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Ausgabe:

1902 Nr. 21

Spalte:

564-565

Autor/Hrsg.:

Küppers, W.

Titel/Untertitel:

Neue Untersuchungen über den Quellenwerth der vier Evangelien 1902

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 21.

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liehe Erfahrung zur Quelle und Norm chriftlicher Erkenntnis
gemacht' (S. 12), — fo fieht man erft recht,
wie fchief der Verf. feine Frageftellung orientirt hat und
wie unfruchtbar die Kritik einer fo unbekannten und
widerfpruchsvollen Gröfse ausfallen mufste. Die Erfahrungstheologie
, fagt der Verf., leidet an mangelhafter
pfychologifcher Beobachtung, fie beruht auf unzutreffender
philofophifcher Vorausfetzung, fie beruht auf mangelhaftem
Schriftverftändnifse. ,Das Wefen des Glaubens
flräubt fich durchaus gegen die Erfahrungstheologie. Im
Wefen des Glaubens liegt immer ein Abfehen vom Er-
fahrungsmäfsigen. So ift's im biblifchen Sprachgebrauche
(Hebr. Iii). Glaube und Erfahrung fchliefsen
fich gegenfeitig aus. Wo das Eine anfängt, hört das
Andere auf. . . Es giebt keine Glaubenserfahrungen. Es
kann keine geben. Es darf keine geben' (S. 16. 18. 21.
24. 25). Welche Verwirrungen diefer fchillernde Begriff
anrichten mufs, läfst fich leicht vermuthen und ift um
fo mehr zu bedauern, als dem Verf. offenbar ein durchaus
richtiger, echt reformatorifcher und evangelifcher Gedanke
vorfchwebt. Dafs es einen Subjectivismus giebt,
der der Tod des Glaubens ift, dafs der Chrift die Wirklichkeit
der göttlichen Dinge auf etwas gründen mufs,
das gröfser ift als er felbft, •— das ift, wenn ich recht
fehe, die Wahrheit, die H. vertreten will und die er mit
Recht gegen die ,Erfahrungstheologie' vertheidigt. Nur
darf bemerkt werden, dafs Niemand diefe durch Luther
bezeichnete religiöfe Pofition energifcher beleuchtet hat,
als die von dem Verf. fo fcharf abgefertigte ,Schule
Ritfchl's', was vor allem aus Herrmann's Schriften zur
Genüge belegt werden könnte. — Der kurze Beitrag
Reichel's (S. 28—32) foll die früher von ihm aufge-
ftellte Hypothefe, dafs die Lade Jahves ein alter leerer
Götterthron gewefen fei, eingehender beleuchten und in
näherer Auseinanderfetzung mit Meinhold, der dem Verf.
imWefentlichen zuftimmt,darthun und begrün den.-— Seinen
Vortrag über ,die Begründung der fittlichen Forderungen
bei Jefus und bei Paulus'(S. 33—71) fafst
Zilleffer in einigen Leitfätzen zufammen, aus denen
die Grundgedanken des Verf.s in ihrem Zufammenhange
leicht zu erfehen find. Jefus wendet fich mit Rathen und
Zureden an den gefunden Menfchenverftand als Sinn
für Gewinn und Verlud . . (rationale Motivirung), mit
Verheifsung und Drohung an die auf dem Glauben an
eine fittliche Weltordnung gegründete Hoffnung und
Furcht (religiös-eudämoniftifche Motivirung), an das Gefühl
der Verpflichtung in den Bürgern des Reiches, in
den Kindern des Vaters, in feinen Jüngern (religiös-ethifche
Motivirung). Paulus, der in feinem Chriftuserlebnifse den
einen grofsen Antrieb zu dem Ziele feines Lebens gewonnen
hat, wendet fich nur feiten an den Sinn des Menfchen
für Nutzen und Schaden in der Art der rationalen Moti-
virungjefu, fehrftark indeffen mit Verheifsung undDrohung
an die auf den Glauben an eine fittliche Weltordnung gegründete
Furcht und Hoffnung (heteronome Motivirung),
an das Gefühl der Verpflichtung gegen Gott, den Herrn,
dem als folchemGehorfam geleiftet werden mufs(theonome
Motivirung), an das Gefühl der inneren Verpflichtung in
den durch Chrifti That Erlöften, mit dem Chriflus (Pneuma)-
Befitz Begabten und in dem Element des Pneuma-Chriftus
lebenden, um fie zu beftimmen, als von Sünde frei und
mit göttlichen Lebenskräften erfüllt, demgemäfs zu leben
(autonome Motivirung). Jefus motivirt von Fall zu Fall,
unmittelbar concret, aus der Fülle der naiven, gottinnigen
Perfönlichkeit heraus; Paulus fufst durchweg in der Weife
des Syftematikers, reflectirend, abftrahirend, fein grundlegendes
Erlebnifs verallgemeinernd. Die Fülle der Momente
und Motive hat bei Beiden ihre Einheit einmal in
der Perfönlichkeit fowohl als originaler, wie als gefchicht-
lich gewordener und fodann in dem gleichen Zwecke, die
Menfchen zu ,beffern'. (S. 69—71). Man würde dem Verf.
Unrecht thun, wenn man aus diefer fcholaftifch aufgeführten
Conftruction auf den Charakter des Vortrags

fchliefsen wollte; es fehlt der Darfteilung nicht an Frifche
und Lebendigkeit, vor allem fcheut der Redner nicht
den Vorwurf der Modernifirung, infofern er fich bewufst
ift, von einer durchaus modernen Frageftellung auszugehen
. ,Das ganze Intereffe entfpringt der Praxis des
Berufs und concentrirt fich in der Frage, wie weit fich
aus der Praxis von Jefus und Paulus für unfere feel-
forgerlich-pädagogifche Praxis am Ganzen und am Einzelnen
etwas holen läfst. Es handelt fich alfo um die
Gewinnung einer hiftorifchen Antwort auf eine Frage
modern-praktifchen Intereffes'. (S. 35). — Nr. 4
(S. 74—99) (Chriftenthum und Religionsgefchichte,
von Lic. j. Jungft) greift in die gegenwärtig geführten
Streitigkeiten, an denen fich Troeltfch, Kaftan, Niebergall,
Wobbermin, Traub, Reifchle betheiligt haben. Obgleich
J. fich nicht mit den verfchiedenen Löfungsverfuchungen
diefer Theologen auseinanderfetzt, fo nimmt er doch
Stellung zu einer Reihe der von ihnen behandelten Fragen.
Indem er die alte, fchon von Calov, Hollaz und Buddeus
gemachte Unterfcheidung von revelatio generalis und
revelatio specialis auch heute noch in ihrem Werthe anerkannt
wiffen will, trennt er fich von dem ,in der Theologie
herrfchenden Neukantianismus'; die Abficht jener
älteren Theologen ,wird den Intereffen des Chriftenthums
anderen Religionen gegenüber wirklich gerecht, ohne
ungerecht gegen diefe zu werden, da wir ihnen genau
die gleichen Kampfbedingungen wie dem Chriftenthum
einräumen'. So fcheint dem Verf., die Pofition Troeltfch's
,noch keineswegs erfchüttert'; vielmehr fieht er ,in der
fpeculativen Verwerthung der Religionsgefchichte ein
werthvolles und hoffnungsreiches Moment für die nächfte
Phafe der deutfehen Theologie'. (S. 99). — Die zum Schlufs
von Rotfcheidt mitgetheilte katholifche Synodalrede aus
dem XVI. Jahrhundert hat den 1525 in Dordrecht geborenen
, wegen feines Eifers gegen die Bekenner der
evangelifchen Lehre von Philipp II. befonders ausgezeichneten
, 1588 als Bifchof in Gent gefforbenen Lin-
danus zum Verfaffer. Dafs derfelbe keineswegs blind
gegen die Schäden der eigenen Kirche war, erhellt aus
der von R. ihrem Inhalte nach wiedergegebenen und
mit ausführlichen Citaten in deutfeher Ueberfetzung aus-
geftatteten Synodalrede. Als Motto dient Phil. 121;
den Text hat L. aus Pf. 132 entnommen: Sacerdotes tui
induantur justitia et saneti tui exultent. Drei Stücke gehören
zur priefterlichen Gerechtigkeit: Fidei orthodoxae
doctrina et prqfessio, piae viae conversatio (wobei die
Lafter, die befonders zur Klage Anlafs geben, fchonungs-
los aufgedeckt werden, nämlich Concubinat, Simonie und
Völlerei), religiosus Dci adtits. Die Mittheilung diefer,
durch ihren religiöfen und fittlichen Ernft wohlthuenden
Rede ift zwar dankenswerth; nur mufs bemerkt werden,
dafs fie fich weder inhaltlich noch formell über das
Durchfchnittsniveau der katholifchen Synodalreden erhebt,
und von anderen Muttern z. B. von den Synodalreden
Maffillon's weit überboten wird.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Küppers, Pfarrverwefer Dr. W., Neue Untersuchungen über
den Quellenwerth der vier Evangelien. Grofs-Lichterfelde-
Berlin (1902), E. Runge. (V, 123 S. gr. 8.) M. 2.50

Wenn ein Zeugnifs in eigener Sache gültig ift, fo
liegt hier eine epochemachende Erfcheinung vor. Der
Verf. hofft auch, dafs feine Entdeckungen fich durchfetzen
werden, obwohl er die fchlimme Macht der Gewohnheit
kennt. ,Denn für mich allein kann das
Licht, das mir fo ftrahlend aufgegangen ift, doch
nicht beftimmt fein' (Vorw). Wie er zu feinen glücklichen
Entdeckungen gekommen ift, hat er in einer
Selbftanzeige in der internationalen theologifchen Zeit-
fchrift' 39. Heft, 1902, berichtet, der wir folgendes entnehmen
.