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Ausgabe:

1902 Nr. 1

Spalte:

19-22

Autor/Hrsg.:

Burkitt, F. Crawford

Titel/Untertitel:

S. Ephraim‘s Quotations from the Gospel 1902

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. I.

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zahlreiche Streiflichter auf die Gedanken, Hoffnungen
und Befürchtungen der Chriften. Die Auskunft Hippolyt's
felbft ift klug und eines Clerikers würdig: das gegenwärtig
herrfchende Reich ift zwar feinem Wefen nach fatanifch
und antichriftlich, aber es ift nicht felbft der Antichrift,
d. h.: ihr follt den gröfsten Abfcheu vor diefem Reiche
haben, aber ihr follt euch durch den Abfcheu nicht zur
Schwärmerei verleiten laffen; ihr follt vor allem nicht
Montaniften werden. Sehr merkwürdig ift die von Neumann
mit Recht ftark hervorgehobene Wendung in der
politifchen Anfchauung Hippolyt's gegenüber der Melito's:
nach Hippolyt ift das Kailerreich nicht die Milchfchwefter
der Kirche von Auguftus her, fondern der Univerfalismus
diefer ift ,gemäfs der Wirkfamkeit des Satans' von jenem
nachgeäfft worden! Welch ein kirchliches Selbftgefuhl,
welche Verachtung des Reiches als einer fchlechten Copie
der Kirche — und dies am Anfange des 3. Jahrhunderts!
Nicht nur die ,Philofophie' ift ein fatanifches Plagiat an
der chriftlichen Lehre, fondern auch das Reich felbft ift
Plagiat! Diefe Art der Beurtheilung des Staates foll
auch heute noch im Katholicismus nicht ganz aus-
geftorben fein.

Von S. 107 an zieht Neumann auch andere Schriften
Hippolyt's in den Kreis der Betrachtung, ftets unter dem
Gefichtspunkte, die Stellung des Verfaffers und der
Chriften feiner Zeit zu Staat und Welt genauer kennen zu
lernen und in die Fragen der Lebensführung einen Einblick
zu gewähren. Die Ketzer find die fchlimmften unter
allen Menfchen, denn fie find Plagiatoren der irdifchefi
Weisheit, die ja felbft nur Plagiat der göttlichen ilt. Was
ihr Verhalten zu ,Weltl betrifft, fo fchwanken fie zwifchen
verächtlicher Laxheit und einem Rigorismus, der den i
Schöpfer beleidigt. Hippolyt felbft empfiehlt einen Mittelweg
— er ift Katholik, und die Montaniften fcheinen ihm
als Pneümatophoren hochmüthig, als Asketen überfpannt
—, aber den Mittelweg des Kailift verfchmäht er als zu
bequem. In diefem Zufammenhange werden auch die
montaniftifchen Schriften Tertullian's und die Mittheilungen,
die Origenes macht, nach dem Vorgange von Rolffs
(Texte u. Unterf. XII, 4) herbeigezogen. Das Indulgenz-
edict des Kailift in Bezug auf den Concubinat erfährt eine
genaue Unterfuchung fowie das Schisma des Hippolyt
und feine Befeitigung im Jahre 235. Wenn es ein Mann
wie Hippolyt in Rom zu einem Schisma kommen liefs, fo
mufs, falls nicht lediglich gekränkter Ehrgeiz die Trieb- I
feder gewefen ift, — wir kennen nicht den Mann, fondern
nur feine Schriften — Kailift ein Diplomat von unerträglicher
Gefinnungslofigkeit gewefen fein; Hippolyt war ja
felbft Vermittler. Die Fragen der Lebensführung hatten
innerhalb der Chriftenheit im Laufe des 2. Jahrhunderts
nicht weniger als fünf Parteien hervorgebracht, die fich
gegenfeitig dasChriftenthum abfprachen; fie find abfteigend
durch die Namen Marcion, Tatian, Tertullian, Hippolyt
und Kailift bezeichnet. Siegreich blieb die weltaufge-
fchloffene Richtung.

Berlin. A. Harnack.

Burkitt, F. Crawford, M. A., S. Ephraims Quotations from
the gospel. Collected and arranged. (Texts and Studies.
Ediied by J. A. Robinson. Vol. VII. No. 2.) Cambridge
1901, University Press. (XI, 91 S. gr. 8.) Sh. 3.—

Dies neuefte Heft der vortrefflichen Sammlung, ein
würdiges Seitenftück zu Barnard's Bearbeitung der Citate
bei Clemens Alexandrinus (f. Jahrg. 1900 N. 7 Sp. 205),
nimmt zum Motto ein fchönes Wort Sanday's: Jedes auf
die Textgefchichte fallende neue Licht wird fich als ein
neues Licht für die Gefchichte des Chriftenthums er-
weifenf Burkitt zeigt, was fcheinbar geringfügige Arbeit
für das Ganze der chriftlichen Wiffenfchaft bedeutet.

In England ift bei der Frage nach dem echten Bibeltexte
noch immer die Autorität des textus reccpt/is heifs

umftritten. Unter deffen Stützen ragt als die vornehmfte
die fyrifche Peschitta des Neuen Teftamentes (die mit
der des Alten gar nichts zu thun hat) hervor. Gegen
Hort's Thefe, der in ihr eine der Hieronymianifchen
analoge Revifion der altfyrifchen Ueberfetzung aus den
Jahren 250—350 fah, erhoben Scrivener und die confer-
vative Schule den Vorwurf willkürlicher Conftruction:
eine Revifion fei nicht nachweisbar, die kirchlich ftets
anerkannte Peschitta fo alt als das Chriftenthum Syriens,
die anderen Texte (Tatian's Diatessaron, der Syrer Cure-
ton's und der erft neuerdings hinzugekommene Sinaifyrer)
Privatarbeiten. Die ftete Geltung der Peschitta aber ift
zunächft nur Behauptung; ficher läfst fich ihr Gebrauch
nur bis auf Ifaac von Antiochien und den Biographen
des Rabbulas (411—435) zurückverfolgen. Wie fteht es
bei Ephraim, dem fruchtbarften fyrifchen Schiiftfteller
des 4. Jahrhunderts? Hier fetzt Burkitt ein. Bereits 1891
hatte allerdings F. H. Woods in den Studia Biblica III
die Aufgabe in Angriff genommen, Ephraim's Bibeltext
zu unterfuchen. Er kam zu dem Refultate, dafs Ephraim
faft durchweg die Peschitta benutzt; nur wenige Citate
ftimmen gegen diefe mit dem Diatessaron. Und dies
der Mann, fagt Burkitt, der einen Commentar zum Diatessaron
fchrieb, und keinen, foviel wir wiffen, zu den
getrennten Evangelien! Hier mufs ein Fehler im Beweife
flecken, 'und Burkitt findet ihn in der kritiklofen Verwendung
der zwar grundlegenden, aber kritiklos gearbeiteten
Editio Romana. Eine Unterfuchung der hand-
fchriftlichen Grundlage für diefe führt zur Ausfcheidung
einer grofsen Anzahl von Schriften aus der Zahl der
echten Werke, darunter gerade derer, auf die Woods
fich vornehmlich ftützt. Manche Catenenfragmente mögen
echt fein, bieten aber keine Gewähr für richtige Ueber-
lieferung des Bibeltextes. Burkitt ftützt fich nur auf
folche Schriften, die Ephraim in Handfchriften des
5.—7- Jahrhunderts beigelegt werden. Davon find freilich
die meiften metrifch, was für die Unterfuchung eine
grofse Erfchwerung ift. Alles in allem zählt B. nur 48
(55) citirte Stellen aus den Evangelien; ihnen widmet er
eine eingehende Befprechung. In 34 Fällen handelt es
fich nur um verfchiedenartige Ueberfetzung, in 14 auch
um verfchiedene griechifche Vorlage. 8 Mal ftimmt
Ephraim's Text mit der Peschitta: mufs hier diefe felbft
benutzt fein, oder hat nur die Peschitta hier ältere Lesarten
erhalten? 3 Mal fo oft geht Ephraim mit syr. cur.
und syr. sin. gegen die Peschitta, zuweilen bietet er
einen noch archaiftifcheren Text als fie. Die Frklärung
bietet nur eine, fowohl von jenen beiden Vertretern des
,Evangelium der Getrennten' als von der Pcschittr verfchiedene
, fehr alterthümliche fyrifche Ueberfetzung, und
welche könnte dies anders fein, als das von Ephraim
felbft commentirte, auch von Aphraates faft auslchliefs-
lich benutzte Diatessaron} Uebereinftimmungen mit deffen
Texten, dem armen. Moi finger's, dem arab. und dem (nach
Burkitt Diatessaro7t-Kinüu(s zeigenden) Sa77geri7ia7iensis g,
merkwürdig aus den verfchiedenen Evangelien compo-
nirte Sätze und fchliefslich die Berührungen mit altocci-
dentalen Texten beftätigen die Thefe. Ephraim kann
alfo nicht als Zeuge für die Peschitta angeführt werden.
Eine längft bekannte, aber als unbrauchbar bei Seite
gefchobene Stelle der Rabbulasbiographie (vgl. z. B.
Gregory, Proleg. 808 710. 3) giebt dann den urkundlichen
Beweis, dafs in der That eine Revifion der fyrifchen
Ueberfetzung des N. T.'s ftattgefunden hat, und zwar erft
unter Rabbulas von Edeffa, bald nach 411; es war nur
die vorgefafste Meinung von dem höheren Alter der
Peschitta, welche die Gelehrten bisher hinderte, diefe
hier zu finden!

Soweit Burkitt's Gedankengang. Der Beweis ift
frappant! Aber wir dürfen die Bedenken nicht verhehlen
: 1. Burkitt rechnet nicht mit der Möglichkeit,
dafs Ephraim bereits einen Mifchtext aus Altfyrifch und
Peschitta gebraucht, oder beide neben einander, wie das