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Ausgabe:

1902 Nr. 16

Spalte:

454-455

Autor/Hrsg.:

Rehmke, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Seele des Menschen 1902

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 16.

454

der Entwickelung der Himmelskörper, in der Ausge-

ftaltung der Erde, in der ftufenweifen Aufeinanderfolge

der Organismen, im Pflanzen-, Thier- und Menfchenleben

und hat zwar ihren .nächften Grund' in der ,Wefensan-

lage' der Dinge, fetzt jedoch als ihre .höchfte Urfache'

einen ,Urwillen' voraus, der ,einer', ,perfönlich', ,wefen-

haft' und .fchöpferifch' ift.

Der zweite Theil bemüht fleh, den Darwinismus zu

widerlegen, indem er theils die Realität der Vorgänge, I TtTTüäüll ";J "■ -~X'j< ^"r*"»—7"!

l—i_ LG. c-_____.4.1 x_. „au k„n„;^*. I . über das Seelenleben. In jenem giebt die ,Ontologie'

Reh mke, Johannes, Die Seele des Menschen. (AusNaturund
Geifteswelt. Sammlungwiffenfehaftlich-gemeinver(ländlicher
Darftellungen aus allen Gebieten des Wiffens.
36. Bändchen.) Leipzig 1902, B. G. Teubner. (IV, 156 S.
8.) Geb. ML 1.25

Das vorliegende Buch zerfällt in einen metaphyfifchen
Theil über das Seelenwefen und in einen pfychologifchen

durch welche diefer die Evolution erklären will, beftreitet,
theils die aus der Paläontologie, Embryologie und Morphologie
entnommenen Beweife als fehlerhaft anficht,

die Antwort auf die Frage: ,Was ift die Seele überhaupt?',
während es die Pfychologie vielmehr mit der Frage nach
der Seele im Befonderen zu thun hat. Der Verf. fagt

theils insbefondere die Anwendung der betreffenden S. 3: ,das Wirkliche, welches wir Seele nennen, mufs ent-
Auffaffung auf den Urfprung des Menfchen einer Kritik weder Einzelwefen oder Beftimmtheit von Einzelwefen

unterzieht. Der Verf. unterfcheidet dabei recht wohl fein. denn........die zwej Begriffe) wekhe dje beiden

zwifchen der Descendenztheor.e im allgemeinen und der aiigemeinften für das Gegebene überhaupt bedeuten (?)
Geftalt, welche diefe durch Darwin erhalten hat: nur die flnd Einzelwefen und Beftimmtheit' (Merkmal, Eigenfchaft
letztere will er eigentlich bekämpfen; dennoch Hellt er Zuftand;> Vermöge des fchon in diefem Satze fich ausgelegentlich
überhaupt jede Entwickelungslehre in Frage fprechenden Begrififsrealismus, dem der Verf. überhaupt
und fchiefst fo über das Ziel, das er fich gefleckt hat, huldigt) wird weiterhin im Gegenfatze zu dem Materialis-
hinaus. Aber er ift fo vorfichtig, am Ende faft aller m(JSj dem Halbmaterialismus und der Theorie vom
einzelnen Abfchnitte des; längeren und breiteren aus- pfychophyfifchen Parallelismus die Seele als ein Einzel-
einanderzufetzen, dafs felbft wenn der Darwinismus mit , wefen beftirnmt nd demgemäfs das menfehliche Einzel-
fe.nenThefen im Recht wäre, dadurch eine teleolog.fche wefen fur ein zufammen|efetztes, für die Einheit eines
Welterklarung immer noch nicht ausgefchloffen wurde , körperlichen und unkörperlichen Einzelwefens, nämlich
Es darf nun gew.fs anerkannt werden da s die des Ldbes und der erklärt'(S. 24). Infofern ift der

Pubhcat.on Ph J. Mayers bei maafsvoller Polemik von ; Menfch eine urfächliche Einheit, d. h eine Einheit, die
grofser Belefenheit zeugt; und es mufs zugeftanden , auf dem Wirkungszufammenhange ihrer Einzelwefen, Leib
werden, dafs einzelne gegen die Selectionstheor.e im , und Seek beruht. (s 3 } ,Diefer Wirkungszufammenhang
Kre.fe der Fachleute erhobene Einwände den Gedanken begründet die Einheit der beiden Einzelwefen', aus denen
an eine Revifion des teleologifchen Arguments nahelegen er zufamrnengefetzt m. Die Seele ,als das unkörperlich
können. Nichts deftoweniger lafst fich dem Unternehmen — - . - -

wie es fchliefslich ausgefallen ift, mit gutem Gewiffen
nicht zuftimmen. Ob der Darwinismus und gar die
Entwickelungslehre überhaupt begründet fei, das ift
eine Frage, die zu entfeheiden denn doch ein ganz

gegebene unferer Erfahrungswelt, hat .... keinen Ort,
ift alfo im eigentlichen Sinne des Wortes nirgends; aber
trotzdem ift fie' (S. 35). Sie ift zugleich einfaches und
unvergängliches Einzelwefen (S. 40) und, da Bewufstfein
keine ,Befonderheit feelifcher Beftimmtheit' fein kann, auch

™^^;L^ Z^^ itZl Ä i gleichbedeutend mit Bewufstfein (S.M Infofern hat fie

mufste: mit Daten aus zweiter Hand, mit blofsen Citaten
und einer Summe von Beifpielen ift nicht viel ausgerichtet
. Und was fpeciell die neue Form anbetrifft, in
die der alte Gottesbeweis gekleidet wird, fo ift fie kurz

als gegenftändliches Bewufstfein Wahrnehmungen und
Vorftellungen, als zuftändliches Gefühle, und da fie ferner
Gegenftändliches und Zuftändliches auch als Unter-
fchiedenes hat, fo ift fie drittens denkendes Bewufstfein

weg als verunglückt zu bezeichnen. Der Autor ve - (S } Gegenftändliches, zuftändliches und denkendes
ziehtet namheh darauf die eine Pramiffe des Arguments Bewufstfein aber ift fie in jedem Augenblicke zugleich,
dahin zu formuhren, dafs die Welt zweckmafsig einge- I n---- ... ■>......

richtet fei. Unter Verwendung eines durch das Anfehen
K. E. von Baer"s gedeckten Wortes drückt er fich vielmehr
fo aus, dafs in der Natur ,Zielftrebigkeit' conftatirt

Dagegen ift nicht auch der Wille ,eine befondere vierte
Beftimmtheit der Seele' neben den anderen, fondern ,nur
die urfächliche Selbftbeziehung des Bewufstfeins auf eine
vorgeftellte Veränderung' (S. 72). Während nun die Oert-

werden müffe. Diefer moderne Begriff wird aber unter lichkejt idje einheitftiftende Beftimmtheit des Dinges in
feinen Händen zu einer Kategorie von unglaublicher Elafti- fejnem einzelnen Augenblicke' ift, fo findet der Verf. ,die
cität, innerhalb deren alles mögliche fubfumirt werden einheitftiftende Beftimmtheit der Seele' in dem, was im
kann. Wo, um nur wenige charakterillifche Exempel anzu- kh aufser feinen drd ßeftimmtheiten noch zum Ausdrucke
führen, ein .auffteigender Entwickelungsgang', ein Drangen kommt) und nennt dies >3as Subject des feelifchen Einzelnach
Realifirung beftimmter Geftaltungen nach Fort- wefens' (S. 74). Es ift ,ein einfaches Allgemeines', als
pflanzung fich bemerkbar macht, da wird ,Zielftrebigkeit fokhes ,nothwendig ein und dasfelbe für alle Seelen', und
anerkannt; von folcher ift jedoch auch da noch die doch einer jeden einzelnen Seele nothwendig zugehörig
Rede, wo feftgeftellt wird, dafs die Thiere am Aufbau als die eine jhrer wefentlichen Beftimmtheiten'. So ftützt

der Erdrinde' theilnehmen, indem ,fie durch ihre Skelette,
Schalen und Panzer kalkige und kiefelige Gefteine bilden',
dafs fie ,dem Pflanzenreiche' dienen ,durch die Ausfchei-
dung der Kohlenftoffe aus der Luft', dafs fie dem Men-

fich denn auch die ,Möglichkeit des Einswerdens aller

Beelen......in erfter Linie auf das Subject der Seelen',

und,als ein mögliches Entwickelungsziel der Seelen' bleibt

aung aer rvoiiieimuuc aus uci i^uu, uaia uc ucui ivien- 1 ^„ wpn;„(i... j.„i.l„ A„r h, r?. „ ,

fchen zur Nahrung und Bekleidung fich darbieten u. f. w. ! k ' ! 1^, ,daf[S 511L* ZU a^ ^'u"

,r^, r-. rr , 3 . . • , , F-inem eeeenltandhchen. zuftand hchen und denU-enrtpn Up.

Wenn der Baer'fche Begriff derart gedeutet wird, dann
ift es freilich möglich, deffen Vorhandenfein fchon bei
früheren Denkern nachzuweifen; dann ift aber auch das
mit Hilfe desfelben gefertigte neue Gewand des teleologifchen
Arguments ein recht altes; der erfte Theil der

nemgegenftändlichen, zuftändlichen und denkenden Bewufstfein
werden' (S. 75).

Diefe metaphyfifchc Perfpective, die den Seelen in
Ausficht geftellt wird, krönt den Apparat von begrifflichen
Abftractionen, mit dem der Verf. von vorn herein auch

~chrift, und, da der zweite diefem nur zur Stütze dient, {c.hon feinen anthropologifchen Dualismus begründet hat.
das ganze Buch erfcheint als — nicht abfolut unent- , Ueberzeugend find alle diefe Speculationen wohl nur für
behrlich. folche, die die begriffsrealiftifchen Vorausfetzungen des

Verf. theilen. 6

Strafsburg i. E. E. W. Mayer.

Ungleich werthvoller als diefer ontologifche ift jedenfalls
der zweite pfychologifche Theil der Schrift, in dem
der Menfch als gegenftändliches, d. h. wahrnehmendes und