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Ausgabe:

1902 Nr. 25

Spalte:

667-668

Autor/Hrsg.:

Kreusch, Edmund

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte der Wendenlande 1902

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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667

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 25.

668

Verhandlungen in den Vordergrund des Intereffes gerückt
ift, nicht umgehen. Seeberg hat in feinem Duns Scotus
S. 586fr. mit befonderer Energie diefe Gedankenreihe bei
Auguftin betont. Auguftin hat allerdings, was hier im
Rahmen einer Anzeige nicht entwickelt werden kann, im
Erkenntnifsprocefs dem Act des Willens, der intentio
animi, wenn auch nicht als erfter, fo doch entfchiedener,
als es bisher gefchehen war, die ihm zukommende Bedeutung
verfchafft. Aber man darf, wenn man zunächft
auf das Ganze der Theologie Auguftin's fchaut, doch nicht
von einem Primat des Willens reden. Man kann nur von
einer Priorität des Willens fprechen. Erkenntnifs-
theoretifch betrachtet hat man aber keinen Anlafs,
jener den Willen und das Princip der Selbftgewifsheit hervorhebenden
Reihe fo grofsen Werth zuzufchreiben.
Leder weift bei der Vergleichung Auguftin's mit üescartes
mit Recht auf die unkritifche Tendenz des auguftinifchen
Princips hin. Es kommt aber des weiteren unter dem
erkenntnifstheoretifchen Gefichtspunkt der inneren Erfahrung
kein gröfserer Wirklichkeitswerth zu als der
äufseren Erfahrung. Beide weifen nur auf verfchiedene
Richtungen der einen Erfahrung hin. Zur erkenntnifstheoretifchen
Frage darf man jene den Willen hervorhebende
Gedankenreihe nicht in Beziehung fetzen, will
man nicht die erkenntnifstheoretifche Frage mit der er-
kenntnifsgenetifchen verwechfeln. Die felbft wieder von
der erkenntnifstheoretifchen Frage abhängige Frage nach
der Entftehung der Erkenntnifs klärt nicht das erkenntnifstheoretifche
Problem. Der pfychologifche Weg kann als
empirifcher nicht über die Principien der Empirie ent-
fcheiden. Die Erkenntnifskritik unterfucht aber die ob-
jective Gültigkeit der Erkenntnifs, und die Erkenntnifs-
theorie hat es mit den apriorifchen Erfahrungsbegriffen zu
thun. Von einem Primat des Willens bei Auguftin dürfte
man endlich erft dann fprechen, wenn er die Frage, vor
welchem Forum die religiöfen und fittlichen Erkenntnifse
Geltung haben, zu gunften des Willens entfchieden hätte.
Das ift aber gerade nicht der Fall. Leder hätte endlich,
abgefehen davon, dafs das Verhältnifs von Autoritätsglauben
und Wiffen umfallender hätte dargelegt werden
können, auf den Widerfpruch aufmerkfam machen können,
auf den fchliefslich Auguftin's Erkenntnifstheorie hinausläuft
. Das Ziel des auguftinifchen Erkennens ift es ja, im
unwandelbaren inhaerere veritati fich zu vollenden. Das
Erkennen ift aber feiner Natur nach wandelbar. So kann
es nicht mehr, was doch verlangt werden müfste, die
Vollendung feiner felbft erkennen.

Eine Kritik der auf Natorp's Ausführungen fufsenden
Anfchauung Leder's von der Bedeutung der Descartts'
fchen Philofophie würde hier zu weit führen. Es als be-
wiefen vorauszufetzen, dafs Descarte.s' Philofophie getragen
fei von der Grundtendenz des Kriticismus, mufs
ich doch für recht bedenklich halten. Bisher ift wenigftens
das Recht einer principiellen Deutung der Philofophie
Descartes' im Sinne des Kriticismus m. E. noch nicht be-
wiefen. Gegen diefe Deutung fpricht fchon die, foviel ich
fehe, von Leder nicht benutzte medit. VI, und Descartes'
cogito ergo sunt widerfpricht dem Princip der Correlation
von Subject und Object. Leder S. 93 lies Pachymercs
ftatt Pachymides.

Kiel. Otto Scheel.

Kreusch, Edmund,KirchengeschichtederWendenlande, Paderborn
1902, Bonifacius-Druckerei. (VI, 262 S. gr. 8.)

M. 2.—

Das vorliegende Buch ift wohl irrthümlicherweife der
TheologifchenLiteraturzeitung zur Befprechung eingefandt
worden. Der Verfaffer hat die Abficht gehabt, die
Kirchengefchichte der Wendenlande zu fchreiben. .Die
Bistümer, um deren Gefchichte es fich hier handelt, find:
Aldenburg-Lübeck, Michilinburg-Schwerin,Meifsen, Ratzeburg
, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Cammin. Ihre
Schickfale find jedoch in den erften zwei Jahrhunderten
fo eng mit dem ihrer Metropolen Hamburg und Magde-

j bürg verknüpft, dafs von deren Gefchichte füglich nicht
gänzlich abgefehen werden konnte. Aufserdem durfte
die Entftehung des Chriftenthums in Preufsen und Livland
nicht unberückfichtigt bleiben, weil diefe Lande nach der
Reformation und Säkularifation mit dem weitaus gröfsten
Theile der einftigen Wendenlande vereinigt worden und
ihnen fchliefslich felbft den eigenen Namen aufgedrungen
haben' (S. 2). Die ,Gefchichte' befteht aber in weiter
nichts, als in der Aneinanderreihung biographifcher
Notizen über die Bifchöfe der einzelnen Bisthümer bis
zur Reformation, in einer katholifch gefärbten, fehr dürftigen
Darlegung der kirchlichen Umwandelung und der

i Spuren und des Wachsthums der katholifchen Kirche in

i diefen Gebieten feit der Reformation. Gefchichtliche Probleme
find nicht aufgeworfen, gefchweige gelöft. Wie fich
Germanenthum und Slaventhum zu einander verhalten
haben, wie die römifche Kirche fich zu beiden Hellte,
darüber erfahren wir fo gut wie nichts. Ueber die Ur-
fachen der Reformation hören wir etwa die Janffen'fchen
Anfchauungen, und diefe in der dürftigften Form. Vielleicht
läfst fich das darauf zurückführen, dafs der Verfaffer
nur für die ältefte Zeit einen Anlauf genommen hat,
aus den Quellen zu fchöpfen. Er hat aber nicht einmal
die Literatur genügend benutzt. Dafs er, wo er von
Adalbert von Prag fpricht (S. 21 f.), Voigt's Monographie
von 1898 nicht erwähnt, möchte noch hingehen; aber dafs
in einem Buche, das die Kirchengefchichte eines grofsen
Theils von Deutfchland erzählen will, Hauck's Kirchen-
gi fchichte Deutfchlands nicht einmal genannt wird, ift ein
ftarkes Stück. Dagegen beruft fich der Verfaffer gern

| für die alte Zeit auf den Bonifatius-Kalender und den

j kirchlichen Anzeiger für die Delegatar, Berlin, 1850—1856.

i Gefchichte zu fchreiben, ift ein fchweres und ernltes Ding.

! Leider halten fich heutigentags viele Katholiken für befähigt
, vor die Oeffentlichkeit zu treten, wenn fie nur die
Ueberzeugung gewonnen haben, dafs die Luther'fche
Reformation nicht die wahre fein könne. Für die Hebung
des hiftorifchen Dilettantismus hat niemand fo gewirkt,
wie Janffen; während aber gebildete katholifche Hiftoriker
fich von feinen Anfchauungen mehr und mehr befreien,
halten diejenigen, die fie in das Volk zu bringen fuchen,
nur um fo fefter an ihnen. Unter diefe fcheint mir auch
der Verfaffer zu gehören; möge es ihm vergönnt fein,

i eine freiere und würdigere Vorftellung von dem Wefen
und den Aufgaben der Gefchichtsfchreibung zu erwerben,
als fie fein Buch verräth.

Halle a. S. Gerhard Ficker.

Koniecki. 0., Geschichte der Reformation in Polen. 2. vermehrte
und verbefferte Auflage. Pofen 1901 , W.
Decker & Co. (276 S. gr. 8.) M. 2.20

Eine Gefchichte der Reformation in Polen und im
ehemals polnifchen Preufsen zu fchreiben, dürfte eine

| der dankbarften aber auch der fchwierigften Aufgaben
für den Hiftoriker fein. Kein anderes Land hat fo
unterfchiedslos allen reformatorifchen Richtungen und
Secten feine Thore geöffnet, wie gerade Polen. Lutheraner
und Calviniften, böhmifche Brüder und Socinianer
haben dort blühende Gemeinden gegründet, die fich

' theils bis zur Gegenwart erhalten haben, theils in den
Stürmen der Gegenreformation untergegangen find.
Gerade weil die Landesherrfchaft der katholifchen
Kirche ergeben blieb und deshalb alle reformatorifch
Gefinnten in gleicher Weife für Ketzer hielt, ja, fie
zeitweife im Verein mit einem fanatifchen Clerus aufs

' Heftigfte verfolgte, konnte keine der verfchiedenen
Richtungen zur Herrfchaft gelangen. Die Folge war
eine Zerfplitterung, die im Kampfe wider den Ka-