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Ausgabe:

1902 Nr. 3

Spalte:

79-86

Autor/Hrsg.:

Sickenberger, Joseph

Titel/Untertitel:

Titus von Bostra 1902

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 3.

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mehr als die einfachen Funktionen der Gemeindeleitung
mit ihren verfchiedenen Aufgaben. Aeltefte und Bifchöfe
find auch hier identifch. Nur in einzelnen Fällen gewinnt
ein Presbyter als Bifchof ein monarchifches Anfehen wie
Jakobus in Jerufalem (S. 147—174). Im fünften Capitel
confiatirt F. für Rom und den Weften das Fehlen des
monarchifchen Episkopates zur Zeit des Clemens und
wahrfcheinlich auch zur Zeit des Hermas. Auch lehnt
er mit Recht jede Idee von apoftolifcher Succeffion oder
priefterlichem Vorrechte für den erften Clemensbrief ab.
Der Vergleich mit dem altteftamentlichen Priefterthume
will nur die Notwendigkeit guter Ordnung im Gegenfatze
zur Willkür beweifen (S. 175—198).

Den erften ficheren Beleg für den monarchifchen
Episkopat findet F. mit Recht in den ignatianifchen
Briefen, die er übrigens ebenfo wie der Recenfent in
der Zeit Trajan's entftanden fein läfst. Er hebt mit
Recht hervor, wie die Bifchofsideen des Ignatius mit
feiner perfönlichen religiöfen Auffaffung von der svcoöig
der Kirche zufammenhängt und wie fie ganz begrenzt
ift auf die Einzelgemeinde — und zwar unter ganz be-
ftimmten Verhältnifsen im Gegenfatze zum religiöfen Individualismus
(S. 199—223).

Die beiden letzten Capitel , The Dazun of Catholi-
cism1 und ,Gyprian and Saccrdotalism' fchildern den Ab-
fchlufs der Entwickelung, die durch den Zufammenfchlufs
mehrerer Gemeinden nach aufsen, durch die Notwendigkeit
des Schutzes gegen Verfolgung und Irrlehre, durch
ein Suchen nach fefter apoftolifcher Lehrautorität, zum aus-
gefprochenen Episkopalismus und katholifchen Priefter-
thum führt. Der Raum verbietet hier auf die intereffanten
und durchaus richtigen Ausführungen näher einzugehen
(S. 224—269).

Am Schlufse kommt der Verf. auf die principiellen
Fragen zurück, indem er für den Proteftantismus eine
höhere Einheit in Anfpruch nimmt, wie die äufsere, die
durch das Episkopat oder fonft eine uniforme Verfaffung
gewährleiftet wird. Er lehnt defshalb die Aufforderung
des Anfchluffes an das Bifchofsamt als Vorbedingung
der Einigung entfchieden ab. Er ift aber der optimifti-
fchen Ueberzeugung, dafs die Fragen der Verfaffung
nie mehr die alte Bedeutung bekommen würden, weil
die Menfchen heutzutage fähiger feien, das Ideal im
Auge zu behalten, ohne es zur Erde herabzuziehen.
Möchte es fo fein! Jedenfalls kann man dem Verf. nur die
Hand reichen, wenn er den proteftantifchen Kirchen über
alle nationalen Grenzen hinaus eine Vereinigung zur
Pflicht macht, die fich bewährt im Glauben und in der
Liebe unter völliger Wahrung und gegenfeitiger Achtung
der felbftändigen Eigentümlichkeiten. Möchte dies fchöne
Buch auch dazu beitragen, nicht nur im Heimathlande
des Verfaffers, fondern auch weit über die Grenzen des-
felben hinaus.

Deyelsdorf. Lic. Ed. von der Goltz.

Sickenberger, D. Jofeph, Titus von Bostra. Studien zu
deffen Lukashomilien. (Texte und Unterfuchungen
zur Gefchichte der altchriftlichen Literatur. Herausgegeben
von O. von Gebhardt und Adolf Harnack.
Neue Folge. VI. Band, Heft 1. Der ganzen Reihe
XXI, I.) Leipzig 1901, J. C. Hinrichs'fche Buchh.
(VIII, 268 S. gr. 8.) M. 8.50

Harnack, Adolf, Diodor von Tarsus. Vier pfeudojuftinifche
Schriften als Eigentum Diodors nachgewiefen. (Texte
und Unterfuchungen zur Gefchichte der altchriftlichen
Literatur. Herausgegeben von O. von Gebhardt und

1) Vgl. meine Schrift .Ignatius v. Antiochien als Chrift und Theologe
' S. 177, wo als wahrfcheinlichfte Datirung no—120 angegeben ift,
nicht wie F. von mir S. 204 referirt: die 3. oder 4. Dekade.

Adolf Harnack. Neue Folge. VI. Band, Heft 4. Der
ganzen Reihe XXI, 4.) Leipzig 1901, J. C. Hinrichs'fche
Buchh. (III, 251 S. gr. 8.) M. 8.—

Der 6. Band der ,Texte und Unterfuchungen' hat uns
zwei höchft intereffante Beiträge zur Literaturgefchichte
der griechifchen Kirche um 375 gebracht; der eine be-
fchäftigt fich mit bisher ziemlich unbekannt gebliebenem
Nachlafse des Bifchofs Titus von Boftra, der andere will
dem berühmten Haupte der antiochenifchen Schule Eigenthum
, das bis heute in fremden Händen geruht hat, zu-
rückerftatten.

Als Bekämpfer des Manichäismus aus der Zeit Kaifer
Julian's befitzt Titus alten Ruhm. De Lagarde hatte feine
vier Bücher wider die Manichäer in fyrifcher Ueberfetzung,
ebenfo die griechifch erhaltene Hälfte — Buch I und II
und den Anfang von Buch III — herausgegeben; eine
deutfche Ueberfetzung aus dem Syrifchen war er uns
fchuldig geblieben; wie wir durch Sickenberger erfahren,
wird L. Nix eine folche demnächft veröffentlichen, erfreulicherweife
gemeinfam mit einer neuen von A. Brinkmann
bearbeiteten Recenfion des griechifchen Textes. Aber
Titus ift auch ein angefehener Schriftausleger gewefen,
und S. hat fich die Aufgabe geftellt, Alles aufzufpüren,
was aus feinen exegetifchen Werken noch erhalten ift,
und die Fragmente — denn leider handelt es fich nui
um folche —, mit einem knappen handfchriftlichcn
Apparat verfehen, zu veröffentlichen.

Die Theilung feines Buches in ,Unterfuchungen' und
,Texte' ift damit von felbft gegeben. Der erfte Theil
beginnt fachgemäfs mit einem kurzen biographifchen
Capitel, fodann wird über die Streitfchrift gegen die
Manichäer referirt; auf S. 16 kommt S. zu feinem eigentlichen
Thema. Des Oefteren ift unter dem Namen des
Titus ein griechifcher Lukascommentar gedruckt worden,
zuerft 1624; durch eine Ueberficht über die ihm bekannt
gewordenen Handfchriften diefes Commentars überzeugt
S. den Lefer von deffen weiter Verbreitung. Er kann
aber nicht echt fein, fchon weil er im engften Zufam-
menhange mit einem Matthäuscommentar fleht, der in
der Hauptfache aus Chryfoftomusexcerpten compilirt ift.
Genauere handfehriftliche Titel fagen denn auch von
dem Lukascommentar blofs, dafs er eine hofinvela
des Titus und anderer Väter fei; factifch werden in ihm
z. B. die drei Kappadocier, Dionyfius Areopagita, Chry-
foftomus citirt, und feine Hauptquelle ift der berühmte
Lukascommentar des Cyrill von Alexandrien. Aber daneben
ift in hervorragendem Mafse Titus von Boftra, doch
auch Origenes, excerpirt worden, und der Name des Titus
ift an dem im 6. Jhdt. entftandenen Sammelwerke haften
geblieben, weil Titus als Ausleger des Lukas-Evangeliums
befonderes Anfehen genofs. In Cap. IV (S. 41—79) Unterpacht
S. die in den verfchiedenen Gruppen von Evan-
geliencatenen unter dem Namen des Titus gehenden
Fragmente; den zuverläffigften Wortlaut fcheint ihm die
Catene des Nicetas von Serrae (c. 1075) zu bieten, aufser-
dem ift fie am reichhaltigften, der Verf. hat wahrfcheinlich
wörtlich aus dem Titus-Original abgefchrieben. Sehr vor-
fichtig wird in Cap. V die Echtheit der fo gewonnenen
Fragmente unterfucht und für die Mehrzahl bejaht, in
Cap. VI Titus als Lukascommentator charakterilirt und
angenommen, dafs Titus den Lukas in Homilien ausgelegt
habe, und zwar nach Abfaffung feiner Streitfchrift,
vielleicht um 370. Cap. VII confiatirt reichliche Benützung
J jener Titus-Homilien in fpäterenEvangelien-Commentaren,
| nicht blos beim Pfeudotitus, fondern auch bei dem fog.

Petrus von Laodicea und im Markus-Commentar des fog.
| Victor von Antiochien. Einige Titusfragmente, die fich
in Daniel-Catenen zu Cap. 2 und 7 finden, dürften laut
; S. 132f. auch den Lukas-Homilien entnommen fein; ficher
I unecht ift eine dem Titus zugefchriebene Palmfonntags-
predigt (S. 134—36) und eine Erklärung der Parabeln
Luk. 181 ff. 18, s ff., die lediglich eine Compilation von