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Ausgabe:

1902

Spalte:

585-588

Autor/Hrsg.:

König, Eduard

Titel/Untertitel:

Neueste Prinzipien der alttestamentlichen Kritik 1902

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. in Berlin, und D. E. Schüret*, Prof. in Göttingen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. HinrichsTche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

Nr. 22. 25. October 1902. 27. Jahrgang.

König, Neuefle Prinzipien der altteftament-

lichen Kritik (Bertholet).
Giefebrecht, Die altteftamentliche Schätzung

des Gottesnamens und ihre religionsgefchicht-

liche Grundlage (Bertholet).
Bruckner, Die Irrlehrer im Neuen TeUament

(Clemen

Tilemann, Speculum perfectionis und Legenda

trium sociorum (Lempp).
Renan, Lettres du seminaire 1S38—1846 (Lob-
ftein).

Reinach, La mevente des vins sous le haut- I Bindemann, Das Gebet um tägliche Vergebung

Actus B. Francisci et sociorum ejus ed. P. Sa- und in den Briefen des Apoftels Paulus

batier (Karl Müller). (Wendt).
Opuscules de critique historique (Derf). Bornemann, Einführung in die evangelifche

Miffionskunde (Wurm).
Philofophifche Bibliothek Bd. 21, 39, 47, II
[Schriften von Giordano Bruno und Kant]
(E. W. Mayer).
Miscelle zum Aufenthalt des Petrus in Rom

empire romain (Harnack). der Sünden in der Heilsverkündigung Jehl 1 (Harnack).

König, Prof. DD. Eduard, Neueste Prinzipien der alttesta- ! laffe man der menfchlichen Perfönlichkeit: Bibel und
mentiichen Kritik, geprüft. Gr.-Lichterfelde-Berlin 1902,
E. Runge. (80 S. gr. 8.) M. 2.—

König geht aus von den ,Rechtstiteln', auf denen
die Erlaubnifs zur Bibelkritik beruht (S. 3). Recht und
Pflicht find aber Correlatbegriffe (S. 4). Und nun, um
Bibelkritik und fpeciell Kritik des Alten Teftamentes
richtig üben zu können, ,dazu ift ein Zweifaches nöthig,
und dieses Doppelte ift die richtige Beobachtung der zu
beurtheilenden Thatfachen und die Gültigkeit der Maafs-
ftäbe. nach denen die Kritik geübt wird' (S. 5).

Thatfachen, mit denen fich zunächft die Textkritik
zu befaffen hat, ergeben fich aus der Beobachtung der
Paralleltexte und der Vergleichung von Text, Ueber- I mufs: Nur wenn die wefentliche Symmetrie der
fetzungen und Citirungen des Alten Teftaments. Zur correfpondirenden Zeilen oder Stichoi fehlt, kann die
Beurtheilung diefer Materialien gilt es die richtigen Nor- Rückficht auf den Rhythmus eine textkritifche Operation
men zu finden (S. 5 f.). Die erfte ift die grammatifche i begründen' (S. 30). Ich vermag diefe fkeptifche Zurück-

Religion find ftärker, als dafs fie dadurch Schaden nehmen
könnten!

Eine andere Norm ift die metrifche und die ftrophifche
Befchaffenheit der betreffenden Partien des Alten Teftaments
(S. 19—34). König weift nachdrücklich ihre Un-
ficherheit nach. Der vielvertretenen Annahme der
Gleichzahl der Hebungen correfpondirender Gedichtszeilen
fteht er ablehnend gegenüber. ,Mein Urtheil geht
dahin, dafs die Natur des Rhythmus der althebräifchen
Poefie eine mehr ideell-freie als lautlich-gebundene, eine
mehr pfychologifche als lautphyfiologifche gewefen ift,
und dafs demnach die Beziehung von ,Metrik' und Textkritik
für die althebräifche Literatur fo benimmt werden

Richtigkeit eines Textelementes; die zweite die literar-
gefchichtliche Alterthümlichkeit (fo ift z. B. Aefthetifirung
des atl. Wortlautes fecundäre Tcxterfcheinung); die dritte
die geiftes- und culturgefchichtliche Priorität; eine vierte
der Schwierigkeitsgrad der betreffenden Lesart (S. 6—12).
Gegen alles dies ift kaum etwas einzuwenden.

Ausführlicher behandelt König weitere ,Directiven'
oder ,Normen', weil fie mehr oder überhaupt erft in der
neuern Zeit zur Anwendung gelangt find. Dahin gehört
erfter Linie die Norm, .wonach man die ftiliftifche

haltung wohl zu verftehen. Ich glaube nur, dafs man
fich beiderfeits vor beftimmter Generalifirung zu hüten
hat. Es ift mir nicht zweifelhaft, dafs fich in vielen
Fällen die .Symmetrie correfpondirender Zeilen' in be-
abfichtigter Gleichzahl der Hebungen einen formellen
Ausdruck gefchaffen hat. Aber ich ftimme König darin
bei, dafs eine durchgeführte Metrik, wenigftens wie fie
bisher gehandhabt worden ift, ein Prokruftesbett für die
althebräifche Dichtung wird. Analog wird das Urtheil
über die Strophik zu lauten haben; wenigftens vermag

Richtigkeit und Congenialität zur Directive bei der Kritik auch ich z. B. in Löhr's Verfuch an Am. i. 2 nur ein
machen will' (S. 13—19). Als typifcher Repräfentant abfehreckendes Beifpiel zu fehen.

diefer Richtung wird Duhm hingeftellt, auf deffen Be- Auf die Sachkritik hat die ,comparativiftifche Norm'

handlung des Jefajatextes König einige Streiflichter wirft, i Bezug (S. 34—59). Wenn ich König recht verliehe, fo

Er felber will fich befcheiden: ,Ich vermag mich nicht
zu einer folchen Sicherheit des Urtheils über den „Stil"
aufzufchwingen. Der fchriftftellerifche Stil ift nach
meinem Dafürhalten eine zu geiftige und zu fchwer
greifbare Gröfse, als dafs er fich zum Range eines ob-

will er fchon durch den blofsen Namen (,comparativiftifchl
ftatt xomparativ' S. 35) fein tadelndes Urtheil über fie
ausgefprochen haben: fie erfcheint ihm als identifch mit
einem falfch generalifirenden und fchematifirenden Verfahren
(vgl. S. 39). Man geht von einem ethnologifchen

jectiv gültigen Maafsftabes der Textkritik oder der Li- Axiom aus: .Neue Völker entliehen niemals durch rafche
terarkritik erheben liefse' (S. 19). Das halte ich zum Mehrung eines Stammes, neue Stämme niemals durch
arofsen Theil für richtig, und doch habe ich in die Mög- ■ Abdämmung von einer fich durch mehrere Generationen

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lichkeit congenialen Verftändnifses gröfseres Zutrauen.
Ich geftehe freilich gern zu, dafs vermeintliche Congenialität
nur allzu oftSelbfttäufchung ift. Aber wer wirklich
das Zeug zum congenialen Erklärer in fich hat, der kann
felbft in dem noch, worin er fehl geht, lehrreich fein
wenigftens für den, der fich felbft ein offenes Auge bewahrt
hat (und nur für diefen fchreibt ja ein folcher).
Gerade Duhm hat es in der Vorrede zu feinem Jefaja-

reichlich fortpflanzenden Familie' (S. 36). Man parallelifirt
Züge der griechifchen und der israelitifchen Ueberlieferung,
als gälte von den Stammvätern Israels dasselbe, was
von Hellen, feinen Söhnen Aiolos und Dorus und feinen
Enkeln Achaios und Jon. Man beruft fich auf die Künft-
lichkeit der Zwölfzahl, um die ältefte Gefchichte Israels
für ein Product genereller Anfchauungen zu erklären.
König tritt in einer längeren Auseinanderfetzung diefer

commentar treffend gefagt: .Wenn man nicht glauben Auffaffung entgegen. Es wird mir fchwer, ihm in feiner
dürfte, dafs auch Irrthümer, ehrliche Arbeit vorausgefetzt, Polemik zu folgen; m. E. gilt fie der Vertheidigung einer
gute Folgen haben können, fo dürfte man überhaupt unhaltbaren Pofition. Es will mir Rheinen, als unter-
über Bibel und Religion nicht fchreiben'. Diefes Recht 1 fchätze der Verfaffer auch hier die Fähigkeiten eines ge-

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