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Ausgabe:

1902 Nr. 19

Spalte:

519-521

Autor/Hrsg.:

Merx, Adalbert

Titel/Untertitel:

Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte. Übersetzung und Erläuterung der syrischen im Sinaikloster gefundenen Palimpsesthandschrift. Zweiter Teil., erste Hälfte,

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 19.

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während andere nur von der Befchneidung der Priefter
fprechen. Für die Allgemeinheit hätte Wendland noch
einen fehr wichtigen Zeugen anführen können, auf welchen
ich durch Winer aufmerkfam gemacht worden bin,
nämlich Agatharchides {Geographi graeci minores ed.
Carol.Müller LS. 154: dieTroglodyten xa&äjtEQ Alyvjiziovq
xctvtaq, hiernach Diodor. III, 32, welcher aber jiävxuq
wegläfst). Trotz diefes Zeugnifses fcheint es mir aber
nicht wahrfcheinlich, dafs die Befchneidung bei den
Aegyptern wirklich in der Weife allgemein war wie bei
den Juden. Namentlich die Jeremia-Stelle dürfte ein
ftarkes Argument dagegen bilden, und die Aeufserungen
des Herodot, Strabo und Philo find fo unbeftimmt gehalten
, dafs fie für ausnahmslofe Geltung der Sitte nicht
entfcheiden. Andererfeits ift es doch von grofsem Gewicht
, dafs Artapanus und Jofephus nur von Befchneidung
der Priefter fprechen. Das Gewicht diefes Zeugnifses
erkennt auch Wendland an. Er nimmt daher für diefe
fpätere Zeit eine Lockerung der alten ftrengen Sitte an
(S. 29). Ich möchte nach allem, was wir wiffen, es für
wahrfcheinlich halten, dafs die Befchneidung in Aegypten
in den Zeiten, in welche unfere Kunde zurückreicht, im
Wefentlichen auf die höheren Stände befchränkt war.
Wenn fie durch Hadrian ftreng auf den Priefterftand ein-
gefchränkt worden ift, fo ift die Entwickelung der letzten
zwei Jahrhunderte vorher diefem Zuftande vermuthlich
fchon nahegekommen.

Auf eine intereffante, bisher in diefen Unterfuchungen
noch nicht herangezogene Stelle Philo's hat Wendland
aufmerkfam gemacht, nämlich Qnacst. in Genes. III, 47
(zu Gen. 1710. 11 cd. Aucher S. 218): Primurn enitn Ae-
gyptii per consuetudinem regionis anno aetatis decimo
quarto, quando mas incipit seminis usum gerere et fe-
mina sanguinis cruptionem sentire, tarn sponsuni quam
sponsani circumcidunt .... Ib. § 47 S. 220: Aegyptii
quoque bis septimo aetatis anno . . . convenire cir-
cumcidere designarunt. Während man bisher für die
Thatfache, dafs auch die Aegypter wie die Araber die
Befchneidung erft mit PCintritt der Pubertät vornahmen,
fich nur auf das Zeugnifs des Ambrofius berufen konnte,
hat Wendland in diefer Stelle Philo's die Quelle, aus
welcher Ambrofius gefchöpft hat, nachgewiefen und damit
die Sache felbft aufser Zweifel geftellt.

Göttingen. E. Schürer.

Merx, Adalbert, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem
ältesten bekannten Texte. Überfetzung und Erläuterung
der fyrifchen im Sinaiklofter gefundenen Palimpfeft-
handfchrift. Zweiter Teil, erfte Hälfte, Erläuterung,
Matthaeus. Berlin 1902, G. Reimer. (XXIII, 438 S.
gr. 8.) M. 12.—

Was Wellhaufen in feinem Gedenkblatt auf Ewald
von diefem feinem ehemaligen Lehrer fagt, dafs er durch
feine Vertrautheit mit dem Judenthum und dem Semitismus
fprachlich und hiftorifch entfchieden beffer zum
Interpreten des Neuen Teftaments, wenigftens der Evangelien
, vorbereitet war, als feine Gegner, das gilt in
mancher Hinficht auch von diefen Erläuterungen zum
Matthäus-Evangelium, wenn man fie mit unteren gewöhnlichen
Commentaren vergleicht. Urfprünglich wollte
Merx nur Erläuterungen zu der von ihm im Jahre 1897
veröffentlichten Ueberfetzung des Sinaifyrers geben; f.
des Unterzeichneten Anzeige in Nr. 16 der ThLZ. von
1898, Sp. 438—440. Aber die Sache hat ihn weiter geführt
. Dies zeigt fich fchon äufserlich darin, dafs
aus dem Kleinoctav des erffen Bandes beim zweiten
ein ftattliches Grofsoctav geworden ift, gewifs nicht zur
Freude mancher Bücherfreunde. Auch die Fractur-
Schrift des erlten Bandes iff im zweiten mit der Antiqua
vertaufcht, und, um noch auf eine Eigenthümlich-
keit aufmerkfam zu machen: der erfte Titel des neuen

Bandes ftimmt nicht mit dem Umfchlage: im Buche
heifst es in unrichtiger Ordnung ,erfte Hälfte, Erläuterung
', auf dem Umfchlage ift die richtige Reihenfolge
hergeftellt, dafür aber im Widerfpruche zu dem Obertitel
die Mehrzahl eingeführt, ,Erläuterungen erfte Hälfte,
das Evangelium Matthaeus'. Auch fonft fehlt es nicht an
Proben einer etwas rafchen Arbeitsweife. Die nachträglichen
Bemerkungen S. XXII f. mufs man forgfältig in
fein Exemplar eintragen, wenn man aus demfelben nicht
folche Unrichtigkeiten wiederholen will, wie die, dafs der
Cureton'fche Syrer zujoh. 7. 8 defect fei. S. 34 lefen wir,

1 dafs Elifabeth ,Jefu vor der Schwerter des Herodes' in
die Wüfte geflüchtet habe; es mufs heifsen den Johannes
vor dem Schwerte. In der Anmerkung der nächften
Seite fchreibe Meyer ftatt Mayer; S. 336 secretioribus,
ftatt secretionibus. Aber ich will mich bei folchen Kleinigkeiten
nicht aufhalten; das Buch bietet des Anregenden
fo viel, dafs es allen Exegeten des Neuen Teftaments
zum forgfältigften Studium zu empfehlen ift. Vielfach
wird es allerdings auch Widerfpruch herausfordern. Mit
der ganzen Begeifterung, aber auch Einfeitigkeit eines
Anfängers und Bahnbrechers hat fich Merx auf feine
Aufgabe geworfen, den neuteftamentlichen Exegeten und
Textkritikern das neue Licht aufzuftecken, das ihm im
Sinaifyrer aufgegangen zu fein fcheint. Soweit es fich
dabei um Zugänglichmachung neuen textkritifchen Ma-
teriales handelt, wird ihm dafür uneingefchränktes Lob
zu Theil werden, und mit Befchämung fieht man wieder
einmal, wie dürftig das Material ift, mit dem unfere
meiften Exegeten zu arbeiten pflegen, wie viel, mit
anderen Worten , in Tifchendorf's Octava noch fehlt.
Dafs z. B. 1 25 ein fo wichtiger Zeuge, wie der altlateini-
fche Codex k ftatt ,und er erkannte fie nicht, bis fie gebar
', faft genau, wie der Sinaifyrer hat ,und fie gebar',
fehlt bei Tifchendorf, und in Folge davon bei unferen
Commentatoren völlig. Aehnlich ift es mit wichtigen
Citaten aus den älteften Schriftftellern, z. B. mit der Weg-
laffung des dyaOov 310 in einer Haupthandfchrift des
Irenaus, mit der Bezeugung des Plurals in coelis in
Mc. 16, 19, f. bei Merx S. 3 am Rand. Andererfeits
laffen fich natürlich auch noch feine Mittheilungen vielfach
ergänzen: zu 517 i] ftatt xdl vgl. die Apoftolifchen
Conftitutionen 1 b. Wichtiger ift aber die Frage, ob Merx
mit feiner Beurtheilung des alten und neuen textkritifchen
Materiales recht hat. Darüber fich zu äufsern fcheint
fehr gefährlich in einem Augenblick, wo von Soden
fchon feinen Profpect in die Welt fandte über ein Werk,
das zum erftenmal das ganze zugängliche Material ver-
werthen wird. Trotzdem glaubt der Unterzeichnete der
Ueberzeugung Ausdruck geben zu dürfen, dafs Merx an
vielen Stellen mit feiner Beurtheilung der vorliegenden
Varianten und ihrer Gefchichte Recht bekommen wird;
aber doch nicht im Ganzen. Der Gefahr, feinen Codex,
in diefem Fall feine fyrifche Ueberfetzung, zu über-
fchätzen, ift er nicht entgangen. Er hätte fonft nicht aus
einem Schreibfehler der Handfchrift oder einem Lefe-
fehler der erften Herausgeber folche Folgerungen gezogen
, wie zu 5, 48 und 418. An der erften Stelle hat
der Schreiber ,wie' ausgelaffen und nachträglich über
der Linie ergänzt. Merx erfchliefst daraus eine urfprüng-
liche Lesart mv ftatt coq, und redet dabei von einem
,ganz thörichten' sicut et einiger lateinifchen Zeugen, das
auch der Armenier ausdrücke, und wovon Ulfilas und
der Memphite noch nichts wiffe. Als ob nicht xdl in
Vergleichungsfätzen im klaffifchen Griechifch ganz gewöhnlich
wäre (Blafs, Gr. des Nt. Gr. § 781). An der
zweiten Stelle hatte M. ein mv als ,neutrale Bafis' für
die Varianten sieqixuxoov und jtaQccymv gefolgert. Durch

| die nachträgliche Bemerkung S. XXII fällt die ganze

j Seite 59 dahin. Aber trotz folcher Mifsgriffe bleibt das
Urtheü beliehen, dafs die Unterfuchungen fehr anregend
find. Und dies gilt ebenfo von den Ausführungen, welche

I nicht die Textkritik im engeren Sinne betreffen, fondern