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Ausgabe:

1902 Nr. 19

Spalte:

521-523

Autor/Hrsg.:

Soltau, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Geburtsgeschichte Jesu Christi 1902

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 19.

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in das Gebiet der allgemeinen Einleitung und der Theologie
des Neuen Teftaments übergreifen, alfo z. B. die
Ausführung zu 1 ig ,Mann' oder ,Verlobter'; 517 Gefetz
und (,oder'f Propheten; 5 32 Ehefcheidung; 13 13—15 Jefaja-
Citat, die fich zu felbftftändigen Abhandlungen erweitern.
Hier insbefondere kommt dem Verf. feine Kenntnifs des
Semitismus zu Batten; fie müffen von jedem neuteftament-
lichen Forfcher felbft geprüft und erwogen werden; hier
kann von ihnen nicht weiter die Rede fein, fo wenig
wie von der Gefammtanfchauung, die in der Vorrede angedeutet
wird. Nur noch ein paar Einzelheiten. S. 89
findet M. die Ueberfetzung von övvsöqiov durch M2S> im
paläftinifchen Syrifch ,höchft feltfam' und vergleicht dazu
ganz junges Neuhebräifch; derfelbe Sprachgebrauch wird
fchon Pf. 1 1 verglichen mit Pf. Sah 41 vorliegen fflSJ und
övveöq'ico; falls nicht Pf. i 1 tTT» zu lefen ift). Der ,Chi-
liarch' von Mt. 81 findet fich aufser in den von M. genannten
Quellen (Tyr. Ueberfetzung der Theophanie des
Eufebius und Clement. Horn. 921) auch in einem fyrifchen
Text, deffen Veröffentlichung von Mrs. Lewis zu erwarten
ifi.1) Zu den Maran-Stücken, d.h. den Abfchnitten, in denen
im Sinaifyrer ,unfer Herr' (tatt Jefus' gefagt ilt, find jetzt
die Artikel von Bonus und Harris in den Expository
Times von Febr. bis Mai d. J. zu vergleichen.

Dafs M. auf die ebenfo fchwierige als wichtige
Frage nach dem Verhältnifs des Sinaifyrers zu Tatian
gar nicht eingeht, wird von Vielen als eine Lücke empfunden
werden. — Die drei übrigen Evangelien follen
kürzer in einem einzigen Bande behandelt werden.

Maulbronn. Eb. Neftle.

Soltau, Prof. Dr. Wilhelm, Die Geburtsgeschichte Jesu Christi, j

Leipzig 1902, Dieterich. (43 S. gr. 8.) M. —.75

Die Aeufserung des durch einige die Evangelien und
das Urchriftenthum betreffende Veröffentlichungen vor- j
theilhaft bekannten Verf.s, dafs ,diefelben hiftorifchen
Gefetze Geltung haben müffen, fei es, dafs es fich um
weltliche oder um heilige Gefchichtsquellen handelt' (S. 6)
bezeichnet von vornherein mit voller Deutlichkeit den
Standpunkt, von welchem er das von ihm in Angriff
genommene Problem unterfucht. Das Neue feiner Arbeit
lie^t nicht in diefem gegenwärtig faft allgemein anerkannten
und angewandten Grundfatz, fondern in der
Wahl der heidnifchen Vorbilder, die S. zur Erklärung
des Urfprunges der Legenden von Jefu Geburt und Kindheit
heranzieht. Während man zu wiederholten Malen
nach heidnifchen Analogien gegriffen hat, um die jungfräuliche
Geburt oder auch andere Züge der Matthäus-
und Lukastradition zu erklären, hat der Verf. in erfler
Linie auf Infchriften oder auch auf andere heidnifche
Vorbilder hingewiefen, die er mit grofser Zuverficht
als die Vorlagen der evangelifchen Erzählungen
darzuthun unternimmt. Ref. kann nicht umhin, zu bekennen
, dafs das in dem Anhange mit Sorgfalt mitge-
theilte und in der Schrift felbft mit Scharflinn erläuterte
Material ihn von der Haltbarkeit der durch S. vertretenen
Pofition nicht zu überzeugen vermocht hat. Vielmehr
fcheint ihm der Verf. der Verfuchung erlegen zu fein,
zufällige und z. Th. recht äufserliche Analogien zu wirklichen
Entlehnungen umgedeutet und unbeftimmte Angaben
zu weitgehenden Motiven verdichtet zu haben.
Bereits der Verfuch, in den zwei vorliegenden Ueber-
lieferungen ältere und jüngere Beftandtheile zu unter-
fcheiden und den Procefs der Traditionsbildung nach
leinen einzelnen Momenten zu analyfiren, mufs als
äufserft gewagt bezeichnet werden, jedenfalls über-
fchreitet er die durch eine befonnene hiftorifche Kritik
ftets zu beobachtende Grenze zwifchen gefchichtlich Beweisbarem
und rein Möglichem oder felbft Wahrfchein-

1) Nachfchrift bei der Correctur: Soeben erfchieaen, Studia Sinaitica
XI, p. XXVII. 71. (10. 8. 02).

lichem. Und nun gar die zwei Elemente, die die juden-
chriftliche Tradition völlig umgeftaltet haben follen! Zu-
nächft foll der heidnifche Urfprung des Lobgefanges der
Engel (Luk. 2 8 f.) ,ganz klar' aus Infchriften erhellen, die
in manchen Städten Kleinafiens, fo in Perfien und Hali-
karnafs, gefunden worden find. In diefen, aus den Jahren
2 v. Chr. bis 14 n. Chr., die Feier der Gedenktage des
Auguftus anbefehlenden Verordnungen, wird Auguftus
als Heiland (öcjTz/p) des ganzen Menfchengefchlechtes
gepriefen, bei dem die Vorfehung (jigovoia) die Wünfche
aller nicht nur erfüllt, fondern fogar übertroffen habe.
Denn Friede herrfcht auf Erden, Eintracht und Ordnung
regieren. Die Menfchen find von den beften
Hoffnungen für die Zukunft, von frohem Muthe für die
Gegenwart erfüllt'. ,Der Jubel über Auguftus' Geburt hat
alfo hier einen ähnlichen Ausdruck wie bei Lukas 2 10 f.
die Freude über Jefu Geburt gefunden. Solche und
ähnliche Schilderungen von der Glückfeligkeit der Welt
feit dem Erfcheinen des Auguftus können alfo dem
Evangeliften nicht unbekannt geblieben fein, als er die
Worte Lukas 2s—20 fchrieb. Er übertrug fie auf die
Zeiten, da fein Heiland geboren war'. Vergleicht man
indeffen die Originale, fo mufs fofort die grofse Ver-
fchiedenheit der beiderfeitigen Auslagen auffallen, denn
durch den Zufatz, den der Verf. in feinen Erläuterungen
S. 18 nicht mittheilt: ,Friede zu Land und zur See'
(etgrjvtvovöi fiev jag yrj xcu &aXarra) gewinnt doch die
Stelle ein ganz anderes Geficht, und auch die folgenden
von S. fett gedruckten Worte evvofiicu, svsrijQiai, SV&VllUtq,
(S. 36) liefern doch nur eine ganz unzureichende, aut den
Gleichklang des Ausdrucks fich reducirende Parallele zu
dem sv clv&qcojcois svöoxlaq des Evangeliften. Spricht
demnach S. hier von ,Ueberrafchung' (S. 19), fo gilt
diefelbe nicht der angeblichen ,Ueberein(timmung' fehr
verfchiedener Texte, fondern der verblüffenden Virtuoh-
tät des Verf., aus unficheren und unzureichenden Voraus-
fetzungen weitreichende Schlüffe zu ziehen. — Auf diefer
fo fchwachen Bafis führt der kühne Verf. aber weiter ein
Gebäude auf, deffen Zerbrechlichkeit aus der Schlufs-
folgerung, S. 24, einleuchten wird: ,Es verdient Beachtung,
dafs wohl erft, nachdem die befeligende Botfchaft Luk. 2,14
von Auguftus auf Jefus übertragen war, auch der weitere
Schritt gemacht fein wird, und verhältnifsmäfsig leicht
gemacht werden konnte, die übernatürliche Herkunft des
Auguftus auf Jefus zu übertragen. Wie die Mutter des
Auguftus vom Gotte des Lichtes und der Weisheit heim-
gefucht war, fo meinte man, follte auch der neue Frie-
densfürft natürlicher Weife von dem Geifte aller Wahrheit
und Weisheit feinen Urfprung herleiten dürfen!' Wie
reiht fich hier in abenteuerlicher Weife Conjectur an
Conjectur zu einer Kette unbeweisbarer Behauptungen!

Nicht beffer fteht es mit der Erzählung von den
Ma giern, bei welcher, nach S., die Motive auseinander zu
halten find: 1) der ihnen voranleuchtende Stern; 2) der
Zug der Magier nach Welten und ihre Rückkehr auf anderem
Wege; 3) die Anbetung und die Befchenkung des
neuen Königs. Zu Num. 3 mag Jefaj. 60,6 dem Evan-
gelilte n vorgefchwebt haben, .aber im übrigen ift es
zweifellos, dafs alle anderen Einzelheiten nicht auf jü-
difchem Boden erwachfen find, fondern auf heidnifcher
Mythenbildung beruhen'(S. 19—20). DieStelleMofe24,17
ift ,ficherlich mit Unrecht' hier herangezogen worden.
.Dagegen ift das Sagenmotiv, das Auftreten grofser
Männer mit dem Erfcheinen leuchtender Sterne in Verbindung
zu bringen, in der Heidenwelt weit verbreitet.
Bei Alexander dem Grofsen, bei Mithradates, bei Caefar
und bei Auguftus follen zur Zeit ihrer Geburt helileuchten-
de Himmelserfcheinungen erblickt worden fein. Befonders
beachtenswerth erfcheint, dafs, wieSueton erzählt (Aug. 94)
bei den Wunderzeichen, welche zur Zeit der Geburt des
Auguftus beobachtet worden waren, die Zeichendeuter die
Erklärung abgegeben haben follen, es werde durch fie
die Geburt des Herrn der Welt angekündigt. Damit

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