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Ausgabe:

1902 Nr. 25

Spalte:

674-676

Autor/Hrsg.:

Drews, Arthur

Titel/Untertitel:

Eduard von Hartmanns philosophisches System im Grundriss 1902

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 25.

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hältnifs zu den pofitiven Wiffenfchaften in der ganzen J
Behandlungsweife der Philofophie eine maafsgebende Rolle !
fpielen. Nachdem in den erften beiden Paragraphen die J
Definitionen der Philofophie und das Verhältnifs der j
Pnilofophie zur Wiffenfchaft überhaupt erörtert ift,
werden im dritten auf der Grundlage einer kurzen ge- j
fchichtlichen Darfteilung die Beziehungen zwifchen Philo- [
fophie und Religion' befprochen. Der Gegenftand der 1
Philofophie ift, wie der aller Wiffenfchaft, die finnliche, 1
empirifche Welt, der Gegenftand der Religion die über-
finnliche Welt. Da demnach beide Welten ihrem Inhalte
nach völlig gefchieden find, fo kann die Philofophie
ebenfo wenig der religiöfen Weltbetrachtung beftimmte
Gefetze geben, wie die Religion befugt und befähigt ift,
fich in die Gefchäfte der Wiffenfchaft einzumengen.
Die Wiffenfchaft von der Religion aber fteht in dem-
felben Verhältnifs zur Philofophie wie die übrigen Ein-
zelwiffenfchaften. Ihre Aufgabe ift auch hier die Betrachtung
der gegebenen, durch die Einzelforfchung
erarbeiteten Erkenntnifsinhalte und deren Einordnung
in das gefammte Syftem unferer Erkenntnifs (S. 29).

Aus der Begriffsbeftimmung der Philofophie folgt,
dafs das Syftem der Philofophie durch eine Gliederung
der einzelwiffenfchaftlichen Aufgaben felbft vorbereitet
werden mufs. Ein zweites Capitel diefes .die Aufgabe
und das Syftem der Philofophie' behandelnden Abfchnittes
giebt daher eine, vielleicht den werthvollften Theil des
Buches bildende, in diefer Ausführlichkeit aber über
den Rahmen einer Einleitung faft hinausgehende Claffifi-
cation derWiffenfchaften, zuerft eine gefchichtliche Ueber-
ficht der hauptfächlichden Claffificationsverfuche, fodann
die Eintheilung der Einzelwiffenfchaften in formale
f,reine Mathematik') und reale (Natur- und Geifteswiffen-
fchaften), endlich die Eintheilung der Philofophie als
genetifche (Erkenntnifslehre) und fyftematifche (Prin-
cipienlehre). Der zweite Abfchnitt des Buches enthält
auf nicht ganz 200 Seiten eine ihrem Zwecke wohl ent-
fprechende gefchichtliche Entwickelung der Philofophie.

Der dritte Abfchnitt behandelt ,die Hauptrichtungen
der Philofophie', deren Entwickelung fich an die drei
Grundprobleme der Philofophie anfchliefst: an das Er-
kenntnifsproblem, das metaphyfifche Problem und das
ethifche Problem. Dementfprechend werden nach einer
Erörterung der erkenntnifstheoretifchen Richtungen des
Empirismus, Rationalismus und Kriticismus drei Hauptrichtungen
metaphyfifcher Weltanfchauungen unterfchie-
den, und zwar nach dem Verhältnifse, in welches von j
den drei Urbegriffen: Subftanz, Materie, Seele die
beiden fpecielleren, der Erfahrung näher liegenden:
Materie und Seele, zu dem allgemeineren: der Subftanz
gebracht werden. So entftehen drei allgemeinlte Weltanfchauungen
: Materialismus, Idealismus und Realismus,
von denen der letztere den verfchiedenen Seiten, welche
die Wirklichkeit darbietet, gleichmäfsig gerecht zu werden
fucht. Die Coordination des letzteren Begriffes bringt
in die ganze Eintheilung etwas Unbeftimmtes und Schiefes j
herein, fofern unter Realismus gewöhnlich eine erkenntnifs-
theoretifche Richtung verftanden und das Wort in der Regel
zur finnlichen Wahrnehmung in Beziehung gebracht wird.
Das Unzulängliche diefer Gliederung tritt unter anderem
darin hervor, dafs Spinoza als Vertreter des Realismus
erfcheint, was zum minderten mifsverftändlich ift. Aus 1
dem 3. Capitel, welches fich mit den ethifchen Richtungen
befchäftigt, ift hervorzuheben, dafs neben den hetero- ;
nomen und den immanenten (völlig autonomen) transfcen-
dente Moralfyfteme unterfchieden werden, welche eine
Uebergangsftufe zwifchen den beiden erftgenannten bilden.
Den autonomen Syltemen gehören fie an, weil fie das
fittliche Thun aus dem Wefen des Menfchen zu be-
greifen Richen, den heteronomen neigen fie zu, weil fie j
in diefes Wefen des Menfchen ein doppeltes Sein, ein
finnliches und ein überfinnliches hineintragen, um dann j
ausfchliefslich zu diefer Verbindung mit der überfinn-

lichen Welt die fittlichen Normen in Beziehung zu
fetzen. Als typifches Beifpiel der intellectualiftifchen
Form diefer Moral wird Plato, als Vertreter der volun-
tariftifchen Kant genannt.

Sorgfältig ausgewählte Literaturangaben und ein
praktifches Sachregifter erhöhen den Werth des Buches,
das als Einführung in das auf breitefter empirifcher Balis
aufgebaute und doch in Metaphyfik ausmündende Syftem
Wundt's des lebhaften Intereffes auch der Gegner ficher
fein darf, insbefondere aber wegen feiner klaren Dar-
ftellung und überfichtlichen Gedaltung dem Anfänger
gute Dienfte leiden kann.

Heidelberg. Th. Elfenhans.

Drews, Prof. Dr. Arthur, Eduard von Hartmanns philosophisches
System im Grundriss. Mit einer biographifchen
Einleitung und dem Bilde E. von Hartmanns. Heidelberg
1902, C. Winter's Univbh. (XXII, 851 S. gr. 8.)

M. 16.—; geb. M. 18.—

,Fad zur felben Zeit, wo die politifche Sehnfucht der
vorangegangenen Generationen ihre Erfüllung fand, hat
Hartmann, ein Bismarck des Gedankens, die auseinandergehenden
Richtungen der bisherigen Philofophie zur Einheit
zufammengefafst, die Bedrebungen der neueren Philofophie
zum relativen Abfchlufs gebracht und vollendet,
worauf fad alle grofsen Denker vor ihm bewufst oder
unbewufst abgezielt haben' (S. IV). Von diefer Grund-
anfchauung aus entwirft der Verf. feine ausführliche von
der Begeifterung für den ,Philofophen des Unbewufsten'
getragene Dardellung des Hartmann'fchen Sydems.

Wie Schopenhauer mehr als dreifsig Jahre warten
mufste, bis das Publicum auf ihn aufmerkfam wurde, fo
fei abgefehen von dem Erfolge feines Erlthngswerkes
von einem Einflufs der Hartmann'fchen Gedanken auf
die Fortbildung und Entwickelung der Philofophie oder
gar der übrigen Wiffenfchaften noch fo gut wie nichts
zu fpüren. Und doch fei mit Hartmann's Princip des
Unbewufsten eine neue Epoche der philofophifchen
Entwickelung eingeleitet worden.

Wird der Verf. mit diefer Anficht nur wenig Anklang
finden, fo wird ihm doch das Zugedändnifs gemacht
werden müffen, dafs die gewaltige Gedankenarbeit
, welche E. v. Hartmann in dem Aufbau eines
eigenartigen Sydems und in der Anwendung desfelben
auf die verfchiedenden Gebiete nicht blofs der Philofophie
, fondern der Wiffenfchaft, ja des modernen
Lebens überhaupt leidete, auf fachwiffenfchaftlicher Seite
noch zu wenig Beachtung gefunden hat. Der Verf. hat fich
durch diefe volldändige Ueberficht und Verarbeitung
des umfangreichen, nicht leicht überfehbaren Stoffes das
Verdiend erworben, auf einen unferer univerfellden zeit-
genöffifchen Philofophen aufs Neue hingewiefen zu haben.

Der Dardellung des Sydems id ein Ueberblick über
E. v. Hartmann's Leben und Schriften vorausgefchickt,
der einen nicht unintereffanten Beitrag zur Gefchichte
des Peffimismus liefert und befonders den ,Kampf ums
Unbewufste' mit den philofophifchen, naturwiffenfchaft-
lichen, religiöfen Gegnern eingehender fchildert. Das Erde
Buch behandelt fodann die .Grundlagen des Sydems'. Die
Philofophie des Unbewufsten wird der gefammten modernen
Philofophie als der durch Descartes begründeten
,Philofophie des Bewufsten' gegenübergedellt. Wie ver-
fchiedenartig auch die Wege waren, welche die Denker
nach ihm gewandelt, und zu wie abweichenden Ercreb-
nifsen fie gelangt find: das cogito ergo stau id dets^die
Grundlage aller ihrer Unterfuchungen gewefen. Es kam
ihnen niemals in den Sinn, an der Annahme zu zweifeln,
dafs das Bewufstfein ein Reales und Wefenhaftes, der
unbegründbare Grund und die fchöpferifche Kraft des
Weltalls fei. Da im Ichgedanken Bewufstfein und Sein,
Vordellung und Gegendand, Ideelles und Reales identifch