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Ausgabe:

1902 Nr. 20

Spalte:

544-545

Autor/Hrsg.:

Deelemann, C. F. M.

Titel/Untertitel:

Lucianus‘ geschrift De morte Peregrini 1902

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 20.

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des Markus - Evangeliums in Rom fällt ungefähr in
das Jahr 44 (S. 65 f.). Der Schlufs Marc. 169—20 flammt
auch noch von Markus felbft, ,welcher bei der Abfaffung
des Evangeliums im Jahre 44 die Feder vor gänzlicher
Vollendung der Arbeit weggelegt, unmittelbar aber
vor Veröffentlichung der Schrift in weiteren Kreifen
im Jahre 63 oder 64 fein Werk zum Abfchlufs gebracht
hat' (S. 100). — ,Das ,Lukasevangelium ift in der Zeit
61—62, die Apoftelgefchichte im Jahre 63 abgefafst
und jedenfalls im Sommer diefes Jahres abgefchloffen
worden' (S. 126). ^Bewundernswürdig ift die Kenntnifs,
welche Lukas bezüglich der Zeitverhältnifse, der politi-
fchen Einrichtungen und Zuftände fowohl in Paläftina als in
den übrigen Provinzen und Ländern des römifchen Reiches
an den Tag legt' (S. 153). ,Die Sonderlesarten des Codex
D und feiner Trabanten find, foweit es fich nicht um
Schreibverfehen handelt, lukanifches Gut ebenfo wie der
a-Text' (S. 229 f., dies das Refultat einer eingehenden
Unterfuchung über ,die zweifache Textrecenlion der
Apoftelgefchichte' S.214—233).— Johannes, derApoftel
und Jünger des Herrn, hat unter Berückfichtigung der drei
älteren Evangelien kurz vor Ende des erften chrifllichen
Jahrhunderts während feines Aufenthaltes in der Provinz
Afien auf die Bitte der dort (hauptfächlich von ihm felbft)
eingefetzten Bifchöfe und einzelner damals noch lebenden
Mitjünger auf Grund feiner Augenzeugenfchaft, um
die kirchliche Glaubensregel gegenüber den erftandenen
Falfchlehren feftzuftellen, eine Evangelienfchrift [nämlich
die uns erhaltene], abgefafst und den Gemeinden Kleinauens
übergeben' (S. 264).— Die fprachliche Verfchieden-
heit der Apokalypfe Johannis vom Evangelium läfst
fich recht wohl erklären, wenn man nur beachtet, dafs
Inhalt und Form der Offenbarung dem Verfaffer in
Vifionen mitgetheilt wurden. ,In dem ekftatifchen Zuftände
war Johannes fo zu fagen fich felbft wieder zurückgegeben
, empfand und dachte in der urfprünglichen
Mutterfprache, und als er dann das Gefchaute in Worte
umfetzte, erwies fich der Einflufs jener Mutterfprache fo
mächtig, dafs das angelernte griechifche Idiom alterirt
wurde' (S. 397). Was die Abfaffungszeit betrifft, fo darf
man, wenn man alles zufammennimnit, die Abfaffung im
Jahre 95 ,als gefichertes Refultat betrachten' (S. 408). —
Unter den paulinifchen Briefen ift der Galaterbrief der
ältefte, denn er mufs vor dem Apoftelconcil verfafst fein,
das im J. 50 ftattfand. ,Somit find wir in der glücklichen
Lage, das Jahr 49 mit aller Sicherheit als Abfaffungszeit
des bedeutungsvollen Schreibens bezeichnen zu können'
(S. 438). — Die Gründung der römifchen Kirche
durch Petrus wird indirect durch Apgefch. 12 17
(BJtoQev&tj tlg irtQOV xojtov) bezeugt, ferner durch Papias,
Clemens, Ignatius, Irenäus. Diefe Zeugnifse ,genügen
völlig, um die Tradition von der Gründung der römifchen
Kirche durch Petrus als wohlbeglaubigte hiftorifche That-
fache zu erkennen und anzunehmen, zumal in diefem
Betreff auch die Steine reden' (S. 514f.).— Der Conci-
pient des Hebräerbriefes war ohne Zweifel weder der
römifche Clemens, noch Lukas, noch Barnabas, fondern
Apollos (S. 600). Die paulinifche Autorfchaft ift aber
,in dem Sinne feftzuhalten, dafs der Apoftel felbft die
Anregung zu dem Briefe gegeben und das Schreiben
als das feinige adoptirt hat, wie namentlich das Schlufs-
capitel zeigt' (S. 601). Die in den Paftoralbriefen bekämpften
öiödoxaZoi ,haben mit den Gnoftikern des
2. Jahrhunderts und namentlich den Marcioniten gar nichts
zu thun, find überhaupt keine Häretiker, fondern noch
innerhalb der kirchlichen Gemeinfchaft flehende, meift aus
dem Judenthum hervorgegangene und mit unfruchtbaren
Speculationenen über das Gefetz befchäftigte, unnütze
Disputationen und Streit erregende Lehrer' (S. 634 f.). —
Der Brief des Jakobus ift noch vor dem Apoftelconcil
etwa im J. 49 abgefafst (S. 661). — Die Priorität des
Judasbriefes vor dem 2. Petrusbriefe mufs zwar ,als
fichere Thatfache betrachtet werden'. Ein Zeichen der

Unechtheit von 2. Petr. darf man aber darin nicht erblicken
, ,weil Petrus den Judasbrief mit voller Freiheit,
Selbftftändigkeit und ausgezeichnetem Verftändnifs benutzt
' (S. 709). — Die Kanonbildung beginnt bereits
in der Zeit der Apoftel. Die Apoftel betrachteten die
von ihnen felbft verfafsten Schriften ,als infpirirt wie die
altteftamentlichen kanonifchen Bücher und (teilten fie
darum den letzteren an Werth gleich' (S. 724). Petrus
erklärt in feinem 2. Briefe 3 15—16 ,nicht blos die paulinifchen
Briefe, fondern befonders auch das Markusevangelium
für kanonifch, an Anfehen und Werth mit den
altteftamentlichen Schriften auf gleicher Stufe flehend.
Petrus dachte wohl auch an das Lukasevangelium. Jedenfalls
aber vindicirt Paulus dem letzteren die Autorität
eines kanonifchen, den altteftamentlichen Schriften gleich-
werthigen Buches. Dies ergiebt fich aus 1. Timoth. 5 ix'

(s. 725).

Diefe Proben mögen genügen, um zu zeigen, dafs
der Verf. nicht blofs ein gehorfamer Sohn der Tradition
ift, fondein zuweilen auch recht fubjective und fragwürdige
Meinungen mit beneidenswerther Zuverficht als

I ,ficher' hinftellt. Letzteres unterfcheidet ihn namentlich
von Trenkle, der weniger eigenartig und im Ganzen

1 vorfichtiger ift.

Göttingen. E. Schürer.

Veldhuizen, Adr. van, De brief van Barnabas. Akad.
Proeffchrift. Groningen 1901, J. B. Wolters. (VI,
160 S. gr. 8.) M. 4.—

Deelemann, C. F. M., Pred., Lucianus'geschrift De morte
Peregrini. Akad. Proeffchrift. Utrecht 1902, Kemink
& Zoon. (IX, 198 S. gr. 8.)

1. Die erfte der beiden Differtationen bringt eine

1 Reihe von Unterfuchungen zum Barnabasbriefe: Erörte-
| rungen über die Handfchriften und den Text, über die
Teftimonien und die Gefchichte des gedruckten Textes,
über Inhalt und Dispofition, über die Form des Briefes
(ob echter Brief oder „Epiftel"), über den Lehrgehalt, über
die Herkunft (Verfaffer, Ort und Zeit), über die Ge-
meindezuftände, die der Brief erfchliefsen läfst. Der
Verf. bietet dem Fachmann nichts Neues. Es ift faft
alles fleifsig zufammengetragenes Material, das er in
ausführlicher Darftellung vorlegt. Eigene Unterfuchungen
ftellt er feiten an. Doch finden fich immerhin hie und
da welche, z. B. Erwägungen über die Interpolationsund
die Quellenhypothefe, die trotz Anerkennung ihrer relativen
Berechtigung abgelehnt werden. Die Frage nach
der Datirung des Briefes entfcheidet Verf. — m. E. ganz mit
I Unrecht — dahin, dafs das Schriftftück in die letzten
Jahre Domitian's falle: die drei grofsen Hörner in 44 f.,
der dunklen und vieldeutigen Stelle, follen die drei Fla-
vierkaifer bedeuten; unter dem letzten, deffen Sturz
fammt dem Sturze der Dynaftie erwartet wird, fchreibt
Barnabas. Aus 163 f. einen chronologifchen Anfatz zu
gewinnen, verfchmäht Verf., indem er die verfehlte
Deutung des wiedererbauten vaög auf den geiftlichen
Tempel der Chriftenheit wieder aufnimmt.

Alles in Allem ift's ein verftändiges, wenn auch
etwas breit und einförmig gefchriebenes Buch. Wer fich
über eine der oben angedeuteten Fragen orientiren will,
kann es ruhig zur Hand nehmen. Nur flehen die Litte-
raturangaben hie und da nicht auf der Höhe.

2. Aehnlicher Werth, wie der Arbeit Veldhuizen's,
kommt der zweiten Differtation zu. Auch fie ift,'fo gut
wie ausfchliefslich, eine umfichtige Zufammenftellung fchon
bekannten Materials. D. redet von Lucian's Leben, den
zeitgenöflifchen Verhältnifsen, von Lucian's Stellung zu
den Philofophen und zur Religion, er giebt Inhaltsan-

! gäbe, Ueberfetzung und Erklärung von De morte Peregrini
, handelt von dem Zwecke der Schrift, verwerthet fie
I als Quelle für Kenntnifs der zeitgenöffifchen heidnifchen