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Ausgabe:

1902 Nr. 21

Spalte:

573-577

Autor/Hrsg.:

Preuss, Hans

Titel/Untertitel:

Die Entwicklung des Schriftprinzips bei Luther bis zur Leipziger Disputation 1902

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 21.

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S. 55. Die jetzt S. 18 Anm. 1 und S. 25 Anm. 3 getrennt
(ich findenden orientirenden Notizen über diefen
, Tractatus' wären wohl beffer an einer Stelle vereinigt
gegeben worden.

Bei der Aufzählung der mittelalterlichen Beichtflücke
hätte auch die von Bahlmann (Deutfchlands katholifche
Katechismen bis zum Ende des fechzehnten Jahrhunderts
S. 61 ff.) veröffentlichte ,Tafel des chriftlichen Lebens' von
ca. 1480 gute Dienfte geleiflet. Die intereffante Anm. 1
aufS. 152 ff. greift wohl in gewiffer Weife der künftigen
Darftellung vor? S. 105 mufs es heifsen: S. 103 Anm. 2;
S. 68 Anm. 1 ift im citirten Titel ,Conf.' ausgefallen; ,vo-
dinge' (S. 57) heifst: /Unterhalt', wörtlich .Ernährung,
Nahrung'. Weshalb find die im Text für die einzelnen
Abfchnitte verwandten Zählungen (A. B. C. D. und 1. 2.3.4.)
im Inhaltsverzeichnifse nicht angegeben? diefes wäre doch
dadurch nur überfichtlicher geworden.

S. 128 ff. befpricht der Herr Verfaffer die Predigten
über die zehn Gebote, die Luther in den Jahren 1516—17
in Wittenberg gehalten hat, und (teilt fie dabei mit den
von anderen Geifllichen jener Zeit im Dienft der Beichte
gehaltenen Predigten über den Dekalog in Parallele.
Diefer Gedanke verdiente in noch ausgedehnterer Weife
fruchtbar gemacht zu werden, fo dafs man jene Luther'-
fchen Predigten aufs genauefte hinfichtlich ihres Ver-
hältnifses zu diefen anderen gleichartigen Erzeugnifsen
unterfuchte. Vielleicht unterzieht fich einmal jemand diefer
intereffanten Aufgabe.

Wir wünfchen dem vortrefflichen Werk einen erfreulichen
Fortgang.

Erichsburg bei Markoldendorf F. Cohrs.

(Hannover).

Preuss, Dr. Hans, Die Entwicklung des Schriftprinzips bei
Luther bis zur Leipziger Disputation. Im Zufammenhang
mit der Stellung Luthers zu den andern theologifchen
Autoritäten feiner Zeit dargeftellt. Leipzig 1901,
Ch. H. Tauchnitz. (VII, 102 S. Lex. 8.) M. 3.—

Der Zufatz zum Titel: ,1m Zufammenhang mit der
Stellung Luthers zu den andern theologifchen Autoritäten
feiner Zeit dargeftellt' erweckt fogleich ein gün-
ftiges Vorurtheil; denn er verheifst das Aufgeben einer
ifolirten Betrachtung, wie fie im Wefentlichen z. B. noch
von Undritz: Die Entwickelung des Schriftprinzips bei
Luther in den Anfangsjahren der Reformation, N. K. Z.
1897, geübt war, und will ein organifches Herauswachfen
des Schriftprincips aus Luthers Stellung zu den Autoritäts-
principien der damaligen Theologie überhaupt an die
Stelle fetzen. Die fo entwickelungsgefchichtlich geftellte
Aufgabe zu löfen ift dem Verf. in feiner von Brieger
angeregten Erftlingsarbeit im Wefentlichen (f. die Ein-
fchränkungen unten) gut gelungen. Jedenfalls hat er die
Lutherfchriften mit peinlicher Sorgfalt durchgearbeitet
und das Material nahezu erfchöpfend zufammengeftellt.

Verf. geht von dem richtigen Gedanken aus, bei
Luther fei Inhalt des Glaubens und alleiniger Erkenntnifs-
quell diefes Inhalts zu unterfcheiden (S. 2). ,Dafs die
Schrift alleinige Quelle fei, dies hat er fpäter erkannt als
den neuen Glaubensinhalt. Stand ihm diefer fchon vor
dem Thefenanfchlag feft — d. h., wie Ref. hinzufügen
möchte, cum grano salis im Wefentlichen —, fo hat
er jenes erft proklamiert während der Leipziger Disputation
wo er die Schrift auch über die letzte überkommene
'Autorität Hellt, die er bis dahin anerkannt hatte'
— daher denn Verf. folgerichtig mit der Leipziger Disputation
fchliefst. Die Frage, mit welcher Verf. beginnt,
ob auf die Gewinnung feines Glaubensinhalts, der jedenfalls
primo loco aus der hl. Schrift gewonnen wurde,
Kirchenväter und Scholaftiker von Einflufs waren, wird
dahin beantwortet, dafs ,der und jener Spruch ihm zur
Klarheit und Fettigkeit der ihm urgewachfenen Erfahrung

verholfen hat'. So habe wohl vor allen Dingen bei den
Nominaliflen, denen Luther felbft fich zuwies, ,vielleicht'
die fcharfe Trennung von Vernunft und Offenbarung die
fcharfe Scheidung zwifchen menfchlicher und biblifcher
Autorität ihm befcärken helfen. Wie dem auch fei, wie
(teilt er fich, nachdem im Glaubenserlebnifs der archime-
difche Punkt gefunden ift, des Näheren zur Schrift und
den theologifchen Autoritäten? Altes und Neues Tefta-
ment find ihm Eins, Chriftus — wie folgerichtig als ,reli-
giöfer Heifchefatz' (S. 10) aus dem Glaubenserlebnifs
gefchloffen wird — ift Centrum der Schrift, diefelbe
identifch mit der Wahrheit, nicht etwa kraft des In-
fpirationsdogmas, auch nicht etwa weil fie die hiftorifch
primäre Urkunde des Chriftenthums ift, fondern weil Luther
fie als folche an fich felbft erfahren hat. Als veritas
aber ift fie autoritas und fteht in fcharfem Gegenfatz zur
ratio bez. zu den auf ihr bafirenden und mit ihr argu-
mentirenden Scholaftikern und Philofophen. Dafs die
Kirche aber ihre Dogmen in Uebereinftimmung mit der
Schrift hält, ift für Luther Vorausfetzung, daher ift auch
fie infallibel, aber nicht primär, fondern .abgeleitet'. ,Ich
finde keinen Grund dafür, dafs Luther in der römifch-
katholifchen, hierarchifch verfafsten Kirche nicht das
Sichtbarwerden, die äufsere Manifeftation diefer Kirche
Chrifti gefehen haben follte', fagt Verf. mit Recht. Luther
fetzt ebenfo in diefer Epoche die Uebereinftimmung der
Kirchenväter mit der hl. Schrift voraus.

Mit der Aufftellung der 95 Thefen und dem an fie
anfchliefsenden Kampf beginnt die zweite Epoche. Der
Gegenfatz gegen ratio und ihre Vertreter fchärft fich, die
Uebereinftimmung mit den ecclcsiastici und der Kirche
und ihren Autoritäten, Concil wie Papft, bleibt jedoch
zunächft. Bald jedoch geräth — deutlich zuerft im .Sermon
von Ablafs und Gnade' — die Autorität der cano-
nes wenigftens ins Wanken, gleichzeitig ftöfst Luthern
Tetzel auf die Discrepanz zwifchen hl. Schrift und Kirchenväter
; und in Augsburg, vor Cajetan, wird eine Decretale
— allerdings eine Extravagante — bei Seite gefchoben,
Eck gegenüber aber alsbald dielrrthumslofigkeitdesPapftes
wenigftens quoad kontinent und in t/iesi, beftritten; daneben
geht freilich, wie die Widmung der Refolutionen
zeigt, noch eine Devotion vor dem Papft nt papa her.
Sehr deutlich blickt auch fchon der Satz durch, dafs,
falls ein Widerfpruch zwifchen Schrift und kirchlich ap-
probirter Autorität fich zeigen follte, letztere der erfteren
zu weichen hat — m. a. W. der naive Concordien-
glaube ift zerftört. Mit feiner Citation nach Rom bez.
mit den Augsburger Verhandlungen vor Cajetan erfolgt
der Rückzug vom Paplte weg, dem er in den Acta
Augustana auch das ins divinum des Primates abfpricht,
auf das Concil, jedoch fogleich mit der Reftriction: tarn
papa quam concilium potcst errare; jeder Laie, der aus
der Schrift beffere Argumente beibringt, befitzt gröfsere
Autorität. Freilich ift ihm diefe Möglichkeit nur Theorie;
er fetzt voraus, dafs Gott feine Kirche in diefer feiner
Repräfentation vor Irrthümern gnädig bewahrt habe und
bewahren werde. Diefe Vorausfetzung zerftört, die theo-
retifche Möglichkeit des Irrthums eines Concils in die
Behauptung der Thatfächlichkeit des Irrthums (des Con-
ftanzer Concils) umgewandelt zu haben und damit die
i hl. Schrift einzig und allein autoritativ fein zu laffen, ift
die Bedeutung der Leipziger Disputation, deren drama-
tifche Entwickelung in Vorfpiel, Spiel und Nachfpiel eingehend
behandelt wird. Insbefondere zeigt Verf. deutlich
, wie Schriftprincip und Kirchenbegriff Correlate find.
,Die römifche Kirche, als äufserlich hierarchifch verfafste,
mufs ihre Autorität in Glaubensfachen abtreten an die
allgemeine, katholifche Kirche, weil diefe eine Schöpfung
des Wortes Gottes ift'.

Verf. verfteht es, den Lefer ficher zu führen; am
Schluffe der Abhandlung blickt man mit Befriedigung
den zurückgelegten Weg zurück, weil er völlig verftänd-
lich geworden ift. An Einzelheiten wird wenig zu