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Ausgabe:

1902 Nr. 24

Spalte:

644-646

Autor/Hrsg.:

Kujot, Stanislaus

Titel/Untertitel:

Visitationes archidiaconatus Pomeraniae Hieronymo Rozrazewski Vladislavienski et Pomeraniae Episcopo factae 1902

Rezensent:

Freytag, Justus

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 24.

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fie wären noch zu bewältigen —, fondern auch die Volksund
Staatsgefchichte der einzelnen Gebiete mitfamt ihrer
alten Cultusgefchichte meldet fich fofort an. Das vermag
kein Einzelner zur Zeit zu überfchauen. Es wird noch
lange dauern, bis wir für die Religions- und Sittengefchichte
in den Provinzen der Kaiferzeit eine Darftellung erhalten,
die fich neben dem 5. Bande der Römifchen Gefchichte
Momrnfen's fehen laffen darf.

Berlin. A. Harnack.

Sickenberger, D. Jofeph, Die Lukaskatene des Niketas von
Herakleia unterfucht. (Texte und Unterfuchungen zur
Gefchichte der altchrifUichen Literatur. Herausgegeben
von O. von Gebhardt und A. Harnack. Neue Folge.
Siebenter Band, Heft 4.) Leipzig 1902, J. C. Hin-
richs'fche Buchh. (VIII, 118 S. gr. 8.) M. 4.— j

In der vorliegenden Arbeit führt S. eine bereits 1898 l
in der Rom. Quartalfchrift begonnene Vorfludie zu feinem
Titus von Boftra (f. Theol. Litztg. 1902, Nr. 3) weiter:
mit Freude bemerkt man, wie durch eifrige Mehrung des
Materials und tieferes Pundringen in den Stoff überall
beftimmtere Refultate gewonnen werden konnten, der
Lohn jeder gründlichen Arbeit. F.s handelt fich um eine
Katene zu dem Lukasevangelium, die, noch nie voll-
ftändig edirt, aber oft unter dem Namen des Niketas
von Serrae erwähnt, grofse Bedeutung für die Patrifiik
hat. Denn der am Ende des Ii. Jahrh. lebende Verfaffer
unterfcheidet fich, wie S. nachweift, dadurch vortheilhaft
von feinen Vorgängern, dafs er, felbft ein tüchtiger Exeget,
fich bemüht, überall auf die Quellen zurückzugehen, wobei
ihm feine Stellung als Diakon und Lehrer an der Sophienkirche
in Konftantinopel fehr zu ftatten kam; fo giebt er
die etwa 3300 Excerpte aus alten Exegeten möglichft
wörtlich, nicht in der kürzenden Paraphraflenmanier der
Früheren. Dazu kommt, dafs feine Arbeit uns hand- |
fchriftlich fehr gut überliefert ift, fodafs grofser Verlafs !
auf die Texte ift.

Sickenberger theilt die Studie in neben Abfchnitte:
der 1. behandelt den Autor, der 2. die directe, der 3. die
indirecte Ueberlieferung des Werkes, der 4. die bisherigen
(Theil-)Ausgaben. 5 bis 7 dringen in das Werk felbft ein,
indem fie die Arbeitsweife des Verf., die von ihm be- j
nutzten Autoren (in chronologifcher Ordnung) behandeln
und fchliefslich drei längere Proben geben. Sorgfältige
Sach- und Handfchriftenregifter fchliefsen das Ganze.

An dem erften Theil ift aufser Mittheilungen über die
Correfpondenz des Niketas mit Theophylakt und einem j
anderen Niketas Stethatos befonders hervorzuheben der |
Nachweis, dafs die herkömmliche, bisher auch von S.
felbft vertretene Behauptung, Niketas fei Bifchof von
Serrai gewefen, auf einem Mifsverftändnifs beruht. Er
war erft Diakon und Lehrer an der Sophienkirche, dann
Metropolit von Herakleia. In beiden Stellungen wird er
b rov 2eqq(Öv genannt, nicht o 2?tQQcöv, was allerdings
Bifchof von Serrai, kaumaus Serrai gebürtig (d ix StQQmv) j
hiefse. Jene Formel aber mufs nach Angabe eines cod.
Athen. 1379 und einer flavifchen Ueberfetzung, _ fowie
nach Analogie eines Manuel Mofchopulos avtipibq rov
KontTjc, als Neffe des Bifchofsvon Serrai aufgelöft werden.
Ref. findet den Beweis durchaus einleuchtend, und möchte
auf die Bedeutung desfelben nach zwei Seiten aufmerk- J
fam machen: der NTliche Exeget kann hier wieder einmal
fehen, dafs folche Genitive nicht nur das Kindfchafts-
verhältnifs bezeichnen. Für den Byzantiniften aber knüpfen
fich allerlei Betrachtungen über das Aufkommen von
Familiennamen nicht vor dem 13. Jahrh. und vielleicht
auch über Nepotismus an diefe Formel d rov Usqqcöv.

In dem zweiten Theil weift S. nach, dafs die Ueberlieferung
in drei deutlich gefchiedene Claffen zerfällt: die
Urfchrift der einen, als italienifch zu bezeichnenden ift
in Vat. gr. 1611 v. J. 1116 erhalten; die der anderen,

durch Interpolationen aus Hefych von Jerufalem gekennzeichneten
Gruppe in den zufammengehörigen Codices
Jiviron 371 und Const. metoch. s. sepulch. 466; da-
zwifchen fleht eine byzantinifche Gruppe, deren Hand-
fchriften immer nur Theile des umfangreichen Werkes
enthalten. Auf Byzanz geht übrigens auch die erfte
Gruppe direct zurück; denn Vat. gr. 1611 ift, wie S. nachweift
, von dem Gründer des berühmten Patirklofters,
dem h. Bartholomaeus, aus Konftantinopel mit nach
Kalabrien gebracht worden Zu der vortrefflichen Be-
fchreibung diefer wichtigen Handfchrift, fpeciell zu der
S. 36 ff. abgedruckten intereffanten liturgifchen Notiz
darf Ref. mittheilen, dafs er foeben in Gemeinfchaft mit
Herrn Director Dr. K.K. Müller in einer durch den Enkel
Goethe in Italien erworbenen und der Univerfitätsbiblio-
thek zu Jena vermachten Handfchrift das Typikon des
von dem h. Bartholomaeus gegründeten Klofters der
Nta OörjyrjXQLa erkannt hat, welches nicht nur über die
dortige Gottesdienft-, Feft- und Faften-Ordnung genauen
Aufichlufs giebt, fondern auch ein mit genauen Er-
werbungsdatirungen verfehenes Reliquienverzeichnifs enthält
. Leider bin ich augenblicklich nicht in der Lage,
jene Notiz mit diefem Typikon zu vergleichen, behalte
mir aber eine gründliche Unterfuchung diefes für die
Kloftergefchichte Kalabriens wichtigen Dokumentes vor.

Sickenberger betont bei der Anlage der Katene,
dafs ihr ein eigentlicher Fundus, d. h. ein durchweg befolgter
Commentar, in den nur andere Stücke einge-
fchoben werden, fehle. Nur die Homilien des Cyrill
und die des Chryfoftomus, jene 575, diefe 877mal citirt,
können als Quafi-Fundus gelten. Den Zufammenhang
hat Niketas felbft hergeftellt und hierbei auch eigene exe-
getifche Arbeit geliefert. Dies mufs bei Abgrenzung der
Citate forgfältig beachtet werden, wie S. 79 an einem
Scholion aus Dionyfios von Alexandrien gegen Harnack,
LG 1 422 darthut. Manche der älteften Autoren find
allerdings wohl durch Vermittelung von F'lorilegien benutzt
. Als jüngfte Autoren erfcheinen der Metaphraft
und Joh. Geometres. Bemerkenswerth ift, dafs die Fragmente
zweier Lateiner, Cyprian und Silvefter, in ihren
Werken nicht zu identificiren waren. Sie find dem Orient
bekannt durch die chriftliche Romanliteratur, in deren
zahlreichen Geftalten man auch diefe Stücke ficherlich
noch auffinden wird.

Die ganze Studie kennzeichnet in erfreulicher Weife
den grofsen Fortfehritt der hiftorifchen Methode gegenüber
der Art, wie folche Probleme noch vor 50 Jahren
z. B. durch A. Mai in Angriff genommen wurden. Statt
der Zerfplitterung in Einzelheiten Eingehen auf das
Ganze, ftatt bequemen Ausbeutens des gerade zur Hand
befindlichen Materiales gründliches Ausfchöpfen alles Zugänglichen
. Dadurch wächft nicht nur das Zutrauen zu
der Sicherheit der Refultate; diefe felbft gewinnen auch
erft an Beftimmtheit und Klarheit. Möchte der Verf.
in gleicher Weife uns noch weitere Katenen bekannt
machen. Die Gefchichte der Exegefe fogut als die Patrifiik
bedürfen noch fehr folcher Vorarbeiten.

z. Z. Lindenfels i. O. von Dobfchütz.

Kujot, Stanislaus, Visitationes archidiaconatus Pomeraniae
Hieronymo Rozraz'ewski Vladislaviensi et Pomeraniae Epi-
scopo factae. (TowarzystwoNaukowe w Toruniu. Socit-
tas literaria Torunensis. Fontes I—III.) Toruni 1897—99.
Typis S. Buszczyi'iski. (XXXII, 656 S. 8.) M. 12.—

Im Auftrage einer polnifchen literarifchen Gefellfchaft
von einem katholifchen Geiftlichen herausgegeben, ift das
vorliegende Buch doch ein folches, dafs auch der evan-
gelifche Forfcher es mit lebhafter Freude begrüfsen
wird, zumal es einem Gebiete der Kirchengefchichte zugute
kommt, das bisher faft eine terra i?icognita war.

Das Archidiakonat Pommerellen umfafste das zwifchen