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Ausgabe:

1902 Nr. 23

Spalte:

628-629

Titel/Untertitel:

Die Verhandlungen des Dreizehnten Evangelisch-sozialen Kongresses 1902

Rezensent:

Hummel, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 23.

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feitige Entfaltung der übernatürlichen Religion in ihrer i
inneren und äufseren Kraft und Fülle.

Diefe grundlegende Erörterung beftimmt die weitere j
Gliederung des Buches und es folgt als zweiter Abfchnitt
der,Offenbarungsphilofophie': ,Das Wunder als Kriterium'
mit Ausführungen über die Möglichkeit, Erkennbarkeit,
Beweiskraft, Zweckmäfsigkeit und Idee des Wunders; als
dritter: ,Die Weisfagung als Kriterium' im Sinne einer
,Verkündigung der göttlichen Wahrheit mit gotterleuchtetem
und gottentzündetem Geifte, mit göttlicher Gedanken
- und Liebeskraft'; endlich als vierter Abfchnitt:
,Das Geheimnis der übernatürlichen Weisheit und Heiligkeit
'. Ein kurzer Anhang bringt noch ,Theologifche Probleme
und Darftellungen' in Bezug auf fpeculative Erörterungen
mit P. Chriftian Pefch S. J., P. Janfenns O. S. B., j
Dr. Gloffner und Dr. Braun, und ,Religionsphilofophifche j
Grundfätze' gegen E. v. Hartmann, A. Drews, Fr. Paulfen,
G. Spicker und E. Häckel.

Heidelberg. Th. Elfenhans.

Sägmüller, Prof. Dr.J.B., Lehrbuch des katholischen Kirchen- ]
rechts. Zweiter Teil. Die Verfaffung der Kirche. Frei- ;
bürg i.B. 1902, Herder (V u. S. 145—400 gr. 8.) M.3.50 !

Der vorliegende zweite Theil des Sägmüller'fchen
Lehrbuches hat die Verfaffung der Kirche zum Gegen-
ftande. Er zerfällt in vier Abfchnitte. Von diefen be-
fchäftigt fich der erfte mit dem Klerus. Der zweite
Abfchnitt handelt unter der Ueberfchrift ,Das Kirchenamt
' namentlich von der Errichtung, Veränderung, Be- i
fetzung und Erledigung der Kirchenämter. Dabei wird 1
dem Patronatrechte eine eingehende Betrachtung gewidmet
. Im dritten Abfchnitte werden dann die einzelnen
Kirchenämter einer gründlichen Erörterung unterzogen
und endlich im vierten Abfchnitte wird von den
Synoden gehandelt.

Die bei Befprechung des erften Theiles hervorgehobenen
Vorzüge treffen auch beim zweiten in vollem
Maafse zu. Auch diefer ift äufserfl forgfältig und in
durchaus wiffenfchaftlicher Weife gearbeitet, berückfichtigt
die hiftorifche Entwickelung und macht umfaffende Literaturangaben
. Der Anführung (S. 163), dafs die Theologie
im engften Contact mit den anderen Wiffenfchaften
bleiben mufs und daher an den Univerfitäten nicht fehlen
darf, ift durchaus zuzuftimmen. Auch gegen den vom
Verf. neben dem Univerfitätsftudium geforderten Befuch
von Seminarien ift nichts einzuwenden, fofern diefe richtig
geleitet werden. Wenn im Uebrigen fich einzelne kleinere
Verfehen finden, fo thun diefelben doch dem Werthe des
Ganzen keinen Abbruch. Um einige Punkte hervorzuheben
, fo hat Verf. nicht berückfichtigt, dafs durch
Reichsgefetz vom 17. Mai 1898 die Civilprocefsordnung
fehr ausgedehnte Aenderungen erfahren hat; die von ihm
S. 190 und 193 citirten §§ 791, 749 Nr. 8 und 715 Nr. 6,
7, 10 entfprechen den §§910, 850 Nr. 8 und 811 Nr. 7, 8, 10
der neuen Faffung. S. 187, Anm. 19 hätte neben § 196
Reichsftrafgefetzbuch doch vor Allem auch § 167 angeführt
werden müffen. S. 285, Anm. 1 war ftatt Art. 64
des Einf.-Gef. zum B.G.B. Art. 63 zu citiren. Wenn
ferner S. 257, Anm. 7 behauptet wird, dafs auf der von
den altpreufsifchen Capiteln vor der Bifchofswahl einge- j
reichten Candidatenlifte mindeftens drei Candidaten ftehen
bleiben müffen, fo entbehrt diefe Behauptung im Hinblick
auf den klaren Wortlaut des Breve ,Quod de fidelium'
jeder inneren Berechtigung.

Den Ausführungen über die heutige Anwendbarkeit
des Privilegium fori in Civilfachen und die dem Bifchof
zu Gebote fliehenden Zwangsmittel (S. 190) vermag ich
nicht zuzuftimmen. Des Weiteren kann ich mich dem
Standpunkte nicht anfchliefsen, die Verfuche zur Be-
feitigung des Cölibats fchlechthin als ,traurige' zu bezeichnen
(S. 206), vertrete vielmehr nach wie vor die |

Auffaffung, dafs die Aufhebung des, wie Verf. auch zu-
giebt, nicht auf jus divinum beruhenden Cölibats die
berechtigten Intereffen der Kirche in keiner Weife fchä-
digen, wohl aber einen grofsen Theil der Kleriker einem
friedlichen Familienleben zuführen würde, das fie an der
freudigen Erfüllung ihrer Pflichten ficher nicht hindern
dürfte. Zum Schlufs möchte ich noch bemerken, dafs
Verf., der felbftverfländlich das Episkopalfyflem verwirft
und fich im Anfchlufs an das Vaticanum für das Papal-
fyftem entfcheidet, wenn er auch die Auffaffung von
Gregor VII. und feinen Nachfolgern nicht ganz theilt,
den Satz vertritt, dafs in den allgemeinen Concilien zwar
die Majorität entfcheidet, dafs aber, wenn der Papft dem
Befchlufs der Minorität beitritt, diefe obfiegt und als
sanior gilt (S. 392). Damit fpricht er dem Concil jeden
Reft von Bedeutung ab, der ihm feit dem Vaticanum
etwa noch innewohnen könnte.

Kiel. Frantz.

Die Verhandlungen des Dreizehnten Evangelisch-sozialen Kongresses
, abgehalten in Dortmund vom 21. bis 23. Mai 1902.
Nach dem ftenographifchen Protokoll. Göttingen 1902,
Vandenhoeck & Ruprecht. (III, 160 S. gr. 8.) M. 2.—

(Enhält: Harnack, Prof. Dr. Adolf, Die fittliche und foziale Bedeutung
des modernen Bildungsftrebens. — Schubring, Lic. Dr.,
und Dr. von Erdberg, Kund und Volk. — Pohle, Prof. Dr. L.,
Urfachen und foziale Wirkungen der modernen Induftrie- uud Handelskrifen
.)

Vor einem halben Jahrhundert rief einer der deutfche-
ften Männer,Hundeshagen (,Der deutfche Proteftantismus'):
,Es ift nicht gut, wenn ein Volk, das alle Bedingungen
einer umfaffenderen Entwicklung in fich trägt, auf eine
ausfchliefslich literärifche Exiftenz zurückgedrängt wird'.
Seitdem ift vieles anders geworden. Der Entwicklungsgang
unferes Volkes ift äufserlich und innerlich in die
Höhe gegangen. Daran aber, dafs die grofsen Volksund
Menfchheitsfragen nicht eben doctrinär fondern im
Licht evangelifcher Wahrheit und Sittlichkeit angefehen
und behandelt werden, arbeitet unter den erften der Ev.-
foz. Congrefs. Das ift der fichere Eindruck nach Durchleben
des Berichts. Prof. D. Harnack fprach über ,die
fittliche und fociale Bedeutung des modernen Bildungsftrebens
'. Ungemein fein hat er das moderne Bildungs-
ftreben in feiner Richtung auf Erkenntnifs des Wirklichen,
auf Gewinnung wirthfchaftlicher Selbfländigkeit fowie
auf Steigerung des Lebensgefühls und des Antheils am
Leben, aber auch die Gefahren der Halbbildung, der Gleichmacherei
und der Vernachläffigung fittlicher Charakterbildung
gekennzeichnet. Nachdrücklich forderte er die Darbietung
einer gefchloffenen fittlich-religiöfen Weltanfchau-
ung. Wirklich und folgerichtig: die theologifche Wiffen-
fchaft foll, in Würdigung der Lebenslage und Lebensaufgabe
der einzelnen, wefentlich auf die Probleme eingehen
, welche den modernen Menfchen befchäftigen: Die
natürliche Caufalität und der lebendige Gott; das Uebel
und der barmherzige Gott u. a. m.l Hier liegen Aufgaben
für die ,Bildung' und — für die Theologie.

Ueber ,Kunft und Volk' redeten Lic. Dr. Schubring
und Dr. von Erdberg warm und gediegen. Dafs das
tiefe Empfinden und die finnige Phantafie des deutfchen
Volkes mit der vollen lebendigen Anfchauung in innigeren
Zufammenhang gebracht und dafs die Pflege der Kunft
ein Symbol innerlicher Volksgemeinfchaft werde, ift ein
fchönes, aber hohes Ziel.

Profeffor Dr. Pohle gab über ,Urfachen und fociale
Wirkungen der modernen Induftrie und Handelskrifen'
fehr beachtenswerte Ausführungen, auf welche Nationalökonomen
und Staatsmänner merken werden. Die Kundigen
müffen auch ermeffen, wie hier in breitem Strom
,die angewandte Ethik' einfliefst. Denn die Gefetzgebung
kann nicht alles thun. Das Heil liegt in dem fittlichen