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Ausgabe:

1902 Nr. 2

Spalte:

39-41

Autor/Hrsg.:

Selwyn, Edw. Carus

Titel/Untertitel:

The Christian Prophets and the Prophetic Apocalypse 1902

Rezensent:

Weinel, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 2.

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nifche Heiligthümer gefperrt waren, ebenfo das Tempelareal
. Kann man daher auch dem jetzt als Dormitio
Mariae bezeichneten Grundftück nicht eine ganz aufser-
ordentliche Wichtigkeit zuerkennen, fo liegt doch über
jenem ganzen Platze, zu dem das Coenaculum gehört,
auch im Sinne der Wiffenfchaft eine hiftorifche Weihe.

Zürich. K. B"urrer.

Keller, Adolf, Eine Sinai-Fahrt. Mit zahlreichen Abbildungen
nach Originalaufnahmen und einer Karte
der Sinaihalbinfel. Frauenfeld 1901, J. Huber. (X,
170 S. 8.) M. 3.20

Die Schrift Keller's beanfprucht nicht die wiffenfchaft-
liche Kenntnifs der Sinaihalbinfel zu mehren; aber fie giebt
in fehr anmuthiger Darftellung die Reifeeindrücke eines
jungen Gelehrten wieder, der mit den Sitten und Gebräuchen
des arabifchen Volkes vertraut und der Landes-
fprache kundig war. Es war ihm nicht darum zu thun,
durch Verarbeitung deffen, was andere gefehen und er-
forfcht, ein dickes Buch zu fchreiben, fondern er beflifs
fich, feine eigenen felbftändigen Beobachtungen in wohl-
thuender Schlichtheit mitzutheilen. Aus dem Leben der
Beduinen weifs er viel Belehrendes zu erzählen; befon-
ders gelungen find ihm die Landfchaftsbilder, indem er
nicht nur ein klares Auge, fondern auch ein warmes
Naturgefühl befitzt und darum die Seele der Landfchaft
zu deuten weifs. Dafs Israel eine Zeit lang im Hochlande
des Sinai wohnte, fteht ihm fett, auch weift er im
Gegenfatze zu Ebers nach, dafs die ältefte chriftliche
Tradition den Djebel Müsa für den Berg der Gefetz-
gebung gehalten hat. So liegt nach ihm über dem Sinaigebirge
der Reiz einer ehrwürdigen gefchichtlichen Erinnerung
. Streng Wiffenfchaftliches giebt der Verfaffer
nur als Beigabe. Hier wäre manches einzuwenden, namentlich
vermiffen wir die Berückfichtigung des fehr
intereffanten Berichtes der Silvia vom Jahre 383. Doch
thun diefe kleinen Gebrechen dem Werthe des Ganzen
keinen Eintrag.

Zürich. K. Furrer.

Selwyn, Edw. Carus, D. D., The Christian Prophets and the
Prophetic Apocalypse. London 1900, Macmillan & Co.
(XVI, 277 S. 8.)

Wer nach dem Titel vermuthet, eine Schrift zur Ge-
fchichte des chriftlichen Lebens vor fich zu haben, die
von einer gründlichen Erforfchung der Prophetie aus neue
Gefichtspunkte zur Beurtheilung der Apokalypfe des
Johannes bieten könnte, wird, wie Ref., ziemlich enttäufcht
fein. Zwar wird im erften, dritten und fiebenten Capitel
der Verfuch gemacht, einen kurzen Abrifs der Gefchichte
der Prophetie von Paulus bis Tertullian zu geben (S. 1—25),
den prophetifchen Charakter der Apokalypfe des Johannes
zu ermitteln (S. 51—56) und andere Propheten in anderen
apoftolifchen Schriften zu beobachten (S. 146—182). Aber
alles, was uns da geboten wird, ift dürftig und zum
grofsen Theile fchief, denn es fteht zumeift unter literar-
kritifchem Gefichtspunkte, wie z. B. die ganze Betrachtung
des Montanismus in eine neue Datirung feines Auftretens
(ca. 140!) hinausläuft. In allen anderen Theilen ift dieLite-
rarkritik der herrfchende Gefichtspunkt. Und fo haben
wir denn hier eine neue Behandlung der johanneifchen
Ffagei gefchrieben front the Standpoint of reverent com-
monsense' (S. X) mit jener naiven Zuverficht, die auch im
Urchriftenthum das Gras wachfen hören zu können glaubt,
dem Standpunkte der Leute, who are not content to sit
down with folded hands in front of a difficulty (S. 200),
fondern Löfungen für alles haben. Ramfay und Zahn,
Weftcott und Lightfoot, dazu ein wenig Harnack, das
find die Elemente der Mifchung; die Methode ift eine
Exegefe, die alles vermag, alles überwindet. So mufs das

[ Muratorifche Fragment fich nicht nur einige neue Schreib-
[ fehler gefallen laffen, fondern auch folgende Ueberfetzung:
,Das Vierte der Evangelien. Es flammt von den Schülern
des Johannes. Während die Mitjünger (das ift die Propheten
) und feine Bifchöfe ihre Ermahnungsreden hielten,
fügte (einer): Faftet mit mir drei Tage!' u. f. w. (S. 244).
Die Einfchiebung des quis hinter suis ift nämlich nöthig,
weil Johannes damals bereits tot war, wie der Verf. genau
weifs. Er weifs aber noch viel mehr.

Die Apokalypfe ift von dem Presbyter Johannes gefchrieben
, der fich Presbyter nannte, weil er Mitglied des
Synedriums zujerufalem war. Daher auch die 24Äelteften
in der Apokalypfe (S. 129), daher all die Anfpielungen auf
Gerichtsfcenen im Himmel (S. 129—133). Diefer Johannes
nun lebte fpäter als Chrift in Kleinafien, fchrieb ca. 68—70
feine Apokalypfe und zwar zuerft Cap. 4—21, wurde deshalb
von Kaifer nach Patmos verbannt, wo er Cap. 1—3
j zufetzte und fonft noch kleine Ueberarbeitungen feines
j Buches vornahm (S. 125, 184—195). Die Zahl 666 bedeutet
iDp JTO, die defective Schreibung wird erklärt mit
der Abficht des Schriftftellers, eine möglichft feltfame
Zahl zu ftand zu bringen, wobei naiver Weife zugeftanden
wird, dafs 777 eigentlich noch beffer gewefen fei; aber
666 fteht ja der Zahl 777 fo nahe! (S.211). Der Evangelift
| und Apoftel Johannes ift ein ganz anderer Mann gewefen,
1 alle Anklänge des Elvangelums an die Apokalypfe find nur
fcheinbar (Cap. V), die Ueberlieferung erft hat beide
1 Männer zufammengeworfen (Cap. IX), während der Apoftel
überhaupt nur auf einer Reife nach Kleinafien gekommen
ift und fonft (vgl. öiazQißojv Iren. III 11, S. 239) in Alexandrien
lebte, wo er vom Alexandrinismus beeinflufst wurde.

Doch genug mit allen diefe Einfällen eines Mannes,
der der complicirten Fragen, die er angefchnitten hat,
unmöglich Herr werden konnte. Für die Erklärung der
Apokalypfe hat er n. m. A. nichts geleiftet. Weder hat
er die literarkritifche Arbeit gefördert, noch die rcligions-
gefchichtliche. Er kennt ja auch weder Gunkel's
Schöpfung und Chaos noch Bouffet's Commentar, wohl
deffen Antichrift, wahrfcheinlich, weil diefes Buch ins
Englifche überfetzt ift. Ebenfo kennt er auch weder
Gunkel's noch meine Arbeit über den Geift. Was er
über Propheten fagt, ift darum unlebendig und zufammen-
gerafft, mitunter auch künftlich aufgebaufcht. So weifs er,
! dafs Barnabas das Johannesevangelium kennt, und dafs
| feine Abficht war, ,dieGemüther der Propheten und prophetifchen
Gemeinfchaften zu disponiren für die Aufnahme
desfelben". (S. 256). Bekanntlich ift Barnabas nicht Prophet,
j fondern Lehrer (vgl. 9;)). Ebenfo findet der Verf. es höchft
I bemerkenswert!), dafs die Kirche aufser der Apokalypfe
i gerade die 4 anderen prophetifchen Bücher des NT's habe
verwerfen wollen, nämlich 2. und 3. Joh., 2. Petr. und Jud.
(S. 154). Warum diefe Schriften nun gerade ,prophe-
tifch' fein follen, und wenn fie, weshalb nicht auch andere,
verlieht niemand; denn der Verfuch, einzelne urchriftliche
Worte wie ,Herzenskündiger', ,Glaube der Heiligen' u. f. w.
als ,prophetifch' zu recognofciren, kann doch nicht im
Ernfte gemacht werden. Auf feiner Grundlage werden
auch die echten Reden des Petrus und Jakobus als
,prophetifch' nachgewiefen (S. 176fr.). Und ferner, was
die Kanonsgefchichte anbelangt: weshalb ift denn der episkopale
' und ,antiprophetifche' Clemens aus dem Kanon
wieder entfernt worden?

Die Unterfuchungen über das Verhältnifs der Apokalypfe
zum AT find ganz werthvoll, zumal die allerdings
| nicht ganz einwandfreie Statiftik S. 57 ff; aber die Beziehungen
zu anderen Apokalypfen find entweder fehr
i oberflächlich behandelt — meift wird uns nur die neuerworbene
Weisheit des Vf. über Abfaffungszeit u. f. w.
vorgetragen — oder künftlich aufgebaufcht, fo wenn behauptet
wird, IV Esr. fei die jüdifche Antwort' auf die
j chriftliche Apokalypfe (S. 75).

Mit einem Worte: Bei allem Fleifse und redlichem
Bemühen treten dem Verf. für ein wirkliches Erfaffen