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Ausgabe:

1902 Nr. 22

Spalte:

588-590

Autor/Hrsg.:

Giesebrecht, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die alttestamentliche Schätzung des Gottesnamens und ihre religionsgeschichtliche Grundlage 1902

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 22.

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wiflen perfönlichen wiflenfchaftlichen Inftinctes. Schließlich
handelt es lieh ja um die Frage, wie weit der me-
taphorifche Sinn der genealogifchen Angaben atl. Bücher
auszudehnen ift; — denn dafs man ihn zuweilen anzu-
nehmen hat, leugnet natürlich auch König nicht (S. 37 f.).
Guthe hatte hier von ,Uebung und Gefühl' gefprochen,
dem vorbehalten bleiben müffe, dafs man nicht auf Nebenfachen
oder auf folche Züge, die nur durch die ab-
fichtliche Ordnung und Verbindung der einzelnen Gröfsen
zu einem Zufammenhang bedingt feien, ein falfches Ge-
wicht lege (vgl. S. 57). Ganz mit Unrecht bekrittelt j
König diefen Satz. Seine eigene Beweisführung ift für I
mein Gefühl hier völlig unzureichend. So macht er einen
m. E. gänzlich vergeblichen Verfuch, um die Künftlich-
keit der Zwölfzahl der Stämme herumzukommen. Am
Bedenklichften aber erfcheint mir ein Einwand wie der:
,Man mufs auch die Frage ftellen, ob eine ftammesge-
fchichtliche Deutung aller Einzelzüge derFamiliengefchich- j
ten Jakobs, Isaaks und Abrahams möglich wäre' (S. 57).
Als ob man den phantafiebegabten alten Erzählern der
Genefis gegenüber überhaupt eine folche Frage dürfte
aufkommen laffen!

Mit der Kritik diefer comparativiftifchen Methode !
hängt aufs Engfte zufammen die Abweifung des Perfo-
nificationsprineipes, das König in einem weitern Abfchnitt
(S. 59—69) behandelt. Guthe hatte fich in feiner Auf-
faffung der Perfonification ftammgefchichtlicher Beziehungen
auf das Vorgehen des Chroniften berufen. König
meint, dafs die Grundlage von I. Chr. 2, 18 ff. doch aus
überlieferten — Fragmenten von — wirklichen Genealogien
beftehe, und dafs nur am Schluffe Fälle von dem'
im Hebräifchen fo häufigen metaphorifchen Gebrauche
des Ausdrucks ,Söhne' angefügt feien (S. 62). Letzteres
ift eine gefährliche Conceffion! Und fchliefslich dürfte !
fich herausftellen, dafs es wieder ,Uebung und Gefühl'
ift, was die Einzelnen verfchieden urtheilen läfst. Unter |
folchen Umftänden weifs ich nicht, wie eine gegenfeitige
Verftändigung gelingen follte. Im fpeciellen Falle halte
ich aber, was König z. B. S. 61 über Ephrata ausführt,
als handle es fich nicht um den Ortsnamen, für recht
wenig überzeugend, und mit der Ermittelung des ur- 1
fprünglichen Wortlautes des Namens Abraham ift für
den Entfeheid darüber, ob wir es bei ihm mit einer einzelnen
gefchichtlichen Perfon oder mit einer Perfonification
zu thun haben, überhaupt nichts gewonnen.

Endlich handelt ein letzter Abfchnitt (S. 69—78)
über die poetifirende Methode der Kritik des Alten
Teftamentes. Er richtet fich namentlich gegen Gunkel's
Auffaffung der ,Sage' in feinem Genefiscommentar. Für
König bedeutet fie eine Verkennung der Objectivität
als des Grundcharakters der israelitifchen Religionsge-
fchichte. Es fei gerade der hervorftechendfte Charakterzug
der israelitifchen Religion in formaler Beziehung,
dafs fie behaupte, auf objectiver Grundlage zu ruhen (S. 77)
Das ift richtig, aber die ,Thatfache,' die ,objective Grundlage
', auf die immer wieder abgeheilt wird, ift die That
Mofes, nicht Abrahams, nicht Ifaaks noch Jakobs, und
darin fcheint mir fchon das Recht Gunkel's zu liegen,
der fich zunächft blofs mit dem in der Genefis Berichteten
befafst, während ich nicht finden kann, dafs König
diefem Unterfchiede gerecht würde, wenn er der That-
fache fo viel Wichtigkeit beimifst, dafs Israel in feinem
Gefchichtsbewufstfein überhaupt eine vormofaifche Periode
unterfchieden habe, wenn er allgemein fagt: ,Trotz
der überragenden Gröfse Mofes find auch Abraham und
Jakob als Anfänger der nationalen Exiftenz und der
religiöfen Miffion des israelitifchen Volkes anerkannt
worden' (S. 74). Im Uebrigen ift es doch wohl ein
wenig ein Streit um Worte, wenn König fich dagegen
ereifert, dafs Gunkel die .Sage' zu den ,Dichtungsarten'
zählt, dafs fie ihm fo viel ift wie ,poetifche Erzählung',
während er andererfeits doch wieder ausdrücklich gefagt
hat: ,Sage ift keine Lüge'. — Somit ftehe ich felber in

mehr als einem Falle auf Seiten der von König Bekämpften
. Ich fage ihm aber nichts deftoweniger gern
Dank für feine Schrift, fofern fie gerade dazu dient,
über manche Differenzen der Auffaffung Klarheit zu
verbreiten. — Ein Stellenregifter ift am Schluffe beigegeben
.

Bafel. Alfred Bertholet.

Giesebrecht, Prof. D. Fr., Die alttestamentliche Schätzung
des Gottesnamens und ihre religionsgeschichtliche Grundlage
. Königsberg i. Pr. 1901, Thomas & Oppermann.
(VI, 144 S. gr. 8.) M. 4.-

Ich begrüfse Giefebrecht's Schrift mit Freuden. Sie
bringt in ein dunkles Capitel der atl. Theologie ein neues
und, wie ich glaube, das rechte Licht, indem fie mit der
religionsgefchichtlichen Auffaffung religiöfer Phänomene
Ernft macht: ,Das Alte Teftament geht in feiner Schätzung
des Gottesnamens von einer andern Weltanfchauung aus
als wir. Das zu erhärten ift die Aufgabe der folgenden
Abhandlung' (S. 4). Es liegt hier nämlich ,ein uralter,
über die ganze Menfchheit verbreiteter und für die antike
Religion überhaupt charakteriftifcher Gebrauch des „Götternamens
" vor' (S. 3). Das ift die wichtige Erkenntniß,
welche die vorliegende Schrift uns vermitteln will.

Giefebrecht unterfucht in einem erften Theil den atl.
Sprachgebrauch des Wortes D», zunächft in feiner Anwendung
auf Wefen aufser Gott (S. 9—18). Hier lehrt
fchon die hebräifche Namengebung, dafs die Erzähler
und Propheten die Namen für etwas mehr angefehen
haben müffen als für lautliche Unterfcheidungszeichen
zwifchen verfchiedenen Perfonen (S. 14). Nach einer
entfprechenden Richtung weift der enge Zufammenhang,
der zwifchen Name und Nachkommen und Name und
Anwefenheit befteht, fowie die doppelte Thatfache, dafs
der Name fo viel als der Ruhm fein und wieder als
Vertreter der Perfon gebraucht werden kann. In der
Behandlung des Gottesnamens (S. 18—45) werden zu-
erft die Stellen ausgefchieden, wo Gottes Name fo viel
als feine Ehre bezeichnet. In einer Reihe anderer Stellen
ift der Name Gottes zunächft im eigentlichen Sinne gemeint
, indem an die Bezeichnung Jahwes gedacht wird.
,Aber es ift bemerkenswert!), dafs die intime und dauernde
Verknüpfung des Namens mit dem Kultus am Ende eine
fehr ftarke Verfelbftändigung des Namens bewirkt zu
haben fcheint' (S. 26). Fernerhin weift die Formel nin)
iE© ,auf beftimmte Vorftellungen vom Namen Jahwes
zurück,.die fchon der vorexilifchen Zeit angehört haben
müffen, aber in der hergebrachten Auffaffung vom Namen
als einer Wefensbezeichnung nicht rein aufgehen wollen.
Auch hier tritt hervor, dafs man dem göttlichen Namen
jedenfalls eine befondere Kraft zugefprochen haben mufs'
(S. 33). Eine Unterftützung diefer Darlegung fieht Giefebrecht
in der Thatfache, dafs, vorab im deuteronomiftifchen
Schriftthum, der Name Jahwes fehr ausgiebig mit der
heiligen Stätte in Beziehung gefetzt wird, und dies in
einer Weife, als fei er ein Wefen neben Gott. Nach
Stade follte diefes Wohnen des Namens Jahwes im
Tempel nicht mehr befagen, als dafs Jahwe dem Tempel
als feinem Eigentum (vgl. die Phrafe: den Namen Jahwes
über etwas nennen = etwas als Jahwes Eigenthum bezeichnen
) feine beftändige Aufmerkfamkeit zuwende.
Giefebrecht zieht energifch gegen diefe Auffaffung zu P"elde
und kommt zum eigenen Schlufs (S. 40): ,Die Deutero-
nomiften haben kein blofes Eigentumsverhältnis ausdrücken
wollen, andererfeits aber auch die Vorftellung
vermeiden wollen, als fei Jahwe felbft im Tempel. Darum
fagen fie nicht: der Name Jahwes ift ausgerufen über
dem Heiligtum, fondern fie fuchen einen mittleren Ausdruck
, der mehr als die jeremianifche und weniger als
die Volksauffaffung befagt. Ich denke, das ift einleuchtend
. Diefer Ausdruck bietet fich ihnen, wie ich glaube,