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Ausgabe:

1902 Nr. 21

Spalte:

569-570

Autor/Hrsg.:

Otto, Rudolf

Titel/Untertitel:

Leben und Wirken Jesu nach historisch-kritischer Auffassung 1902

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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569

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 21.

57o

Forfchung überlaflen bleiben mufs — der Verf. mit
feiner Betrachtung des Dt? und Dt?a, als eines ,Stücks
der Offenbarungsreligion feiber' (S. 123), gegenüber Giefe-
brecht u. a. durchweg im Rechte fein follte, könnte fein
Kanon: ,Die a. t. Religion als folche zu verftehen, — —
darüber kann der Menfchheitsglaube nicht befragt
werden' (S. 122f.) als folcher keine Anerkennung finden.

Im Uebrigen hat B.'s gründliche und umfichtige
Arbeit viel zur Klarftellung der fchwebenden Frage beigetragen
und zu ihrer weiteren Verfolgung energifch
angeregt.

Friedberg i. Heff. D. Weiffenbach.

Otto, Privatdoz Lic. Rudolf, Leben und Wirken Jesu nach
historisch-kritischer Auffassung. Göttingen 1902, Vanden-
hoeck & Ruprecht. (76 S. 8.) In Leinw. kart. M. 1.35

Entftanden aus Vorträgen vor Hörern, die wenigftens
die allgemeinften Züge der kritifchen Gefchichtsfor-
fchung kennen lernen wollten und zuerft ,nur als Manu-
fcript' gedruckt, ift obiges Büchlein nunmehr vom Verf.
der OefTentlichkeit übergeben worden, da es hinreichend
ericheine zu einer erften Orientirung und zu einer Ver-
anlaffung, fich felber gründlicher mit dem behandelten
Gegenftand zu befaffen' (S. 6, Vorw.). Die hierzu in
hohem Maafse geeigneten .Vorträge' zerlegen fich in vier
Theile: I. Die Gefchichtsquellen (S. 9—19), 2. Skizze des
Lebens Jefu (S. 20—46), 3. Skizze des Wirkens Jefu
(S. 47—73), 4. Nachwort — Literatur (S. 74—76).

Im 1. Abfchnitt (S. 9—19) wird in herkömmlicher
und doch eigenartiger Weife die Quellen-Frage behandelt
. Die Synoptiker, vorall Mc, ftellen das ,ge-
fchichtliche Stammcapital', während der vierte Evangelift
das Gefchichtliche nur als .Transparent' oder .Allegorie
für eine tieffinnige Idee' (S. 14. 15) behandelt, Paulus
aber — wenn man die fpecififch paulinifchen ,fpeculativen
Einfaffungen' befeitigt — einen ,ficheren Rückfchlufs
auf den--Charakter--der neuen Frömmigkeit
Jefu felber' geftattet (S. 11).

Im 2. Theil (Das Leben Jefu, S. 20—46), in dem

_ neben dem 3. (Wirken Jefu) — der Schwerpunkt des

Schriftchens liegt, kommen die in einem ,L. J.' üblichen
Probleme des äufseren Lebensganges Jefu kurz zur
Sprache. Die Geburtserzählungen und insbefondere die
Jungfrauen-Geburt werden als ungefchichtlich abgelehnt
, dagegen ,der zwölfjährige Jefus im Tempel' dem
Gefchichtsbeflande zugerechnet. Die Beziehungen zum
Täufer und die Taufvorgänge, letztere als .Objecti-
virungen eines unnennbaren inneren Erlebens'(S.30),
gut und fachgemäfs behandelt. Befonnen und pofitiv ift
ü.'s Stellung zu den .Wundern'Jefu, insbefondere feinen
Heilungen. Müffen immerhin die von der Phantafie gewirkten
.Vergröfserungen' in Abzug kommen, ficher ift,
dafs in Gott fich gründende .übernormale pfychifche
Ausftattungen und aufs ergewöhnliche ftarke Vermögen
in Jefu gewirkt haben' (S. 32—35). Mit dramatifcher
Lebendigkeit werden die Hochentwickelung, aber auch
der Stillftand, Rückgang und tragifche Umfchwung des
Lebensganges Jefu gefchildert. Vortrefflich ift die Be-
urtheilung der Meffianität Jefu. Abgefondert von
jedem .politifchen' Ideal, ift Jefu neue Frömmigkeit
der ,neue Bund', die höhere Stufe und Erfüllung der
.Frömmigkeit eines Jeremia und Deutero-Jefaia' (S. 38f.),
daher auch durch den Tod, diefes ,neue Paffah für feine
Gemeinde' (S. 42), nicht im Glauben an den .endlichen
Sieg' erfchüttert. Die .Auferftehung' aber ift nicht
blofse Vifion, fondern ein factifches .innerliches Erleben
und Innewerden des lebendigen Chriftus', ein .unmittelbares
— —Verkehren von Wille zu Wille, von
Seele zu Seele' (S. 45).

Was Jefus nun eigentlich wollte und gebracht hat,
befchreibt der 3. Theil (Jefu Wirken, S. 47—73) in vortrefflicher
Weife. Zwar die unferes Erachtens falfche Auf-
faffung, dafs Jefus das Reich Gottes auch als einen äufseren
Idealzuftand menfchlicher Dinge angefehen habe,
theilt auch 0., aber andererfeits läfst er Jefu Predigt von
der .Phantaftik', Zukunftsrechnerei und .eschatologifchen
Speculation' feiner Zeit meilenweit entfernt fein (S.49. 64),
und er fieht fchon in der von Jefu gebrachten ,geiftigen
Erlöfung und Befreiung' das erhoffte Heil felbft angebrochen
(S. 64). Der diefe darbietenden Predigt Jefu
aber vindicirt er das Prädicat der .religiös-fittlichen
Innerlichkeit mit abfolut eigenem Werth' (S. 50), und
er weift dies fowohl nach Seiten der von der Gleich-
ftellung mit allem Cultifchen und Rituellen befreiten, im
kindlichen Glauben Gott felbft befitzenden, neuen
Frömmigkeit als nach der Seite der auf Perfönlichkeit,
Charakterbildung, h. Individualität dringenden und vom
,Reichsgrundgefetz der Liebe' aus die höchfte Kraft eines
h. Willens entfaltenden neuen Sittlichkeit in tiefgrabender
Weife nach.

Ref. kann O.'s feinfinniges, mit Geift und Feuer und
in edler Diction gefchriebenes, bei aller Freiheit einen
frommen Sinn und (vgl. Nachwort, S. 74) Anfätze zu
gefunder Speculation verrathendes Büchlein, an dem er,
trotz mancher Differenzen mit dem Verf., feine grofse
Freude hatte, nur wärmftens empfehlen.

Friedberg i. Heff. D. Weiffenbach.

Chapman, John, Origen and the dateof Pseudo-Clement (Journal
of Theological Studies, 1902, April, p. 436—441).

Inmeinem Lehrbuch der Dogmengefchichte PS. 294fr.
habe ich kurz zu zeigen verfucht, dafs die pfeudoclemen-
tinifchen Schriften nicht dem 2. Jahrhundert angehören,
fondern früheftens der erften Hälfte des dritten; .nichts
hindert indefs, fie noch um ein paar Decennien fpäter an-
zufetzen'.

Gegen diefen Anfatz werden zwei Citate bei Origenes
geltend gemacht. Allein das erfte (aus der Philokalie)
gehört, wie Robin fon (Ausgabe S. L) und vor ihm
fchon Bigg {Studia Biblica II, S. 186) fehr wahrfcheinlich
1 gemacht haben, nicht dem Origenes, fondern dem Bafilius
und Gregor. Das angebliche zweite Citat (im lateinifch
erhaltenen Matth.-Commentar, Lommatzfch IV S. 401)
hatte ich nicht gelten laffen, weil es fich in diefer Ge-
ftalt in unferen Recognitionen nicht findet. Jetzt hat
I Chapman in der obenftehenden Abhandlung gezeigt,
dafs das Citat nicht dem Origenes gehöhrt, fondern
feinem lateinifchen Ueberfetzer, der es aus dem alten
! römifchen Matth. Commentar, dem fog. Opus imper-
fecium, übernommen hat. Ruht die Beweisführung auch
; nur auf inneren Momenten, fo treffen hier doch fo viele
zufammen, dafs an dem Ergebnifs nicht gezweifelt wer-
! den kann.

Somit ift die letzte Stütze für die Annahme gefallen
, dafs die Pfeudoclementinen in das erfte Drittel
des 3. Jahrhunderts fallen; fie find vor Eufeb., h. e. III, 38
überhaupt nicht bezeugt, und felbft diefe Bezeugung ftellt
1 es noch nicht ficher, dafs die Schriften in einer der
Geftalten exiftirten, die wir jetzt befitzen. Die inneren
Momente können nun voll in Kraft treten, und diefe
entfcheiden, dafs jene beiden Geftalten dem 4. Jahrhundert
angehören, die Dialoge Petri mit Apion aber nicht
früher als um d. J. 300 angefetzt werden dürfen.

Jeder Gelehrte, der fich mit der apokryphen Apoftel-
literatur gründlich befafst hat, wird erleichtert aufathmen,
dafs er die Recognitionen und Homilien für das 3. Jahrhundert
nun glücklich los geworden ift; denn fie bildeten
für die Aufhellung und Chronologie der Petruslegenden
ein fchweres Hemmnifs, folange man fie auf den Anfang
des 3. Jahrhunderts datiren mufste.

Berlin. A. Harnack.