichen zu der Augsburger Declaration

auch eingefchränkte — Billigung des Interims, und angefichts
des Todes pflege man nicht zu lügen. Gewifs, die Billigung
des Interims findet fich dort, aber auch folgender
Satz (S. 207): ich wils nit leugken: man hat mir von
grofsen dingen gefagt zu Halle, wan ich in meffe ginge etc.
habe gehofft, ich woll damit der religion und Vaterland
dienen etc.1' Ich meine, hier liegt doch ein ganz offenes
Eingefländnifs vor, dafs die Hoffnung auf ,grofse Dinge'
d. h. feine Befreiung, alfo doch ein ,Hintergedanke', deffen
Realifirung dem Evangelium und dem Heffenlande dienlich
' gewefen wäre, Philipp's Handeln beftimmte. Dann
aber wird man auch nicht mit H. die Schreiben des Landgrafen
an feine Theologen, wenn er heimkomme, wolle
er ihnen fo viel fagen, dafs fie wohl zufrieden fein
follen, von ,allerlei persuasiones, durch die er eine Zu-

die heffifchen Landtagsacten von Glagau (Lief. 1 und 2, erreichen zu können meinte', verliehen dürfen, fondern
bez Bd I bis jetzt erfchienen) — theils ihr angebotenen ! mit Janffen, der hier im Wefenthchen doch richtig fah,
Arbeiten Mittel für die Veröffentlichung gewährt. In I an ein Abwerfen des Interimsjoches denken müflen.
der Reihe diefer letzteren Veröffentlichungen ist Herr- ! Uebngens fchränkt H. felbft feine Pofition doch ganz er-
mann's Buch erfchienen, deffen erfter Theil als Giefsener j heblich ein wenn er S. 17 fchreibt: .[PhihppJ hatte das
Licentiatenarbeit bereits früher gedruckt wurde. Wir { Interim auch unbefehen angenommen, um dadurch
haben eine äufserlt forgfältige und folide Arbeit vor uns, frei zu werden. Nun wurde ihm diefe Annahme durch
die auch formell wohlgelungen ift. Man mufs H.'s Buch 1 die Ueberzeugung erleichtert, dass die neue Religions-
mit der bisher heften Darfteilung des Interims in Heffen 1 Ordnung eigentlich nichts Antievangelifches enthalte,
bei Haffenkamp (Heff. K. G. I, S. 656 ff.) vergleichen, um Zu diefer Ueberzeugung wäre er nie gekommen,
den Fortfehritt, welchen es bringt, zu erkennen. Hatte ! wenn ihm nicht die Sehnfucht nach der Freiheit
Ilaffenkamp fich auf Caffeler Archivalien befchränkt, fo . den klaren Blick getrübt hätte"),
hat H. neben diefen planmäfsig die Archive in Marburg, I Hielt fo Landgraf Philipp die Annahme des Interims
Darmftadt, Würzburg und Wien durchforfcht bez. durch- j für politifch opportun, fo war die Geiftlichkeit nahezu
forfchen laffen mit z. T. fehr reichem Pirgebnifse. Nament- einmüthig in der Ablehnung desfelben. Nennen laffen

lieh für die Actionen des Mainzer Erzbifchofs boten die
Protokolle des Domcapitels neue Auffchlüfse. H.'s Ur
theil ift allenthalben befonnen und wohl abgewogen

fich nur Caffel, wo der Schlofscaplan — und der mufste
fürftentreu fein — und Marburg, wo die Deutfehherrn
— sie hatten nur der Noth gehorchend einft die Refor-

Was die Darftellung des Interims in Heffen fo inter- mation anerkannt — die Meffe wieder einführten. Alle
effant macht, ift, dafs der Kampf um das Interim zu- j Briefe des Landgrafen an feine Theologen, alle Inftruc-

gleich ein Kampf zwifchen Landgrafem einerfeits und
evangelifchem Volke und den Prädicanten andrerfeits
ift. Der gefangene Landgraf ift der eifrigfte und nach-
drücklichfte Vorkämpfer des Interims gewefen und hat
erft dann dasfelbe preisgegeben, als alle feine Betionen
an die Regierung für die Einführung des Interims,
die Einberufung einer Generalfynode, die Einrichtung
zweier Commiffionen, die zwecks Durchdrückung des Interims
im ganzen Lande umherziehen follen (H. hat ihre fehr
intereffanten Berichte erftmalig benutzt), führen nicht zum

mühungen fich als vergeblich erwiefen. Wie erklärt fich Ziele. Die Zugeftändnifse, die hie und da gemacht werden,
diefe interimsfreundliche Pofition Philipp's? War fie j find Scheinmannöver (vgl. bef. S. 46 u. 47). Schliefslich
nur Politik oder auch Ueberzeugung? H. möchte gleich- ' fucht die Regierung den wie einen Patriarchen über der
fam zwei Stadien in des Landgrafen Stellung zum In- . heffifchen Kirche herrfchenden Superintendenten Adam
terim unterfcheiden; das erfte fpiegelt fich am deutlichften Kraft in Marburg mobil zu machen und für eine fefte
wieder in den für Moritz v. Sachfen beftimmten Briefen: er ' Cultordnung im Sinne des Interims zu gewinnen. Kraft
nehme mit feiner Landfchaft die Kaiferlich Declaration j fchickt nun als eine folche die alte in Marburg längft
an; wenn er erft einmal frei fei, dann werde man üblich e Kirchenord nun g ein und die Regierung aeeep-
fchon Mittel und Wege finden, wieder ,draus zu tirt fie als Interimsordnung — gewifs ein Curiofum! charak-
komen'. Bald jedoch, nachdem er ein Exemplar des | teriltifch für den confervativen Geift, der in Marburg
Interims in die Hand bekommen hatte, fei ihm die Un- j herrfchte. H. hat im Anhang diefe Gottesdienftordnung
bedenkhchkeit desfelben klar geworden, da ja der Kaifer ! mitgetheilt; fie ift für die heffifche K. G. äufserft werth-
die freie Predigt des Evangeliums habe beffehen laffen. I voll; denn es fteht nichts der Annahme entgegen, dafs
.Wenn der Landgraf alfo fchliefslich für das Interim ein- fie — zum minderten in ihren Grundbeftandtheilen2)

trat und dafür warb, fo that er es mit voller Ueberzeugung
und ohne Hintergedanken' (S. 4 die Sperrung
rührt von mir her). Das geht m. E. doch zu weit;
der von H. geführte Beweis fchlägt nicht durch. H. beruft
fich darauf, dafs Philipp eingehend das Interim ftu-
dirt, dafs er es aus der Patriftik (in der er N.B. refpec

bis in das Jahr 1527 oder 1528 etwa zurückreicht,
alfo, da die Homberger bekanntlich nicht zur Einführung

1) Die Sperrungen rühren von mir her.

2) Möglicherweife ift nämlich an der K. O. im Laufe der Jahre
geändert worden im Anfchlufs an die Agende Herzog Heinrichs und die

table Kenntnifse zeigt) als mit der altchriftlichen Tradition ' Nürnberger; auf diefe nämlich verweilt Kraft die Räthe, wenn fie einen
vereinbar darzurtellen bemüht war (vgl S q ff) aber mir i >voUKOmmener«n Bericht' über den Marburger Ritus haben wollen. Aber

will fcheinen, aus diefen Bemühungen foricht nur das I nothwenyS ia das nichb Kraft kann lediglich zur BxcapHflil-
böfe Gewirr™ ri, äLlj" J. fr j Ä run£ auf Je"e analogen Ordnungen verweifen. Der Wortlaut fcheint mir

Doie uewilien, er fühlt, gerade der wachfenden Oppo- i das fogar zu fordern (f H S 52)