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Ausgabe:

1902

Spalte:

611-612

Autor/Hrsg.:

Weizsäcker, Carl

Titel/Untertitel:

Untersuchungen über die evangelische Geschichte, ihre Quellen und der Gang ihrer Entwicklung 1902

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 23.

612

fei, um dort den Befehl und Ruf Gottes abzuwarten j fraglos. Uns erfcheint die vorfichtige Haltung, welche
(S. 72). Andererfeits wird er von feiner That an Uria die Unterfuchungen in gewiffen gefchichtlichen Grund-
nfofern reingewafchen, als Bathfeba es gewefen fein foll, j fragen des Lebens Jefu einnehmen, noch heute angezeigt

die ihm den Gedanken dazu fuggerirt hätte (S. 81). Ueber
haupt wundere ich mich, was der Verf. Alles zwifchen
den Zeilen aus feinem Bibeltext herauszulefen vermag

Wir find nicht ficher, dafs die vorgerückteren Pofitionen,
welche ,das Apoftolifche Zeitalter' aufweift, allefammt
als wirkliche Verbefferungen, als definitive Errungen-

Woher weifs er z. B., dafs Ifebel es ift, welche für König fchaften der Kritik angefehen werden können. Nament-
Ahasja Baal Sebub befragen läfst (S. 107)? Und vollends j lieh dürfte auf dem Punkte, wo die Leben Jefu-Forfchung
die Karmelfcene: Elia fleht zu Jahve um Gewitter und | in unferen Tagen angelangt ift, wieder an das erinnert
Blitz, und unverzüglich bedeckt fich der Himmel mit | werden, was W. felbft in dem meifterhaften Vorwort
dunkeln Wolken, fo fehr, dafs unter folchem Eindruck i der Unterfuchungen fo nachdrücklich hervorhebt: dafs
die Menge, ohne das Feuer vom Himmel abzuwarten, j zwar die gefchichtlichen Fragen des Lebens Jefu ohne
proclamirt, Jahwe fei Gott, nicht Baal! (S. 103). — Natür- j gründliche Quellenkritik nicht gedeihlich erörtert werden
lieh gilt Mefa's Opfer nicht Moloch fondern Kamos können, dafs aber auch die Evangelienkritik an ent-
(S. 113). fcheidenden Punkten mit der Anficht, die wir von Jefus

Unter folchen Umfiänden nimmt fich, was der Verf. haben, zufammenhängt. Einft mufste Straufs und feiner
von kritifcher Theologie gelernt hat, in feiner Reproduction vorgefafsten Meinung von der Perfon Jefu die Nothaus
wie neue Lappen auf ein altes Kleid. Ich leugne I wendigkeit methodifcher Quellenforfchung entgegenge-
nicht: er hat wirklich gelernt (vgl. z. B. nur feine Wieder- j halten werden. Heute dürfte fich einer weitgehenden
gäbe des charakteriftifchen Gedankens der Propheten 1 quellenkritifchen Skepfis als ein fefter Damm entgegen-
S. 120 A). Aber er ift allzu treulich bei jenen alten ftellen das .nothwendige' Lebensbild Jefu, das fich alle-
Deuteronomiften in die Schule gegangen, welche Ge- j zeit durch die dichteften Nebel der Kritik hindurch-
fchichte nun einmal nicht anders zu fchreiben vermochten | ringt.

als fo, wie fie nach ihrer eigenen religiöfen Auffaffung
hätte verlaufen müffen. Indeffen, es liegt mir gänzlich
fern, den guten Willen, der fich hinter folcher Auffaffung
birgt, auch nur im Geringflen fchmähen zu wollen.

Bafel. Alfred Bertholet.

Weizsäcker, Carl, Untersuchungen über die evangelische
Geschichte, ihre Quellen und den Gang ihrer Entwicklung.

Zweite Auflage. Tübingen 1901, J. C. B. Mohr.
(XIV, 378 S. Lex. 8.) M. 7.— ; geb. M. 8.—

Es giebt Werke, die fich fchon allein durch den
Namen ihres Verfaffers empfehlen. Dahin gehört ent

Giefsen. Baldenfperger.

Rainy, Robert, D. D., The ancient Catholic Church from
the accession of Trajan to the fourth General Council
[A. D. 98—451]. (International Theological Library
edited by S. D. F. Salmond and Ch. A. Briggs.)
Edinburgh 1902, T. & T. Clark. (XII, 539 S. gr. 8.)

12 Sh.

Die International Theological Library ift auch uns
Deutfchen kein Fremdling. Erft vor wenigen Jahren er-
fchien darin McGiffert's vortreffliche History of Cliri-
stianity in the Apostolic Age. Auch von Rainy's Dar-

fchieden alles, was aus der Feder Weizsäckers gefloffen | ftellung der alten katholifchen Kirche läfst fich viel

ift. Die vorliegenden Unterfuchungen, welche vor bei- Gutes fagen. Jedenfalls hat der Verf. fein Ziel, ,die

nahe vierzig Jahren zuerft in die Welt ausgingen, er- i vielgeftaltigen Einzelheiten, die der Studierende braucht,

Rheinen jetzt nach dem Tode ihres Verfaffers in neuer j nach Gefichtspunkten und Methoden fo zu verarbeiten,

Auflage. Die Solidität der Arbeit, die Rolle, welche fie | dafs das Buch lesbar bleibt', vollkommen erreicht. Er

in der neueren Evangelien- und Leben Jefu-Forfchung theilt feinen Stoff in die drei grofsen Abfchnitte: 98 bis

gefpielt hat, rechtfertigen diefes Nachleben des grofsen 180, 180—313, 313—451. Die Capitel des erften AbTheologen
unter uns vollauf. ,Ihre Werke folgen ihnen
nach'. Eigentlich ift das Auffallende nicht das, dafs die
,Unterfuchungen' jetzt noch von neuem aufgelegt werden,

fchnittes: Das Milieu — Die Gemeinden — Kirchliches
Leben — Glaube und Heilthümer — Die Apologeten —
Die Härefien — Der Montanismus, bringen das Wefent-

fondern dafs diefe 2. Auflage fo lange auf fich warten liehe gut und mit felbftftändiger Kritik des durch die

liefs. Denn die Aufftellungen des Verfaffers, befonders j Vorgänger Erarbeiteten (vgl. die Auseinanderfetzungen

infofern fie fich auf das fynoptifche Problem beziehen, mit Harnack) zum Ausdruck. Allerdings vermiffe ich

find heute noch keineswegs veraltet. Unter fo vielen am Schluffe diefes Abfchnittes ein Capitel, das uns die

gediegenen Werken, welche fich feitdem mit diefem eigentliche Entftehung der katholifchen Kirche um 180

Gegenftand befafst haben, wird man kaum ein zweites
finden, das in fo lichtvoller, ruhig abwägender Darfteilung
damit vertraut macht. Das Abgeklärte, das den
W.'fchen Schriften überhaupt eigen ift, läfst fie gerade
für das heutige, fieberhaft producirende theologifche
Gefchlecht als eine heilfame Leetüre erfcheinen. Man
wird diefen Charakter des Buches um fo mehr bewun-

auf Grund des bewufst gehandhabten Traditionsprincipes
und feiner Auswirkungen in Bekenntnifs, Schrift und
Amt verdeutlicht. Die wenigen Worte, die über diefes
Thema ganz am Schluffe des Buches — an vöilig un-
paffender Stelle ■— hinzugefügt worden find, können
nicht befriedigen. Die Eintheilung des zweiten Abfchnittes
bietet nichts Originelles. Im dritten Abfchnitt

dem, als der Verfaffer bei feiner Veröffentlichung mitten ift der Verf. an der Schwierigkeit, den Stoff für die
drin ftand in der lebhaften, von Renan, Holtzmann, j ganze Zeit einheitlich zu disponiren, m. E. gefcheitert.
Schenkel u. a. hervorgerufenen Bewegung. Wie gar anders ] Zum Beweis citire ich die Ueberfchriften der aufeinander
würden unter folchen Umftänden die heutigen Kritiker j folgenden Capitel: (24) Donatismus, (25) Kirchliche Per-
ihren fchnell errungenen perfönlichen Anflehten Luft ge
macht haben!

Der Inhalt der Unterfuchungen ift in völlig unver

fönlichkeiten des 4. Jh., (26) Heilige Zeiten und Handlungen
, (27) Kirchenzucht, (28) Auguftin, (29) Der Pela-
gianifche Streit, ein böfes pe-le-mele. Aber ich will keine
änderter Form wiedergegeben, das einzig richtige Ver- i billige Kritik üben; denn wenn ich mich auch fchon gefahren
, da der Verfaffer felber nicht mehr revidiren j trauen würde, es beffer zu machen, befriedigt hat mich
konnte. Um fo gröfsere Sorgfalt durfte auf die typo- | noch keine Dispofition, auch nicht die freilich fehr ernft
graphifche Correctheit verwendet werden. Die beige- j durchdachte und ernft zu nehmende in v. Schubert's
fügte lange Lifte von Druckfehlern ift nicht vollftändig. j jüngft erfchienener Darfteilung. Ganz falfch ift es, wenn
Dafs W. felber in einer neuen Bearbeitung Veranlaffung Rainy in dem Abfchnitt: .Untergeordnete Streitigkeiten'
zu manchen wichtigen Abänderungen gefunden hätte, ift (nämlich dogmatifche des 4. Jh.) auch den Apollinaris