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Ausgabe:

1902 Nr. 15

Spalte:

435-436

Autor/Hrsg.:

Schmid, K. A.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten und Schulmännern. 5. Bd., 2 Abtlgn 1902

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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435

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 15.

436

Die gröfste Schwierigkeit erwächft der katechetifchen I
Aufgabe in den Abtheilungen unter B. und C. Der Satz
Luther's: ,in welcher Chriftenheit er (der hl. Geift) mir
und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich ver-
giebt', führt einerseits auf den Gedanken, dafs die tägliche
Sündenvergebung ein täglich fich erneuernder Act
Gottes ifl, anderfeits aber, weil der hl. Geift diefen Act
vollzieht, auf den Gedanken, dafs die tägliche Sündenvergebung
in einer täglichen Erneuerung des Bewufst-
feins, trotz allem ununterbrochene Vergebung der Sünden
zu haben, befteht. Auch in der in anderer Beziehung fo
fchönen und evangelifch tiefen Erörterung, die Dörries
giebt, wird diefe Antinomie nicht zur vollen Klarheit auf-
gelöft. Auch in der Behandlung des Satzes: ,[dafs der
hl. Geift] am jüngften Tage mich und alle Toten auferwecken
wird', ift die durch Sperrdruck bezeichnete
Schwierigkeit umgangen, davon allen Toten, die vom
hl. Geift erweckt werden, auch in dem Satze vom Weltgericht
, wo der Herr die Gerechten von den Ungerechten
Scheiden wird, nicht geredet wird. Ich bin allerdings der
Meinung, dafs Luther in diefem Punkte einer wefent-
lichen Correctur bedarf; auch Dörries ift vermuthlich
derfelben Anficht, was aber in keiner Weife auch nur
angedeutet wird. Die Auferweckung aller ,am jüngften
Tage' ift ferner m. E. nicht plaufibel zu machen durch
die Annahme eines Todesfchlafes, der von der Todes-
ftunde des Einzelnen bis zum jüngften Tage währt, wie
Dörries thut, fondern nur von dem Gedanken Hebr. 1140
aus, dafs der Einzelne nur als Glied des Ganzen zur
Vollendung gelangen wird; mittlerweile gilt für den
Gläubigen Phil. 123. Die grofse Schwierigkeit, eschato-
logifche Fragen katechetifch (auch homiletifch) zu behandeln
, verkenne ich in keiner Weife; aber der Aufgabe,
in befcheidenen Grenzen eine einheitliche, klare und 1
den Grundgedanken des Evangeliums entfprechende An-
fchauung zu gewinnen und zu verbreiten, dürfen wir uns
m. E. nicht entziehen.

Für fernere neue Auflagen des fchönen Werkes von
Dörries, dasauf das wärmfte empfohlen fein foll, fcheinen
mir in der Bearbeitung der Eschatologie neue Aufgaben
vorzuliegen.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Schmid, weil. Prälat u. Gymn.-Rekt. Dr. K. A., Geschichte
der Erziehung von Anfang an bis auf unsere Zeit, bearbeitet
in Gemeinfchaft mit einer Anzahl von Gelehrten
und Schulmännern. Fortgeführt von Dr. Georg Schmid.
Fünfter Band. Zwei Abteilungen. Stuttgart 1901, J. G.
Cotta'fche Buchh., Nachf. (Lex. 8.) M. 26 —

V. 1. Bender, Dr. Hermann, Gefchichte des Gelehrtenfchul-
wefens in Deutfchland feit der Reformation. — Schmid, Georg,
Das neuzeitliche, nationale'Gymnafium. (VIII, 511 S.) M. 16.—.—
V. 2. Hoffmann, Prof. Dr. R., Gefchichte des Realfchulwefens
in Deutfchland. — Sallwürk, Geh. Hofrat Dr. E. von, Das höhere
Schulwefen in Frankreich von 1789—1899; dasfelbe in England im
19. Jahrhundert; das Bildungswefen der Jefuiten feit 1600.— Wych-
gram, Prof. Dr. J., Gefchichte des höheren Schulwefens in Deutfchland
und Frankreich. — Hamann, Prof. Dr. A., Gefchichte des
höheren Mädchenfchulwefens in England. — Schmid Dr. G.,
Nachtrag zur Gefchichte der preufsifchen Gymnafien und Realgym-
nalien. (VI, 316 S.) M. 10.—

Das von K. A. Schmid im Jahre 1884 begonnene,
urfprünglich auf vier Bände berechnete Werk geht feiner
Vollendung entgegen. Im Laufe der Zeit ift der Plan
wefenthch geändert worden. Aus den beabfichtigten
vier Banden find bereits neun Bände, theilweife von bedeutendem
Umfange, geworden; die Allgemeinverftänd-
hchkeit, in der auch auf einen gröfseren Kreis höher
Gebildeter gerechnet wurde, ift der fpecififch wiffen-
fchaftlichen, wohl ausfchliefslich für Kachmänner berechneten
Darftellung gewichen. Eine gewiffe Ungleich-
mäfsigkeit der Behandlung ift dadurch verurfacht, aber
der Gehalt des Ganzen hat u. E. dadurch nur gewonnen.
Der Dank, den wir den früher erfchienenen Bänden gezollt
haben, ift auch für die vorliegenden Bände unver- "
ändert. Die erfte Abtheilung enthält aus der Feder des
verdorbenen Rectors des Ulmer Gymnafiums, Oberftudien-
rath Dr. Hermann Bender, die Darftellung des Gelehrten-
fchulwefens in Deutfchland feit der Reformation (S. i—337)
und ,Das neuzeitliche, nationale' Gymnafium von Georg
Schmid (S. 337—511). Der letztgenannte Abfchnitt verbreitet
fich ausfchliefslich über die Reform von 1890 und
ihre nächften Folgen; bei derAbfaffung diefes Abfchnittes
konnte der Verfaffer nicht wiffen, dafs im Jahre 19OO jene
,Reform' einer für den Fortbeftand günftigen neuen Reform
weichen werde. Er fah jene von 1890 wie viele mit ihm
als den Anfang, wenn auch nicht vom Ende, fo doch
von einer bleibenden Entwerthung des Gymnafiums an;
daher erklärt fich die Ausführlichkeit des temperamentvollen
Berichtes über die Decemberconferenz in Berlin
1890, erklärt fich auch der der wiffenfchaftlichen Haltung
allerdings nicht entfprechende Sarkasmus über das ,zeit-
gemäfse, nationale' Gymnafium. Die Reform der Reform
vom Jahre 1900, über die V, 2 S. 310—316 nachträglich
berichtet, wird dagegen äufserft kurz behandelt.
Der erfte Abfchnitt von V, 1: Die Gefchichte des Gelehrten
fchulwefens in Deutfchland, berührt fich fachlich
an vielen Stellen mit dem, was in den Bänden II, 2;
III, 2; IV, 1 bereits von anderem Gefichtspunkte aus behandelt
ift: daher erklären fich die zahlreichen Rückver-
weifungen auf diefe Abfchnitte des Werkes, die allerdings
etwas läftig, aber wohl unvermeidlich find. Ein
Fehler in der Gefammtanlage des Werkes wird daraus
kaum zu conftruiren fein; am wenigften dürften die bezeichneten
Ungleichmäfsigkeiten und Wiederholungen
hinreichend Grund für die überaus abfällige Kritik abgeben
, der Fr. Paulfen die erfte Abtheilung des fünften
Bandes in der Deutfchen Literaturzeitung 1901 Nr. 40
unterzogen hat. Freilich auch Paulfen wird S. 192.
240. 272 nicht fanft behandelt. Als befonders dankens-
werth fei die ausführliche Darftellung der Wirkfamkeit
des Erhard Weigel (S. 91—116) hervorgehoben; auf
dem Gebiete der Schulpädagogik in den höheren
Schulen ift er keinem Geringeren als Peftalozzi in
feiner Bedeutung für die Volksfchule vergleichbar.

In der zweiten Abtheilung des fünften Bandes giebt
Prof. Dr. R. Hoffmann die Gefchichte des Realfchulwefens
in Deutfchland (S. 1—106), Geh. Hofrath Dr.
Ernft Sallwürk die Darftellung des höheren Bildungs-
wefens in Frankreich von 1789 —1899 (S. 107—141) in
Grofsbritannien im 19. Jahrh. (S. 142—175), des Bildungs-
wefens der Jefuiten feit 1600 (S. 176—221), Prof. Dr.
Wychgram die Gefchichte des höheren Mädchenfchul-
wefens in Deutfchland und Frankreich (S. 222—297),
Prof. Dr. A. Hamann die des Mädchenfchulwefens in
England (S. 298—309); den Schlufs (S. 310—316) bildet
der bereits erwähnte Nachtrag von Dr. G. Schmid
über die Berliner Conferenz von 1900. An Verfehen ift
mir in V, 2 nur aufgefallen, dafs S. 208 Z. 19 und S. 210
Z. 10 v. u. die päpftlichen Decrete zur Aufhebung des
Jefuitenordens vom 21. Juli 1773: Dominus ac redemptor
und zur Wiederherftellung des Ordens vom 7. Auguft 1814:
Sollicitudo omnium ecclesiarum Bullen genannt werden;
es find nicht Bullen, fondern päpftliche Breven. Darnach
werden auch die Angaben S. 208 Z. 2. 6. 11 v. u. zu
corrigiren fein.

Der baldigen Vollendung des grofs angelegten und
überaus reichen Werkes fehen wir mit Freuden entgegen.

Marburg. E. Chr. Achelis.