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Ausgabe: | 1902 Nr. 4 |
Spalte: | 100-102 |
Autor/Hrsg.: | Burckhardt, Jakob |
Titel/Untertitel: | Griechische Kulturgeschichte 1902 |
Rezensent: | Wendland, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 4.
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während Happel annimmt, dafs auch fchon in ältefter
Zeit die Sünde wefentlich ,als ein Gebrechen, als ein
Mangel, ein auf Unwiffenheit beruhendes Verfehen, als
eine (mehr äufserliche) Verunreinigung, ein ererbtes und
deshalb nicht felbflverfchuldetes Etwas anzufehen, und
mehr die Strafe als die Sünde felbft für etwas Schlimmes
gehalten wird' (Happel, S. 219). Happel behandelt die j
Lehre von der Seelenwanderung etwas eingehender als
Dilger und nimmt an, dafs diefelbe im Rigveda fchon enthalten
fei (S. 169). Allein die Verwandlungen der grofsen
Götter, ihre Erfcheinungen in Thiergeffalten, die Wiedergeburten
Agni's haben doch keinen Zufammenhang mit
den durch menfchliche Schuld hervorgerufenen Wiedergeburten
. Es irt auffallend, wie die Mehrzahl der deutschen
Gelehrten beharrlich fich Pträubt gegen jeden Ein-
flufs von dravidifchen Religionsvorftellungen zuf die
Arier, während die Draviden gewifs die grofse Mehrzahl
der Bevölkerung bildeten, und das Sanskrit dravidifche j
Laute enthält, welche in den anderen arifchen Sprachen j
nicht vorkommen.
Wenn Dilger fagt: ,1m Hinduismus hat die Lehre
Von der Seelenwanderung, die alle Leiden und Uebel
in fich fchliefst, das Bewufstfein von der Sünde zer- j
ftört, den Sinn für die Erkenntnifs der Sünde abge- j
flumpft und den Begriff der Sünde aufgefogen' (Dilger, j
S. 296) — fo gilt das allerdings für den Begriff der Sünde
als einer perfönlichen, freien verantwortungsvollen That
des einzelnen Menfchen. Aber wenn wir die indifche Religion
im Ganzen etwa mit der griechifchen oder der
chinefifchen vergleichen, fo haben wir den Eindruck: es ift ;
in der indifchen mehr Sündenbewufstfein, das indifche
Volk ift ein religiöfes vor anderen. Es ift nur mit dem i
Pantheismus die Verantwortung vom Individuum auf das '
All gefchoben worden. Der indifche Büfser, fo äufser-
lich und egoiftifch fein ganzes Treiben ift, hat doch
eine Ahnung davon, dafs etwas Böfes gutgemacht werden
follte. Darum dürfte der Ausdruck: die Lehre von der |
Seelenwanderung hat ,das Bewufstfein der Sünde zer- j
ftört' doch zu ftark fein.
Die Lehre von der Erlöfung und dem Wege zur j
Erlöfung befpricht Dilger fo eingehend mit Quellen- 1
auszügen aus verfchiedenen Zeiten, wie fie wohl noch
nie im Verhältnifse zum Chriftenthum fo genau be- j
fprochen worden ift. Er kommt auch in Bezug auf den '
philofophifchen Hinduismus zu dem Refultate, dafs er |
es zu einer einheitlichen, widerfpruchslofen Anfchauung j
nicht gebracht habe. ,In den Upanifchad fleht der alte
Weg der Opferwerke theils unvermittelt neben dem |
Wege der Erkenntnifs, theils auch trifft ihn die ironifche
Kritik derer, die eine beffere Erkenntnifs zu haben
glaubten. Ebenfo tritt hier die Yoga-Afkefe auf, die j
zur Noth dem Wege der Erkenntnifs als Förderungsmittel j
bei dem Streben nach Erkenntnifs eingegliedert werden j
kann, die aber offenbar neben der logifch-kritifchen Me- !
thode der Samkhyafchule urfprünglich eine felbftändige j
Methode darftellt. In der Bhagavadgitä begegnen uns j
eine ganze Anzahl von Wegen, deren einer, wie z. B.
der Weg des Wirkens, den anderen, dem der Entfagung
und dem der Weisheit, diametral widerfpricht. Confe-
quent ift einzig der Weg der Erkenntnifs nach dem
moniftifchen Vedantismus des Camkara. Aber auch
diefer nur im Principe, der Abficht, der Theorie nach
(S. 438). Er kann uns nicht fagen, wie die erlöfende
Erkenntnifs entftehe. Im Widerfpruche mit feiner eigenen !
Lehre läfst er fie dem Menfchen als ein Gnadengefchenk
des Igvara und doch auch wieder als Frucht feiner
eigenen Werke zu Theil werden' (S. 439). Und die Erlöfung
felbft? — ,Hinter den fchönen Worten verbirgt
fich das abfolute Nichts' (S. 351).
Die chriftliche Lehre von Gott, Welt, Sünde und j
Erlöfung befpricht Dilger ausführlicher, als es für euro- j
päifche Lefer nöthig wäre. Es hat das wohl darin feinen I
Grund, dafs er eine englifche Bearbeitung feines Buches
zur Verbreitung in Indien im Auge haben wird.
Wir dürfen fomit für beide Schriften dankbar fein.
Sie ergänzen fich in manchen Punkten. Happel fetzt
fchon mehr Bekanntfchaft mit der ganzen Entwickelung
der indifchen Religion voraus, während Dilger auch
über die in Frage kommende indifche Literaturgefchichte
einen kurzen Ueberblick giebt (S. 13 — 17). Ein Regifter
giebt Happel, während es bei Dilger fehlt.
Calw. P. Wurm.
Herner, Dr. ph., Cand. th„ Doc.Sven, Ist der zweite Dekalog
älter als das Bundesbuch? Lund 1901, Hj. Möller.
(34 S. gr. 8.)
Verf. glaubt, dafs das Bundesbuch ein älterer Codex
ift als der Dekalog in Ex. 34; diefer fei ein Auszug aus
dem Bundesbuche mit theilweifen Aenderungen auf Grund
veränderter Verhältnifse. Folgende Erwägungen führten
den Verf. hauptfächlich auf diefe Anficht. 1. Die Darbringung
der thierifchen Erftgeburt je am 8. Tage nach der
Geburt Ex. 2229 ift eine frühere Stufe der Entwickelung,
die Gefammtdarbringung an Einem Feft Ex. 34inf. die
fpätere; 2. das Gebot, den erftgeborenen Sohn dem Jahwe
zu geben 222«, ift älter als die Erlaubnifs ihn zu löfen 3420;
3. Maffot ift urfprünglich nicht Erntefeft, Ex. 2315 341s
wiffen nichts davon; -|i£j5 ift der feftliche Anfang, fppx
der feftliche Schlufs der Ernte, erft fpäter wird auch Maffot
Erntefeft, Pfingften dann auf den Anfang der Weizenernte
befchränkt: davon zeigt das Bundesbuch noch keine Spur,
dagegen Ex. 3422. Auch das Detail des Ausdruckes in
beiden Codices Spricht eher für Priorität des Bundesbuche.s,
namentlich erfcheint rtDBri 5H 3425 wie eine fpätere Auslegung
vor "ran 2318. Das höhere Alter des Bundesbuches,
das in E fleht, gegenüber dem Codex in J, Ex. 34, dritte nun
gegen das höhere Alter von J zu E. Aber der Verf. wirft
wieder einmal die Frage auf, ob J fo gewifs älter ift als E.
Es fleckt manches Beherzigenswerthe in dem
Schriftchen, und im Hauptpunkte hat Verf. wohl Recht.
Maffot ift wahrfcheinlich unfprünglich ein Neujahrsfeft,
deswegen die ungeläuerten Brote, und deswegen ift es im
Laufe der Zeit mit dem irgendwo anders gewachfenen,
aber der Sache nach verwandten Paffah zufammen-
gefchmolzen. Dafs die tierifche Erftgeburt in Ex. 34 allgemein
am Maffot dargebracht werden folle, folgt nicht
nothwendig aus dem Nebeneinanderftehen von Vers 19
und 18, vollends wenn man das Werden und Wachfen
diefer alten Gefetzesfammlungen bedenkt: Diefe find aus
einer Reihe meift zufammhangslofer Gebote mit vielen
Nachfchüben entftanden. Allerdings kann fich diefes
üpferfeft der Erftlingsthiere fpäter leicht mit dem Anfange
des cultifchen Jahres verbunden haben. Sicherlich ift die
Darbringung im Kleinen und Einzelnen früher, als die
grofsen Fefte des Gefammtverbandes; die Gefetzgebung
des Jahwe kämpft ja einen allmählichen Kampf gegen
die Familien- und Privatfeiern, die mit Jahwe nicht viel
oder gar nichts zu thun hatten. Ob das Opfer des erft-
gebornen Sohnes mit der Hingabe zum Tempeldienfte
richtig erklärt wird, ift mir fraglich. Ex. 23181, endlich
geht nicht auf das Paffah, fondern gilt allgemein von
jedem Opferfeft; es ift eine verftreute, für fich flehende
Beftimmung, wie z.B. Vers 19b und viele in diefem Codex.
Tübingen. P. Volz.
Burckhardt, Jakob, Griechische Kulturgeschichte. Herausgegeben
von Jakob Oeri. Dritter Band. Berlin 1900,
W. Spemann. (VIII, 468 S. gr. 8.)
Während die zwei erflen Bände (vgl. Jahrg. 1899
Sp. 435 ff.) von B. felbft ausgearbeitet waren, ftanden für
diefen und den folgenden vierten Band dem Herausgeber
nur B.s Concept feiner Vorlefungen, das aus den