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Ausgabe:

1902 Nr. 21

Spalte:

565-569

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Glaube und Gehorsam 1902

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 21.

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Den Anftofs zu feinen Funden gab ihm die Schrift j der .Fragen der höheren Kritik' (S. 7ff.) folgen. Wenn
Wuttig's über das Johannesevangelium (1897), in welcher ! er unter den Matthäus-.Logien' unfer (nur uberfetztes)
gezeigt ift, dafs die übliche Annahme, Johannes habe kanonifches Mtth.-Evangelium verlieht (S. 7), wenn er
als letzter gefchrieben, keineswegs gut begründet ift, den aramäifchen Matthäus zu einer Quelle des Mc-
dafs vielmehr das Gegentheil, nämlich dafs Johannes ! Ev. und den Ueberfetzer der Logien zu einem Kenner

als erfter gefchrieben hat, fehr triftige Gründe für fich
hat. Auf Wuttig's Seite trat zwar kein Univerfitätspro-
feffor, aber doch ,eine ganze Anzahl fachkundiger Theologen
'. .Mir aber wurde das Glück zu Theil, von
diefem neuen Standpunkt aus endlich über die
Entftehung aller vier Evangelien das lang er-
fehnte klare Bild zu gewinnen'. Zunächft fand der
Verf., dafs Johannes im allgemeinen nur die Feftbefuche

des Mc.-Ev. macht, und wenn er endlich gar das kano-
nifche i.Ev. ein .apoftolifclies Werk aus einem Gufs'
nennt (S. 7), fo glaubt man fall, ein Jahrhundert früher zu
leben und die erften jugendlich-phantafievollen Verfuche
der Ew.-Kritik mitzumachen. Doch H. verfucht wenig-
ftens für die behauptete — Einheitlichkeit des Mtth.-
Ev. einen ernftlichen Beweis, indem er auf die kraftvolle
Durchführung einiger Grundgedanken und ,die Grofs-

Jefu in Jerufalem befchreibt, dazwifchen aber grofse ! artigkeit der Conception und Beherrfchung eines gewal-

Lücken läfst. Diefe Lücken zu ergänzen, ift die Abficht tigen Stoffs durch bedeutende Gedanken' (Zahn) — die

des Lukas. Sein Stoff fügt fich vortrefflich in den doch unteres Erachtens ebenfowohl vom Schlufs-

Rahmen des Johannes und vertheilt fich der Reihe nach redactor des Mtth. herrühren können! — hinweift (S. 8)

auf die Lücken der johanneifchen Darftellung. ,Nur da- j und insbefondere ,eines der angefochtenften Kapitel un-

durch, dafs Lukas ängftlich jede Wiederholung aus Jo- j feres Evangeliums', das erfte (Gefchlechtsregifter und

hannes vermeidet, erklärt es fich, dafs fein Verhältnifs Geburtsgefchich te), ,in feinem Zufammenha n g mit

zu Johannes fo lange unentdeckt geblieben ift'. Der I dem ganzen Evangelium zu beleuchten' unternimmt

Schlüffel für das Verftändnifs des Matthäus liegt in (S. 8).

Mt. 3. 1. Die Worte tv xalq r^igaiq ixeivaiq beziehen
lieh nämlich auf die von Luk. 3, 1—3 fo eingehend be-
fchriebenen Tage. Matthäus ift alfo fpäter als Lukas
und ift ,von Anfang bis zu Ende eine ganz planmäfsig
durchgeführte Berichtigung des Lukasevangeliums'. Matthäus
ftellt nämlich, wie fein häufiges tote zeigt, die

Indem H. — etwas überrafchend — den in barmherziger
Liebe zum Heil führenden Gott für die leitende,
auch im matth. .Chriftu sbild e' fich genau reflectirende
.Grundanfchauung' des 1. Ev. erklärt, meint er, dafs
der Evangelift fchon im Gefchlechtsregifter ,den Spuren
des b armherzigen Gottes nachgehe'und durch Hereingenaue
Chronologie her, die er als Augenzeuge beffer nähme von Sünderinnen und Heidinnen in Jefu
kannte, als Lukas. Markus endlich hat den Lukas und I Stammbaum bereits in der vorbereitenden Gefchichte
Matthäus vor fich gehabt und bald nach dem einen, die univerfale Gnade nabficht Gottes .offenbar' mache,
bald nach dem andern gearbeitet, aber nicht als über- ! insbefondere Jefum von der 1. Zeile an [BißXoq yevtoecoq'f.
legener Bearbeiter, fondern nur, um hie und da genauere : heifst: .Buch der Gefchichte Jefu') fchon in der VorEinzelheiten
beizufügen. Für die Entftehungszeit der j gefchichte als,Heiland der Sünder' zeige (S. 10).—
vier Evangelien ergeben fich hiernach folgende Anfätze Diefe ,Beleuchtung' ift für Ref. allerdings zu grell. Für
(S. 122 f.): Jahannes bald nach 44, Lukas 53—57, Mat- j fein Empfinden ift durch die Unterfcheidung und Cor-
thäus um 60, .Markus bald nach 64. Befonders fchlecht j relation zwifchen ß'ißioq ytvtösoog (1,1) und toü 6h '/»ff.
ift der Verf. auf die Annahme von ,Quellenfchriften* zu j ysveotg (1, 18) der erftere Ausdruck fo deutlich wie
fprechen. von denen nie jemand eine Zeile entdeckt hat. [ möglich auf den Stammbaum eingegrenzt, und der Be-
Sie haben für ihn ,noch nicht einmal den Werth eines
Märchens' (S. 110).

Der geneigte Lefer fleht, dafs diefe Publication nur
pathologifches Intereffe hat. Ref. kann daher mit diefem
kurzen Bericht feine Aufgabe als erledigt anfehen

ginn der Gefchichte Jefu erft auf 1,18 (bezw. 2,1) angefetzt
, die Ueberfetzung: ,Buch der Gefchichte' in 1, 1
alfo einfach unmöglich. Und dafs man nun gar aus den
Wörtchen: ix xrjq OäfictQ (v. 3), ix xrjq 'Payccß und ix
xr/q 'PovO- (v. 5) fo tiefe Heilsgeheimnifse herauslefen
Göttincren. E. Schürer. könne (f. o.), — für eine folche theologifche Scharffinns-

probe fehlt Ref. jedes Organ. — Doch hören wir weiter,
wie der Vertreter des Apoltelwerks ,aus einem Gufs' über
die gähnende Kluft zwifchen dem Gefchlechtsregifter mit
feiner davidifchen Abdämmung (blofs) des .Pflegevaters'
Jofeph und der Gefchichte des Marien-Sohnes Jefus
hinwegkommt! Er überbrückt fie mit dem Verzweiflungs-
Sprung: Jefus ift der Nachkomme Davids--durch

.wunderbare Veranftaltung Gottes' (vgl. Mtth. 1, 18—25)
— für den Glauben. Er ift es als der Sohn der Maria,
der Verlobten des Davididen Jofeph' (S. 14). Die Jungfrau
-Geburt, die am Auferftehungs-Wunder ihren ,Mafs-
ftab' hat, ift nun aber eine Neufchaffung des ,den Ge-
fetzen der fündigen Welt zum Trotz' (sie/) Neues wirkenden
Erlöfer-Gottes (S. 16); und der die ganze Gefchichte
Jefu darfteilende Evangelift .konnte fich vom
Geifte getrieben fühlen, das gute Wort von der wunderbaren
Geburt Jefu nicht vorzuenthalten' (S. 17).

Mehr befriedigt der das Problem des Vaterunfers
behandelnde 2. Vortrag (S. 18—30). Das Herrn-Gebet
ift nach H. ein .inhärirendes, unveräufserliches Stück
der Reichsdarbietung Jefu' (S. 29). So fehr nun der
Verf. mit der Bemerkung Recht hat, dafs ,für die Er-
kenntnifs der inneren Oekonomie des Gebetes nichts
hinderlicher fei als die herkömmliche Eintheilung und
Unterfcheidung von 7 Bitten', fo fchiefst er doch mit
der Behauptung, es werde ,nur um eines gebetet' (sc. die
Heiligung des Vaternamens), und damit fei bereits alles
gefagt' (S. 21), weit über das Ziel hinaus. Auch ift

Haussleiter, Prof. D. Dr., Probleme des Matthäus-Evangeliums
. Zwei Ferienkursvorträge.

Schlatter, Pfr. W., Glaube und Gehorsam.

Boehmer, Pfr. Lic. Dr. Julius, Zwei wichtige Kapitel aus
der biblischen Hermeneutik.

(In: Beiträge zur Förderung chriftlicher Theologie
. Herausgegeben von A. Schlatter und H. Cremer.
Fünfter Jahrgang 1901. Sechftes Heft.) Gütersloh,
C. Bertelsmann. (127 S. gr. 8.) M. 2.—

Diefes Heft bringt drei Abhandlungen: 1. Die Probleme
des Matthäus-Evangeliums von Profeffor
D. Haufsleiter (Greifswald), S. 5—30, — im ,theologi-
fchen Ferienkurfus' (wann?) behandelt.

Schon der Text des Ev. ift, wie befonders Blafs
gezeigt hat, angefichts einer .ganzen Menge von Interpolationen
und Varianten' der alexandrinifchen Relation
fehr reformbedürftig. An ,Dutzenden von Stellen'
erhebt fich dieFrage nach dem ,urfprünglichen Schriftwort
', und jene Interpolationen und Varianten .erheben
jedenfalls gegen eine ftarre Anfchauung Zeugnifs, als
lei uns ein verbaliter, Wort für Wort, infpirirter Schrifttext
überliefert' (S. 6).

Hierin mit dem Herrn Verf. ganz einverftanden,
können wir ihm um fo weniger bei feiner Erörterung

*