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Ausgabe:

1902 Nr. 22

Spalte:

594-598

Autor/Hrsg.:

Tilemann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Speculum perfectionis und Legenda trium sociorum 1902

Rezensent:

Lempp, Eduard

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 22.

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dann aber aufgegeben: man wird durch jede neue Entdeckung
an dem irre, was zuletzt aus dem Nebel hervorzutreten
fchien. Und doch fchreitet die Arbeit voran.
Es ift, als ob fich die Methoden verfeinerten und die
Augen fchärften. Und diefe und jene Gegner Sabatier's
mögen noch fo leidenfchaftlich feine Arbeiten bekämpfen

mit einer gewiffen Wahrfcheinlichkeit gefagt werden kann,
dafs es in letzter Linie auf die Bemühungen des Generals
Michael von Cefena zurückgeht, der im Convent von
Avignon die alten, durch die Legende Bonaventura's verdrängten
Aufzeichnungen wiederbelebt hat. Aus feinen
Sammlungen haben zahlreiche nach Avignon gekommene

— und gewifs mag vieles darin fich nicht bewähren —, i Brüder abgefchrieben, hat wohl insbefondere auch ein
bewundernswürdig bleibt doch die Raftlofigkeit feines ungarifcher Bruder Fabian um 1322 diefe Actus gefam-
Suchens, die Unermüdlichkeit der Beobachtung und melt, die dann in zahlreichen Hff., gerade auch der oft-
Kritik, die auch die kleinlichften und fcheinbar ödeften deutfchen Länder, verbreitet worden find.
Analyfen nicht fcheut und die Dinge immer wieder von | Zu den Quellen diefer Legenda antiqua gehört nun
einer anderen Seite zu faffen fucht, wenn man an der | auch die Legeuda vctus, die Sabatier mit der ächten
erden nicht zum Ziele kommt. und vollfiändigen Legenda j sociorum identificiren

Der neue Band der Collection enthält die Actus S. möchte. Sieben Capitel der Legenda antiqua, deren Ab-

Franctsci et sociorum ejus primorum, die bisher nicht
veröffentlicht waren, wenn fie auch in den Erörterungen
über die Fioretti di San Francesco eine Rolle gefpielt

dammung aus diefer Legenda vctus er zu erweifen fucht,
druckt Sabatier in Nr. 3 aus der Liegnitzer Hf. ab. Zugleich
giebt er dann fehr eindringende Unterfuchungen

hatten, da fie deren Quelle oder lateinifches Original zur Gefchichte des Generals Crescentius a Jefi (1244—47
dardellen. Es find Uga^sig und Aöyia des h. Franz und j in deffen Regiment die Abfaffung der Legenda vetus fällt,
feiner erden und nächden jünger fowie einer bedimmten In einen ganz anderen Zufammenhang führen das

Gruppe aus etwas fpäterer Zeit, des Br. Johann von 1. und 4. Heft. In Nr. 1 veröffentlicht Sabatier aus
Alverna und der Zelatoren der Mark Ankona von der einer Hf. von Capidrano eine Regel des dritten Ordens,
Mitte bis zum Ende des 13. und Anfang des 14. Jhs. j die bisher unbekannt gewefen war und die er zwifchen

1228 und 1234 anfetzt. Mandonnet hat dann in Nr. 4
die Unterfuchung von neuem angefangen: er hält die
erden 12 Capitel für die Regel des h. Franz felbd und
unterfucht nun im Anfchlufs daran die Entwickelung
der Regeln wie der inneren Verfaffung des dritten
Ordens. Ich befinde mich hier mit beiden Gelehrten in
ziemlichem Widerfpruche, kann ihn aber hier nicht entwickeln
, fondern verweife auf eine Abhandlung, die im
4. Heft des 23. Bandes der Zeitfchrift für Kirchenge-

Was den Erzählungen ihren befonderen Werth giebt, id,
dafs auch hier wieder reichliche Ueberlieferungen vorliegen
, die befonders von Bruder Leo her durch eine
Anzahl mit Namen genannter Perfonen an den Verfaffer
gekommen find. Als folchen bezeichnet fich meid ein
Bruder Hugolinus de Monte S. Mariae (= Monte Giorgio).
Sabatier identificirt ihn — wie mir fcheint, etwas rafch —
mit dem Bruder Hugolin Brunforte, der zu den Freunden
Coeledin's V. gehörte und deffen Wahl zum Bifchof von

Teramo von Bonifaz VIII. caflirt worden id.— UeberdieZeit ; fchichte erfcheinen wird.

der Abfaffung läfst fich nicht viel genaues fagen: fie mufs
jedenfalls vor 1328 liegen, kann aber auch nicht fehr viel
älter fein, da Johann von Alverna, von dem viel erzählt
wird, wenigdens nach bisheriger Annahme, erd 1322 ge-
dorben ift; doch ift fein Tod nirgends vorausgefetzt.
Das Material der Actus ift natürlich fehr verfchieden

Breslau. Karl Müller.

Tilemann, Cand. theo]., Dr. phil. Heinrich, Speculum per-

fectionis und Legenda trium sociorum. Ein Beitrag zur

rr~* .. , , u r • r r 1 v? tu j j 1 Quellenkritik der Gelchichte des hl. kränz von Af ifi
ein Iheil hat noch feine urfprunghehe Prffche und das ~ . .

ächte Colorit der Gefchichte bewahrt. Anderes ift ganz Leipzig 1902, P. Eger. (151 S. gr. 8.) M. 3,

nach der Schablone gemacht, die die hagiographifche Paul Sabatier kann zufrieden fein: ein internationaler

Ueberlieferung überall anwendet: ftatt Züge perfönlichen und interconfeffioneller Wettftreit, wie feinesgleichen auf

Lebens einfache Mirakel. Sabatier felbd hat das kurz,
aber vortrefflich, gekennzeichnet. Indeffen Rheinen die
Actus fo, wie fie bisher vorlagen, nicht vollftändig zu
fein. Sie find das lateinifche Original der Fioretti: aber
diefe geben mehr, und auch in den Hff. find Anzeichen
dafür da, dafs die Actus noch mehr enthalten haben.

Sabatier's Ausgabe foll nur vorläufig fein. Sie baut
fich nur auf den beiden beften Hff. auf, einer Hf., die

dem Gebiete der Kirchengefchichtsfchreibung kaum vorgekommen
fein mag, hat fich an feine Franciscusforfch-
ungen und ihre Ergebnifse angeknüpft; kein Jahr, da
nicht neue Funde, neue Unterfuchungen, neue Hypothefen
auf diefem Gebiete veröffentlicht werden.

Zunächft handelt es fich um die Quellenfrage — ehe
fie gelöft, oder wenigdens annähernd klar gedellt ift, kann
man ja keinen weiteren Schritt thun — und hier hat fich

jetzt der evangelifch-theologifchen Facultät zu Paris ge- j der Streit der letzten Jahre immer mehr auf das Speculum
hört, und einer zweiten aus der Stadtbibliothek von Lüttich. perfectionis (= Spec.) und die Legende der drei Genoffen
Eine grofse Anzahl anderer wird befchrieben. Aber die (= 3 soc.) concentrirt. Auch T. hat in der vorliegenden
Aufgabe, aus ihnen und den ftarken Ueberarbeitungen, Schrift diefes Problem bearbeitet und hat meines Er

die fie enthalten, das urfprüngliche Werk herzuftellen,
wäre jetzt noch nicht zu erfüllen gewefen. Dafs der
Ausgabe ein ausgezeichnetes, ebenfo inhaltreiches wie
praktifch angelegtes Regider beigegeben id, verfteht fich
nach den letzten Bänden der Collection von felbd.

2. Die wachfende Ausdehnung feiner Funde und
Studien hat Sabatier veranlafst, der Collection mit ihren
gröfseren Texten und Unterfuchungen eine vierteljährliche
Zeitfchrift zur Seite zu dellen, in der kleinere, womöglich
einheitlich abgefchloffene Studien und Texte
veröffentlicht werden follen. Von diefen Opuscules de
critique historique befaffen fich die Hefte 2 und 3 gleich-

achtens einen fchon durch präcife Klarheit, aber auch
durch fcharffinnige Conjectur aufserordentlich werthvollen
Beitrag zur Quellenkritik der Gefchichte des h. PTanz
geliefert.

T. giebt zunächft eine Darftellung der Anficht, die
Sabatier über das Speculum aufgeftellt hat, zeigt die
Schwierigkeiten, die fich diefer Auffaffung entgegendellen,
befpricht fodann die Stellung des Speculum in der
franziskanifchen Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts:
Die 1. Vita des Thomas von Celano (= 1 Cel.) könne
nicht als eine Antwort auf das Speculum angefehen werden
, die II. Vita Celano's (= 2 Cel.) gebe zweifellos eine

falls mit der grofsen Maffe der Ueberlieferung des Ordens | Ueberarbeitung der .^«^/«-Erzählungen, womit nicht
von feinem Stifter. Nr. 2 giebt die eingehende Analyfe j gefagt fei, dafs 2 Cel. das Speculum, fo wie es uns vor-
einer bedeutfamen Liegnitzer Hf. der Antiqua Legenda,J liegt, benützt habe. Bei den 3 soc. wird zuerft in forg-
jenes grofsen und fehr mannigfach verbreiteten Sammel- i fältiger Unterfuchung dargethan, dafs Sabatier gegenüber
werks, das die Actus B. Francisci in fich aufgenommen von van Ortroy und Minocchi recht habe, wenn er die
hat und von dem nunmehr nach Sabatiers Unterfuchungen vorliegende Legende (3 soc.) für ächt, aber unvollftändig