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Ausgabe:

1902 Nr. 2

Spalte:

48-49

Autor/Hrsg.:

Camenisch, Carl

Titel/Untertitel:

Carlo Borromeo und die Gegenreformation im Veltlin 1902

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 2.

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des heiligen Geiftes oder die einer befonderen Verleihung
der geifllichen Gewalt, um an der Leitung der Kirche
theilzunehmen: durch diefen Act weihten auch Paulus
und Barnabas kraft ihrer apoftolifchen Vollmacht Presbyter
und Episkopen in ihren Gemeinden, um denfelben
Hirten und Priefter zu geben. Dies wird auch durch die
paulinifchen Briefe beftätigt. Jedoch ift die Handauflegung
des Presbyteriums (1. Tim. 4,14) nur ein begleitender Um-
ftand, die Handauflegung des Apoftels das Wefentliche.
Wo aber der Verf. die Vollziehung diefes Ritus in den
Quellen nicht findet, da hilft er fich mit dem für feine
ganze Methode charakteriftifchen Satze: Le rite ne devait
pas etre mentionne par l'historien, puisque c'etait un acte
necessaire et essentiel, et par consequent toujours suppose,
lorsquil n'est pas exprimc. Nirgends wird es fo deutlich
als in diefem Punkte, dafs das Gefchichtsbild des Verf.'s
von der Dogmatik, nicht aber von den Quellen benimmt
ift, fodafs man unwillkürlich ermüdet, dem Verf. auf
feinem Gange durch die Literatur zu folgen, die eigentlich
für die Sache überflüffig ift.

Freier bewegt fich der Verf. dagegen im nächften
Abfchnitte, dem umfangreichften und wichtigften des
ganzen Buches. Er erweift hier die volle Synonymität
der Namen ejtloxojcoi und stQeößvzeooi im erften Jahrhundert
, indem er fämmtliche Quellenftellen forgfaltig
durchfpricht. Er fieht in ihnen die Leiter, Paftoren und
Priefter der Einzelgemeinde, die nach ihrer Würde als
ancicns (jtosGßvzsQoi), nach ihrer Function als surveillants
{sjtioxostoi) bezeichnet werden. Er weift jede genauere
Unterfcheidung der beiden Aemter für die ältere Zeit
zurück, und m. E. liegt in diefer einfachen und einheitlichen
Auffaffung des urchriftlichen Vorfteherthums ein
beachtenswerther Vorzug. Die Vertheilung der Functionen
wird fehr verfchieden gewefen fein; die Vorftellung ver-
fchiedener Aemter mit gefondertem Titel pafst erft für
die Verhältnifse des zweiten Jahrhunderts. Aber auch
die, welche fich mit folcher Identification der hniGxojioi
und xq£ößvT£QOi nicht einverftanden erklären können,
werden die Ausführungen des Verf.'s mit Intereffe verfolgen
. Die Art der Benutzung der Apoftelgefchichte
und der Paftoralbriefe bleibt jedoch auch hier eine
Schranke der gegenfeitigen Verftändigung.

Seinen Glaubensgenoffen gegenüber bedarf es freilich
einer Rechtfertigung, dafs er unter den istioxostot des
erften Jahrhunderts die Priefter und nicht die .Bifchöfe'
verfteht — um fo mehr, als die heiligen Väter des tri-
dentinifchen Concils die Stellen anders ausgelegt haben.
Der Verf. deckt fich aber durch die Autorität des hl.
Thomas und durch die Inanfpruchnahme des guten
Rechtes, in der Auslegung einzelner Stellen von der mehr
beiläufigen Exegefe der Concilsväter abzuweichen. Er
fchafft ja Erfatz für die ,Bifchöfe im eigentlichen Sinne',
indem er annimmt, dafs die Propheten und Evangeliften
da, wo die Apoftel nicht felbft die oberfte Leitung in
der Hand behielten, la plenitude de Vordre erhielten, um
die dem Bifchofe vorbehaltenen Riten zu vollziehen und
die apoftolifche Succeffion zu fichern. So hätten Timotheus
und Titus als apoftolifche Delegirte vorübergehend
gewirkt, andere hätten auch dauernd die bifchöfliehe
Gewalt ausgeübt. Nur der Name cjüöxoxog fehlte im
erften Jahrhundert für diefes Amt. Erft der Apoftel Johannes
habe zur Rettung der Einheit der Kirche eigentliche
Bifchofsfitze gefchaffen, und nach demTode der Apoftel habe
fich diefe Praxis immer mehr durchgefetzt. Michiels mufs
freilich zugeben, dafs die Art, wie diefe Succeffion fich
vollzog, nicht deutlich erkennbar ift. Die Thatfache ift
ihm aber allein fchon durch 1. Clem. 42,44 bewiefen. Die
Doctrin der apoftolifchen Succeffion fcheint ihm hier aus-
gefprochen, und es ift nun nur eine weitere Explication
feiner Grundanfchauungen, wenn er die wichtigften älteften
Bifchofsfitze im einzelnen befpricht. Das führt ihn dann auch
zu einer Unterfuchung der älteften Bifchofsliften, denen
er unbedingtes Vertrauen fchenkt und die er im Gegen-

1 fatze zu Harnack alle auf Hegefipp zurückführen möchte.

I Die Ignatiusbriefe fowie einzelne Aeufserungen des Irenaeus
und Eufeb müffen dann dazu helfen, das Vorhandenfein
der organifirten Hierarchie (Bifchof, Presbyter und Dia-

I konen) gemäfs den Lehren der katholifchen Kirche für
das zweite Jahrhundert zu erweifen. Auch hier werden
die katholifchen Begriffe den Quellen einfach fubftituirt.
was nun nicht mehr wundern kann, nachdem der Verf.
fie bereits für das erfte Jahrhundert in Anfpruch genommen
hatte. Nur für die Errichtung eigentlicher Bifchofsfitze
räumt der Verf. auch für das zweite Jahrhundert
eine langfame Entwickelung ein. Hier kann er ohne
Gefahr die Quellen zu ihrem Rechte kommen laffen,
da die apoftolifche Succeffion für Jerufalem, Antiochien,
Alexandrien, Rom und Kleinafien gedeckt ift. Eine dem
Buche angehängte Tabelle giebt eine gute Ueberficht
über die dem Verf. für die beiden erften Jahrhunderte
gefchichtlich geficherten Bifchofe.

Eine Verftändigung über die Einzelfragen läst fich
hier kaum erzielen, wenn man in den Grundfragen fo
verfchieden denkt. Man wird aber dem Verf. dankbar
fein müffen für eine fo ausführliche Behandlung diefer
gefchichtlichen Fragen vom katholifchen Standpunkte
aus. Wer auf diefem Gebiete arbeitet, wird an dem
Buche von Michiels nicht vorbeigehen dürfen. Ohne
Brille lefen ja auch wir Proteftanten die Quellen nicht

J und es ift immer nützlich, die Sachen einmal gründlich
vom entgegengefetzten Standpunkte aus anzufehen.

Wir haben keine Urfache uns zu fürchten, wenn die
Auslegung einzelner Stellen der katholifchen Auffaffung
einmal Oberwaffer zu geben fcheint. Die evangelifche
Grundauffaffung wird — das ift unfer fchärffter Gegenfatz
zum Katholicismus — von diefen Verfaffungsfragen nicht
berührt. Dafs der Katholik hierin anders urtheilt und
religiös auf das Lebhaftefte bei der Verfaffungsfrage
intereffirt ift, giebt ihm ein fubjectives Recht für feine
Art der Quellenbenutzung — es ift wahr, die Autorität
fteht auf dem Spiele — aber nicht die Wahrheit.

Deyelsdorf. Lic. Ed. von der Goltz.

Camenisch, Dr. Carl, Carlo Borromeo und die Gegenreformation
im Veltlin mit befonderer Berückfichtigung der
Landesfchule in Sondrio. Chur 1901, (Hitz). (282 S.
gr. 8.) M. 5.—

Der Verfaffer verfucht in der vorliegenden Arbeit
eine Zeitepoche der Bündnergefchichte, die wenig bekannt
ift, auf Grund zum Theil ungedruckter Quellen aufzuhellen
, während wir über die Epoche des 30jährigen
Krieges und feines Helden Georg Jenatfch fchon eine

j Reihe werthvoller Specialftudien befitzen. Als wichtigfte
Quelle kommt die Correfpondenz des Erzbifchofs Carlo

' Borromeo, die fich in der Ambrofiana und im Vatican
befindet, in Betracht. Aus ihr läfst fich mit Sicherheit
feftftellen, welchen Antheil Borromeo an der Gegenreformation
in Graubünden gehabt hat. Nach einer Einleitung
über den Gang der Reformation in den drei Ländern

j und ihren Unterthanenlanden fchildert er den Beginn der
Gegenreformation im Veltlin. Die Bündner hatten hauptfächlich
aus politifcher Berechnung den Proteftantismus
im Veltlin begünftigt, um diefe Thäler von ihrer natürlichen
Verbindung mit Mailand abzuhalten. Auch Frankreich
zeigte fich hier als Protector der reformatorifchen
Bewegung, um das durch feine geographifche Lage
bedeutfame Thal nicht an Spanien-Oefterreich fallen zu
laffen. Erft im Jahre 1547 fand der erfte ernfte Zufammen-
ftofs zwifchen Katholiken und Proteftanten in Gaspano
ftatt, dem in der Folgezeit zahlreiche Reibereien folgten.

j Trotz des Toleranzedictes der drei Bünde für die Unter-
thanenlande zu Banz vom 1. Nov. 1553 begannen die

i Capuciner fich feit 1555 im Veltlin feftzufetzen. Der zu
Banz verfammelte Bundestag fchärfte 1557 zwar noch