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Ausgabe:

1902 Nr. 17

Spalte:

479-480

Autor/Hrsg.:

Hoennicke, Gustav

Titel/Untertitel:

Studien zur altprotestantischen Ethik 1902

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Seite 1

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479

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 17.

480

lieh wird 1575 Verpflichtung auf das corpus doctrinae
Philippicum eingeführt.

S. 22 Z. 2 v. u. lies: viel mehr; das, zwar allem Ar.-
fcheine nach auch im Originale flehende: viel weniger
ift Latinismus, der in einer populären Darftellung fallen
mufs. Das Datum des Briefes ift übrigens kaum richtig
(f. Enders: Luther's Briefwechfel V, 164).

Giefsen. W. Köhler.

Hoennicke, Privatdozent Dr. Guftav, Studien zur altprotestantischen
Ethik. Berlin 1902, C. A. Schwetfchke & Sohn.
(VIII, 132 S. gr. 8.) M. 3.60

In vorliegender Erftlingsfchrift, die von dem ernften
Eleifse ihres Verf.s Zeugnifs giebt, liefert diefer einen
Beitrag zur Erforfchung der altproteftantifchen Theologie.
Seinem Urtheile, dafs diefes Forfchungsgebiet, zumal in
feinen die Ethik betreffenden Theilen (S. 1), in der Neuzeit
mit Unrecht vernachläffigt werde (S. V), wird man
im Ganzen nicht widerfprechen können, wenn auch gerade
aus den letzten Jahren verfchiedene monographifche Arbeiten
über Gegenftände aus jenem Gebiete vorliegen,
wie z.B. die Unterfuchungen von H. Schultz und M. Koch
über den ordo salutis und die beiden Bonner Differtationen
von W. Radecke über den Rechtfertigungsbegriff in J. Ger-
hard's Loci theologici (1900) und von H. Römer über ,die
Entwickelung des Glaubensbegriffs bei Melanchthon nach
deffen dogmatifchen Schriften' (1902). Indem der Verf.
das, was Gafs und Luthardt in ihren Gefchichten der
chriftlichen Ethik über den alten Proteffantismus darbieten
, dürftig rindet, ift er fich wohl deffen bewufst,
mit feiner Arbeit eine vorhandene Lücke ausfüllen zu
helfen. In ihr giebt er einleitungsweife einen ,gefchicht-
lichen Ueberblick über die altproteflantifche Ethik', in
dem er einige ,kleinere, theilweife bisher unbekannte
Schriften' aus der Königlichen Bibliothek zu Berlin citirt
und benutzt hat. Irgendwelche Vollftändigkeit hat der
Verf. in diefem Abfchnitte, in dem er fich überdies aus-
fchliefslich an die Entwickelung im lutherifchen Gebiete
hält und auf die parallelen Erfcheinungen in der refor-
mirten Theologie überhaupt nicht eingeht, natürlich nicht
erftrebt. Immerhin hätte darin und wieder am Schlufse,
wo es heifst, dafs Calixt ,die Ethik zu einer eigenen
VViffenfchaft geftaltete und fie völlig felbftändig gegenüber
der Philofophie neben die Dogmatik ftellte' (S. 128),
der gleichartigen Verdienfte des der Reformationszeit
angehörigen, bald fo gut wie verfchollenen und erft 1850
von E. Schwarz geradezu wieder entdeckten Nürnberger
Predigers Thomas Venatorius, der 1529 drei Bücher de
virtute cliristiana herausgab, wohl gedacht werden dürfen.
Nach der hiftorifchen Einleitung giebt der Verf. in
einem erften Theile eine ,Unterfuchung über die Begriffe
ßoenitentia und sanetificatio und ihre Bedeutung
für die Ethik', im zweiten Theile behandelt er ,die
Grundzüge des neuen Lebens' unter den Ueberfchriften
,der Eintritt in das neue Leben', ,das neue Leben in
feinem zeitlfdaan Verlaufe', ,die innere Heiligung und
das ethifche ZTel'. Dabei befchränkt er fich darauf, Melanchthon
, J. Gerhard und Quenftedt als ,die bedeutend-
ften Theologen jener Zeit' in den Kreis feiner Unter-
fuchung zu ziehen, geht aber gelegentlich auch auf
Luther, die Concordienformel und Bellarmin ein. Die
Anordnung, in der der Verf. den von ihm gefammelten
Stoff verarbeitet, erfolgt leider in der Art der Local-
methode, indem unter den fchon genannten Paragraphen-
überfchriften jedesmal die in Betracht kommenden Anflehten
von Melanchthon, Gerhard und Quenftedt mit-
getheilt und verglichen werden. Der hiftorifche Ent-
vvickelungsgang wird auf diefe Weife jedoch nicht fcharf >
und deutlich herausgearbeitet, und der gefammte Stoff
mehr oder weniger zerfphttert. Damit hängt es zu-
fammen, dafs wichtige Gedanken, insbefondere von Melanchthon
, wie z. B. feine ihm mit Luther gemeinfame
Lehre von der erften Tafel des Gefetzes in ihrer Beziehung
zu der Rechtfertigungslehre und das von ihm
herrührende Theologumenon von dem triplex usus legis
in ihrer Bedeutung nicht genügend zur Geltung gebracht
werden. Auch im Einzelnen bin ich mit dem Verf. nicht
immer einverftanden. Wenn diefer der Concordienformel
nachfagt, fie ,Richte eine Theologie zu promulgiren, der
Luther's Schrift de servo arbitrio entfprach' (S. 6), fo ift
diefer Anficht doch entgegenzuhalten, wie gründlich der
confequente Determinismus, dem Luther gerade in jener
Schrift Ausdruck giebt, in dem 11. Art. der F. C. abge-
ffumpft worden ift. Das Urtheil ferner, dafs Ofiander eine
,genuin-lutherifche Auffaffung von der Rechtfertigungslehre
' gehabt und dafs er dabei nur die Ethik mit der
Metaphyfik verwechfelt habe (S. 49), hätte der gegen-
theiligen Anficht gegenüber mindeftens auch zu begründen
verfucht werden müffen, wenn es denn doch
einmal ausgefprochen werden follte. Intereffant find die
Proben, die der Verf. im Anhange feiner Schrift aus des
Predigers Günther Christianae exercitü pictatis metrici
sive epigrammatum sacrorum libri III (1687) hat abdrucken
laffen, ,um die religiöfe Stimmung der Zeit der
lutherifchen Orthodoxie zu charakterifiren'.

Bonn. O. Ritfchl.

Mausbach, Prof. Dr. Jofeph, Die katholische Moral, ihre
Methoden, Grundfätze u. Aufgaben. Ein Wort zur
Abwehr und zur Verftändigung. (Görres-Gefellfchaft
zur Pflege der Wiffenfchaft im katholifchen Deutfch-
land. DritteVereinsfchrift für 1901.) Köln 1901, J.B.
Bachem in Komm. (158 S. gr. 8.) M. 2.50

Der Verf. bezweckt eine Abwehr nicht der populären
Angriffe auf die katholifche Moral, wie derjenigen eines
Grafsmann, wohl aber der ernfter zu nehmenden Angriffe
der proteftantifchen Theologie, befonders der
fcharfen Urtheile W. Herrmann's in feiner Schrift
,Römifche und evangelifche Sittlichkeit'. Weil fich diefe
Angriffe hauptfächlich gegen die katholifche Kafuiftik
richten, befpricht der Verf. im erften Theile fpeciell
diefe Kafuiftik. Man dürfe ihre Bedeutung innerhalb
der katholifchen Lehre und die Autorität des h. Alfons
von Liguori nicht überfchätzen. Die katholifche Kirche
identificire fich nicht mit einem einzelnen Lehrer. Die
Verleihung des Titels eines Doctor ecclesiae an den h.
Alfons durch Pius IX. gehöre nicht zu den ex cathedra ge-
fchehenen infalliblen Aeufserungen des Papftes und
bedeute nicht eine Herabfetzung des Anfehens anderer
Kirchenlehrer. Die Verleihung diefes Ehrennamens geweift
weder, dafs alle Meinungen des Kirchenlehrers
richtig, noch auch, dafs feine Methode nach jeder Seite
hin tadellos oder beffer ift als die anderer kirchlicher
Lehrer' (S. 23). Die kafuiftifche Moral fei fpeciell auf
die Bedürfnifse des Beichtftuhles berechnet. Aber neben
ihr gebe es eine bedeutende und einfiufsreiche asketifch-
myftifcheMoralbehandlung fürdieChriften aller Stände und
eine fcholaftifch-fpeculative Moralbehandlung, in der die
moralifchen Principienfragen, die Fragen des Naturrechtes
und des wirthfehaftlichen Lebens gründlich erörtert würden.
Weil aber die katholifchen Geiftlichen durch den Beichtftuhl
eine fo viel engere Berührung mit dem praktifchen Leben
hätten, wie die proteftantifchen, könne fich die katholifche
Moral nicht auf eine Erörterung der Principienfragen be-
fchränken und die fittliche Entfcheidung auch nicht dem
Gefühle anheimftellen. Sie müffe ins Detail eingehen,
müffe an fchwierigen und zweifelhaften Einzelfällen die
Begriffe zu klären und ,eine untere Grenze des Allgemeingültigen
feftzuftellen' fuchen. Deshalb die Unentbehrlich-
keit der Kafuiftik. Aus den ausführlichen Unterfuchungen
der Moraliften über das fechfte Gebot fei nicht zu folgern,
dafs im Beichtftuhle unnöthige Fragen diefer Art geftellt